Sie ist umgeben von ihren Gemälden, die praktisch das ganze Bild ausfüllen und deren Farben sie umhüllen wie ein Raum eines Bild gewordenen Echos. Helen Frankenthaler sitzt in ihrem Atelier auf ihrem Gemälde. Ihren hellbeigen Rock hat sie eng und glatt um ihre angewinkelten Beine geschmiegt, leicht nach vorn geneigt stützt sie sich auf ihre Hand. Sie ist barfuß. Ihr Haar erscheint tiefschwarz und ihr Gesicht trägt eine aristokratische Blässe. Auf dem Originalfoto, das dem Re-Enactment von Dominique Gonzalez-Foerster als Vorlage dient, blickt sie ins Objektiv, und der Fotograf, der sicher höher steht als sie, beugt sich zu ihr runter und bemüht sich um sie.
Die Malerei als Zentrum der Schwerkraft für eine gebildete Frau, die am Bennington College studierte: So präsentiert sich Helen Frankenthaler im Life Magazin vom 13. Mai 1957. Ein Farbfotoessay über vier Seiten zeigt eine neue Generation von Künstlerinnen, eine nach der anderen, „die aufsteigen und die lebendigen Qualitäten der amerikanischen Malerei reflektieren“. Helen Frankenthaler, Grace Hartigan, Nell Blaine, Joan Mitchell, Jane Wilson – keine ist älter als fünfunddreißig. Sie alle repräsentieren den Aufbruch
der Nachkriegskunst.
Wie bezeichnend – zwischen einer Werbung für Jantzen Sportbekleidung und einer Seite, die Sanka Kaffee anpreist, diese „Ausnahmefrauen“ (so will es der einleitende Text) inmitten ihrer Gemälde. Weder Muse, noch unterwürfig. Ihre Bekleidung, sogar „cool“ gegenüber dem aktuellen New Look, ist verglichen mit den legendären Bildern der Maler bei der Arbeit nicht unbedingt angemessen. Das lachsrosa Hemd, das sie um ihre Taille knüpfte, und der dezent gerichtete Rock, den Helen Frankenthaler trägt, sind wohl kaum geeignet für die Tätigkeit derjenigen, die das Action Painting gerade erneuerte. Sie gab Jackson Pollocks Gestus des „Dripping“ definitiv eine neue Richtung: Die Interaktion der Farben, die bei ihr flüssiger die Leinwand treffen, sie überfluten – die Leinwand, die sie gleichsam trinkt, ja regelrecht aufsaugt, ist endgültig. Der körperliche Akt, diese Fluidität ihrer Malerei, mit den sich leicht verteilenden Farben steht offensichtlich im Kontrast mit der Kleidung dieser Künstlerin in weiß und rosa. Es ist das, was die Psychoanalytikerin Joan Rivière nicht die Maskerade der Weiblichkeit nennt, sondern die „Weiblichkeit als Maskerade“.
Mag sein, dass die Abbildung einer „weiblichen“ Weiblichkeit von Frankenthaler im vibrierenden Raum ihrer fließenden Gemälde eine Widersprüchlichkeit zeigen will: Einerseits Frau – andererseits Künstlerin. Zwei Bezeichnungen ohne zwischen den beiden wählen zu müssen. Ein andauernder Balanceakt, bei dem man unentwegt darauf achten muss, dass die eine Benennung die andere nicht in den Schatten stellt. Denn Männer müssen ihr Geschlecht nicht mit ihrem Werk in Verbindung bringen, ganz im Gegensatz zum „Anderen Geschlecht“ der Kunst (erinnern wir uns: Das namensgebende Werk von Simone de Beauvoir erschien 1949 erstmals auf Französisch). Inmitten ihrer Gemälde sitzend weist der Körper der Künstlerin darauf hin, dass die Malerei ihr Raum ist. Sie ist also ihr Subjekt und nicht ihr Objekt. Jedoch ihr Körper ist in Ruheposition und vermittelt nicht die physische Kraft des Nahkampfs, der dieser Malerei innewohnt.
Es sei hier erwähnt: Das Originalfoto wie die der anderen Künstlerinnen ist das Werk von Gordon Parks. Der erste Schwarze, der als Fotoreporter Zugang zum Redaktionsteam des illustren Life Magazin fand. Die Verbindung dieser neuen Modelle der Weiblichkeit – der Frau und gleichzeitig Künstlerin – und dieses Fotojournalisten, der weniger für seine Starportraits berühmt wurde, denn für seine bittere Chronik des Rassismus, der Segregation und der Armut (Parks wurde zu einem der Dokumentaristen der Civil Rights Bewegung in Amerika), gibt einiges zu denken auf. Denn was sich in der Bilderserie im Life Magazin zeigt (auch wenn sie ein Auftragswerk war) ist schlicht die Skizze einer kollektiven Darstellung von Persönlichkeiten. Diese Frauen der neuen Generation werden hier in ihrem informellen Umfeld gemeinsam der Öffentlichkeit präsentiert. Sie werden zu Repräsentantinnen einer Kunstwelt im Wandel – „Frauen unter sich“, emanzipiert von den Männern („Femmes entre elles“ so der französische Titel des Films „Le amiche“ von Michelangelo Antonioni aus dem Jahr 1955 nach der Kurzgeschichte „Tra donne sole“, „Die einsamen Frauen“ von Pavese).
Frankenthaler, Hartigan und Mitchell wurden gemeinsam fotografiert, lächelnd, auf der Vernissage von Frankenthaler am 12. Februar 1957 in der Tibor de Nagy Gallery in New York. Als Trio werden die Freundinnen später vom Time Magazin „The Vocal girls“ genannt. Auf dem Schnappschuss sitzen sie, Komplizinnen, unter Planetarium, einem Werk von Frankenthaler aus dem Jahr 1956. Diese wahrscheinlich wesentlichen Frauenfreundschaften unter Künstlerinnen sind vermutlich das bestgehütete Geheimnis der Fünfzigerjahre. In der Regel wird Frankenthaler eher mit dem Kritiker Clement Greenberg in Verbindung gebracht, mit dem sie zwischen 1950 und 1955 liiert war, oder seit ihrer Hochzeit 1958 mit dem Maler Robert Motherwell –die beiden bildeten ein „golden couple“.
Vielleicht folgt Dominique Gonzalez-Foerster gerade dieser femininen Geselligkeit, wenn sie für ihren Eisernen Vorhang das legendäre Bild von Helen Frankenthaler von Gordon Parks wiederbelebt. Indem sie die Dramatik einer Fotografie aufzeigt, welche die „Frau“ und die „Künstlerin“ ausstellt, erneuert und aktualisiert sie die ästhetische, aber auch politische Herausforderung einer Praxis der Fluidität.
Élisabeth Lebovici
Eiserner Vorhang 2015/2016
Helen & Gordon
AutorInnen