Hans Ulrich Obrist: In einem Gespräch mit Mary J. Blige hast du gesagt: „Lange bevor ich eine Kamera in die Hand bekam, machte mich die Art und Weise, wie Afroamerikaner*innen dargestellt wurden, tief betroffen, und zumeist gefiel mir nicht, was ich sah. Ein Weg, damit umzugehen, bestand für mich darin, mich einzuschalten und die Darstellung insbesondere schwarzer Frauen neu zu denken.“ Kannst du uns etwas zu diesem Zitat sagen?
Carrie Mae Weems: Mir geht es nicht nur darum, wie Afroamerikaner*innen dargestellt werden – das beschäftigt mich natürlich, aber was mich eigentlich interessiert, ist die Idee der Repräsentation an sich. Wie werden Männer in dieser Welt dargestellt, und was sagt das über die Erwartungen an Männer aus? Wie werden Frauen präsentiert, wie werden Blondinen gegenüber Brünetten präsentiert? Es gibt diese tiefsitzenden Idealvorstellungen, was über die Medien, über Kultur, über Schauspiel, Lieder und Fernsehen transportiert werden soll, wobei zumeist versucht wird und in der Geschichte stets versucht wurde, unsere Selbstwahrnehmung durch medial vermittelte Werte zu prägen. Das ist ein tiefgründiger und beunruhigender Aspekt kultureller Produktion, an der wir alle in der einen oder anderen Form Anteil hatten und haben.
Ich erkannte, dass die Darstellung des schwarzen Körpers zumeist einer Art Demoralisierung des schwarzen Körpers gleichkam – einer fortwährenden Geringschätzung des schwarzen Körpers. Oder der schwarze Körper wurde als Außenseiter dargestellt, zumindest im Kontext von Identitätsbildung. Als junger Mensch fand ich das sehr verwirrend und verstörend, denn es hatte nichts mit dem zu tun, was ich aus der Welt um mich herum kannte. Die Stereotypen waren dermaßen brutal und schmerzhaft. Diese Bilder waren dazu gedacht, die dargestellten Schwarzen richtiggehend zu demoralisieren, und sie leisteten gute Arbeit.
James Baldwin sagte, dass meine Verantwortung als Künstlerin darin bestünde, Zeugnis abzulegen vom Moment, in dem ich lebe, ihm seine Bedeutung zu entlocken und diese sodann der Öffentlichkeit mitzuteilen, die das Recht hat, sie zu erfahren. Ich habe bloß versucht, Alternativen anzubieten, ein Gegennarrativ zum vorherrschenden Narrativ. Es kenntlich zu machen und zu bezeichnen, es beim Namen zu nennen. Es zu artikulieren und die schwierigen Fragen zu stellen, die sich die meisten von uns nicht stellen möchten.
HUO: Und gerade das ist so wichtig.
CMW: Und nun finden wir uns, ob in Europa oder den Vereinigten Staaten, in diesem außergewöhnlichen Moment wieder, in dem wir alle diesen Bruch und diese Verschiebung zu spüren bekommen, dieses Aufkommen von Nationalismen, die sich aufbäumen, um so zu erkämpfen, was sie verloren haben.
HUO: Édouard Glissant meinte, dass das „Zittern“ und „Beben“ etablierte Denkweisen überwindet und sich dem Unbekannten unterwirft. „Die Utopie ist eine Wirklichkeit, in der wir mit dem anderen zusammentreffen können, ohne uns selbst zu verlieren.“¹ Ich glaube, das knüpft an das an, was du gerade gesagt hast.
CMW: Man vermeint, sich selbst infolge des Aufstiegs des anderen zu verlieren. Und zur größten Angst aufseiten der Rechten gehört, dass es eine Art Vergeltung geben wird, eine geradezu verdiente Vergeltung aufgrund dieser systematischen Zurückweisung von Menschen und dieses Umgangs mit ihnen. Was aber nach meinem Empfinden so unglaublich und so komplex ist, ist wohl die Tatsache, dass sich gewissermaßen gar nichts geändert hat. Außer, dass alles prononcierter ist und widerhallt, überall hallt es in der einen oder anderen Form wider.
HUO: Für Wien hast du dich dafür entschieden, deine Zusammenarbeit mit Mary J. Blige für das Magazin „W“ wieder aufzugreifen.
CMW: Mary ist eine sehr umsichtige Frau, die viel Wert darauf legt, wie schwarze Frauen wahrgenommen und verstanden werden, wie sie aussehen. Wir haben uns getroffen, ich habe die Sets, wie ich fand, schön, verspielt und opulent gestaltet. Ich habe viele Artefakte und Objekte anderer Künstler*innen mit hineingebracht und damit der Szene deren Stempel aufgedrückt. Und dann ließ ich Mary einfach nur hereinkommen und sie Queen B sein, ich stellte mir das außerordentlich wertvoll vor. Wir haben immer mit ihrem Spiegelbild gearbeitet – sie betrachtet sich also, blickt sich prüfend an, hinterfragt ihren Ausdruck manchmal auch kritisch. Immer ist sie sich der Art und Weise bewusst, wie sie gerade dargestellt wird.
HUO: Im Gespräch mit Mary sagtest du, dass der Akt der Krönung etwas mit einem Bild der Sängerin Dinah Washington zu tun hätte. Kannst du uns etwas zu diesem Bild sagen, und wie es mit der Krönung von Mary J. Blige in Verbindung steht?
CMW: Ich habe mir das Bild Dinah Washingtons zu eigen gemacht, die als Queen of Blues, als Königin des Jazz, galt. Und natürlich ist da auch Jean Michel Basquiats wiederkehrende Verwendung der Krone in Verbindung mit Jazz und Musik, mit Ausdrucksformen afroamerikanischer Kultur, expressiver Äußerung – diese Gedanken spielten mit hinein. Letzten Endes wollte ich Mary ein Geschenk machen. Ich wusste, sie hatte in ihrem Leben ungemein viel durchgemacht, hatte Menschen verloren, die ihr sehr wichtig waren, hatte gerade eine sehr schwierige Scheidung hinter sich und hatte das alles überwunden. Daher wollte ich ihr ein Geschenk machen, ihre große Begabung anerkennen, ihrem Platz im Kulturleben Tribut zollen. Nach meinem Dafürhalten hat sie es verdient, gekrönt zu werden, geweiht zu werden als die, die sie ist: eine Frau, die überlebt hat, um ihre Geschichte vielschichtig und mit Tiefgang zu erzählen, und die weitergemacht hat. Mich interessiert nicht die positive Geschichte. Mich interessiert die komplexe Geschichte, in der das Menschliche der dargestellten Person zum Vorschein kommt.
¹ Cf. documenta (13): Édouard Glissant & Hans Ulrich Obrist, 100 Notizen – 100 Gedanken, Nr. 038, Hatje Cantz 2012, S. 5–6.
Eiserner Vorhang 2020/2021
Gespräch mit Carrie Mae Weems
AutorInnen