Eiserner Vorhang 2020/2021

Queen B (Mary J. Blige)

 

 

 

Prunk, Ruhe, Genuss, – es ist das Baudelair’sche „Luxe, calme et volupté“, das hier strahlend evoziert wird. Schließlich sind wir in der Oper. Und doch wird schnell spürbar, dass Carrie Mae Weems hier ein raffiniertes Kippbild erschaffen hat. Ein Kippbild, das bei längerer Betrachtung überall visuell semantische Reibungen, poetische Verschiebungen und vermeintliche Unstimmigkeiten offenbart, die sich dem Auge fordernd in den Weg stellen.

Eine barocke Tafel lässt auf eine eurozentrische Historienszene schließen, doch da wird beiläufig eine nigerianische Skulptur auf einer klassischen Säule präsentiert. Und die Hauptfigur, in der Rolle einer Königin, ist schwarz, das Goldkrönchen trägt sie aufgesetzt als Dutt aus blonden Locken. Es ist die heutige, real existierende popkulturelle Größe, Mary J. Blige, die großartige R&B-Sängerin und Schauspielerin, die zu ihrem Pelz und Geschmeide einen Sweat Suit trägt, wie sie die weltumspannende Hip-Hopkultur aus den afroamerikanischen Gettos als Dresscode der Aufbegehrenden in die hinterste Ecke unseres Globus eingeschleust hat. Während die großen Medaillons an der Wand statt der Porträts des Herrscherpaares nur deren Kronen einrahmen, schaut das Update einer Königin in den Spiegel. „Ich schaute und schaute, aber ich konnte nicht erkennen, was Dich so erschreckt hat“ (I Looked and Looked, but Failed to See What so Terrified You), so der Titel einer andern Arbeit von 2003, in welcher Carrie Mae Weems selber mit Spiegel posiert.

Irritierend ist auch der enorme Schwan am rechten Bildrand. Ist er lebendig oder ausgestopft? Ja, ist hier überhaupt das Leben in der Fotografie eingefroren? Oder im Gegenteil, ist eine statische Szene verlebendigt worden? Mit andern Worten: Hält das Foto eine Mise-en-scène, eine Aufführung, fest? Oder ist es eher dem Genre des Tableau vivant zuzuordnen, wo eine historische Vorlage lebendig nachgestellt wird, um Gegenwärtigkeit zu erschaffen?

Es ist beides gleichzeitig, wir sind ja in einem Kippbild, wo Versatzstücke der Vergangenheit zugleich sanft und doch konfrontativ fruchtbar aufeinander stoßen. Alles ist „Bigger than life“, „größer als das Leben“, denn der Antrieb ist das Sich-Hinausträumen aus diesem Leben mit seinen Demütigungen, Einschränkungen und Unfreiheiten, ein Ausbrechen aus dem Schatten sowie den Repräsentationscodes der Geschichte und den Zuordnungen welche besonders schwarzen Frauen schmerzhaft auferlegt wurden. Es ist das Luxe, calme, et volupté – als eine süß-wilde Kraft von unten, die in die abgehobene Gediegenheit der historisierenden Atmosphäre eingebrochen ist.

(Bice Curiger)

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