Ecke Bonk: Mr. Hamilton, der Vorschlag, sich auf ein Gebäude einzulassen, das von Mozarts göttlichen Opern widerklingt, mag etwas Erschreckendes gehabt haben. Können wir darüber sprechen, wie es zu diesem Projekt, den Eisernen Vorhang der Wiener Staatsoper zu gestalten, kam? Alles begann unseres Wissens bereits im November 1968 in Mailand, als Sie im Studio Marconi Ihre erste Ausstellung vorbereiteten. Das Datum ist wichtig, denn der November ist die Jahreszeit, in der über perfekt al dente zubereiteten Spaghetti Appetit anregende Düfte schweben, wenn hauchzarte Scheiben frischer Trüffel von den Mandolinen, gehandhabt von Kellnern ohne Zahl, herabfallen. War es das, was sie in diesem historischen Moment nach Mailand führte? Das Geld kann es nicht gewesen sein, denn es bestand zwischen Ihnen und Giorgio Marconi, der ein bemerkenswerter Kunsthändler war, insofern eine ziemlich einmalige Beziehung, als in ihren Ausstellungen nichts verkäuflich war. Galt diese Vereinbarung für alle weiteren Ausstellungen, die Sie für diesen Exhibitionisten schufen? Marconi wurde ja ein enger Freund von Ihnen.
Richard Hamilton: Ja, das Essen ist in Mailand tatsächlich ausgezeichnet, besonders im November. Aber ich würde Giorgio nicht als Schausteller oder Exhibitionisten bezeichnen – Gourmet ist vielleicht angemessener.
EB: Lassen wir das Essen einmal beiseite. Erzählen Sie uns in Ihren eigenen Worten von der Entdeckung, die Sie während Ihres ersten Besuchs machten. Seit den frühen sechziger Jahren hatten Sie sich mit Postkarten beschäftigt und hatten fast zufällig – so zufällig, wie Kekulé auf den Benzolring gestoßen war – Ihrerseits die Entdeckung gemacht, dass gewisse Postkarten, die Sie in Zeitungsgeschäften in Nordengland gefunden hatten, Fälschungen waren. Was als Farbfoto ausgegeben wurde, war nicht, was es schien. Die Fotos waren mit einem Schwarzweißfilm aufgenommen und dann von Hand bearbeitet worden, um die Wirkungen zu simulieren, die man normalerweise mit Farbfilmen wie Kodachrom oder Agfacolor erzielt. Diese handkolorierten Hochstapeleien waren nachweisbar, da die Konturschärfe der einzelnen Farben beim Druck vernachlässigt worden war. Geringe Passgenauigkeit, ein verbreiteter Fehler bei den dreifarbigen Reproduktionen von Farbfotos, war in diesem Falle der Beweis für die Handarbeit. Ein Union Jack auf einem Kirchturm konnte beispielsweise beliebig gesetzte rote und blaue Pinselstriche aufweisen, die den stochastischen Charakter der manuellen Tätigkeit enthüllten. Was Ihr Auge in Mailand fesselte, das war diese Unmenge an Postkarten, die alle ein und dasselbe Motiv hatten: den Innenraum der Mailänder Scala. Viele dieser Postkarten waren sich beunruhigend ähnlich, über die Tatsache hinaus, dass sie denselben Schauplatz zeigten, das herrliche Auditorium und das zahlreiche Publikum, immer dieselbe Menge von Opernliebhabern, jeder einzelne wie eingefroren in seiner individuell wiedererkennbaren Pose.
RH: Verzeihung, wie lautete die Frage?
EB: Diese Unterschiede im Gleichen weckten Ihren Verdacht und die Vermutung lag nahe, dass es für alle diese Postkarten eine einzige Quelle gab. In Ihren Schriften zum La Scala-Projekt erwähnen Sie, dass Sie bei Ihren Nachforschungen eine Postkarte entdeckten, die Ihnen von besonderem Interesse schien: einen alten fotografischen Originalabzug mit wellig geschnittenen Kanten, der keine Rosette aus Rasterpunkten aufwies.
RH: Ja.
EB: Die Entdeckung eines so seltenen Exemplars ließ die Schlussfolgerung zu, dass die farbigen Nachkommen nichts als handkolorierte, auf diese eine Quelle zurückzuverfolgende Simulationen waren. Eine wahrlich darwinistische Enthüllung.
RH: Nun, von den Schwarzweißpostkarten gab es recht viele. Man fand sie an allen Postkartenständen in Mailand, ebenso wie die Farbpostkarten.
EB: Mit Giorgio Marconis Hilfe sorgten Sie dafür, dass die Postkarte in die Radiererwerkstatt Grafica Uno kam, um einen vergrößerten Stich der Postkarte anfertigen zu lassen, samt der Bildunterschrift 267 Milano Teatro alla Scala – Interna.
RH: Reiner Vandalismus.
EB: Der Stich nach dem Foto wurde von Grafica Uno produziert, die Geschichte aber ist hier noch nicht zu Ende. Die Drucke wurden per Schiff nach London transportiert, wo Sie die Arbeit wieder aufnahmen. Ihr Medium war jetzt der Siebdruck. Ist das soweit richtig?
RH: Nein, die Drucke wurden nicht verschifft, sondern ich habe sie mitgenommen. Ich fuhr mit meinem Porsche 911S nach Mailand, und es war sehr angenehm, eine ganze Ausstellung in dem Kofferraum zu verstauen, der bekanntlich gerade genug Platz für eine größere Aktentasche, nicht aber für Gepäck bietet. Und ab damit auf die Autobahn. Der Porsche ist ja das einzige Auto (abgesehen von seinem Vorgänger, dem VW-Käfer), bei dem der Kofferraum vorne ist. Das erinnert mich an diesen amüsanten Verweis auf Picabias Bugatti in der Grünen Schachtel von Duchamp: Dieses Scheinwerferkind könnte, grafisch dargestellt, ein Komet sein, dessen Schweif vorausweist. . Das Band ist zu Ende.
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