Eiserner Vorhang 2005/2006

Frühstück mit Ohr

Der Dialog mit Maria Lassnig, aus dem der Eiserne Vorhang der Spielsaison 2005/2006 für die Wiener Staatsoper hervorgeht, begann vor zwölf Jahren während der Vorbereitung zur (gemeinsam von Kasper König und mir kuratierten) Ausstellung „Der zerbrochene Spiegel“ für die Wiener Festwochen 1993. Diese Ausstellung mit Werken von 43 Malerinnen und Malern aus drei Generationen stellte die Frage nach Funktion und Autonomie der Malerei zu einer Zeit ihres häufig prognostizierten Endes, und die Gemälde von Maria Lassnig erschienen zwischen den Werken der jüngeren Generation von bemerkenswerter Frische, Präsenz und Ausstrahlungskraft. Selten zuvor hatte man die Wirksamkeit ihres Einflusses so genau beobachten können. Maria Lassnigs malerisches, zeichnerisches und filmisches Werk rückte in den letzten Jahren immer weiter in das Zentrum der Aufmerksamkeit und ihre Bedeutung als avantgardistische Pionierin mit feministischem Standpunkt lässt sich heute am ehesten mit der amerikanischen Bildhauerin Louise Bourgeois vergleichen.

Ausgangspunkt des Eisernen Vorhangs von Maria Lassnig ist ihr Bild „Frühstück mit Ohr“ aus dem Jahr 1967. Das Bild entstand noch in Paris, unmittelbar bevor Lassnig nach New York ging. Wovon handelt überhaupt diese Szene? Eine neue Paraphrase auf Manets „Frühstück im Grünen“ mit einem Ohr als dynamisierendem „Punctum“, nach Roland Barthes das Zufällige, das den Betrachter besticht, ihn „aber auch verwundet, trifft“?

Für Maria Lassnig beginnt die Transzendenz beim Körper. Sie gründet im Verhältnis von Körper und Bild und ist in den von ihr so genannten „Körpergefühls-“ oder später „Körperempfindungsbildern“ umgesetzt, wo sich ein stetiger Widerstand gegen das Repetitive und Statische manifestiert. Hierin zeigt sich auch eine musikalische Parallele. Der amerikanische Komponist Eliott Carter lehnt das Repetitive ebenso ab, da es „zu mechanisch ist und die Verbindung zur humanen Qualität verloren geht, die gute Musik haben muss“. Mit den Worten Carters ist Frühstück mit Ohr „dünne und dicke Textur als ein Nebeneinander von Cluster und Konstellation“. Was ein Stück interessant macht, sei die Empfindung, die ein Komponist kraft seiner Imagination zum Ausdruck bringe. Der Komponist und Dirigent Pierre Boulez bezeichnet dies als „regelmäßiges und unregelmäßiges Pulsieren“, ob es sich nun um Mozart oder Strawinsky handle. Sowohl Carter als auch Boulez beschreiben dieses „Pulsieren“ als humane Qualität der Kunst. Diese Qualität zeichnet auch die Kunst Maria Lassnigs aus.

Maria Lassnigs Mal- und Zeichenstil wurzelt im Informel der fünfziger Jahre. Wie mir die Künstlerin in einem Interview kürzlich sagte, habe sie zuerst „einfach nur Farbe geschleudert, dann immer dünner, und am Schluss habe ich immer nur eine Farbe genommen – es ist sozusagen eine Minimal Art der Farben, und es sind reine Körperbewusstseins-Bilder“. Wie bei den Sitzenden in Frühstück mit Ohr, „wo man eigentlich nur den Rücken spürt und die Oberschenkel, die aufliegen, es ist ja wirklich ein sehr reduziertes Bild. Und das Ohr ist wegen des Lärms, unter dem ich immer wieder gelitten habe.“

Heute entkommt die Künstlerin dem Lärm der Stadt in ihrem Landatelier, wo sie vor allem im Sommer arbeitet. In der Wiener Staatsoper bekommt „Frühstück mit Ohr“, gleichsam als visueller „Ohren-Schmaus“ präsentiert, eine neue und ambivalente Bedeutungsebene, die einer gewissen Ironie nicht entbehrt.

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