Für die Ausstellungsserie „Geschälte Zeit“ von museum in progress im DATUM wählten Sie als Grundlage für Ihr Werk das Jahr 1917. Welche Bedeutung trägt dieses Jahr für Sie, was verbinden Sie damit?
Ich versuchte herauszufinden, ob es ein bestimmtes Jahr im frühen 20. Jahrhundert gibt, in welchem ein Kunstwerk und ein Designobjekt von historischer Bedeutung geschaffen wurden. Ich war verblüfft, als ich entdeckte, dass zwei solche Werke, die völlig unterschiedlich und beide von bahnbrechender Bedeutung sind, im gleichen Jahr geschaffen wurden: 1917.
Haben Sie sich schon in früheren Arbeiten mit diesem Thema auseinandergesetzt?
Ja. Letztes Jahr schuf ich zehn Drucke (Art and Design), die jeweils ein Kunstwerk eines bedeutenden Künstlers des 20. Jahrhunderts mit einem Designobjekt eines ähnlich wichtigen Designers vereinten (z.B. Johns und Aalto, Magritte und Saarinen, Koons und Corbusier). Ich dachte dabei an die Berühmtheit und Vertrautheit all dieser Objekte, jedoch nicht an bestimmte Jahre, oder ob der Künstler und Designer direkte Zeitgenossen waren.
Welche Aspekte Ihres künstlerischen Schaffens sind Ihnen besonders wichtig?
Unmittelbarkeit, Einfachheit und Klarheit.
Wenn Sie eines Ihrer Werke bestimmen könnten, das die Zeiten überdauert und auch in der fernen Zukunft noch betrachtet wird, welches würden Sie wählen?
1973 schuf ich An oak tree. Das Werk besteht aus einem Wasserglas auf einer Glasplatte mit einem Begleittext, der die Form eines Eigen-Interviews hat und in welchem ich behaupte, das Glas Wasser in eine Eiche verwandelt zu haben. An oak tree ist bereits mein bekanntestes Werk; es wurde auf der ganzen Welt gezeigt und stößt nach wie vor auf neues Interesse. Somit hat es unter meinen Arbeiten die besten Voraussetzungen in Erinnerung zu bleiben.
Spielen prägende Erlebnisse eine Rolle in Ihrer Kunst? Wenn ja: Was wäre ein Beispiel dafür?
Eines der bemerkenswertesten Dinge des Künstlerdaseins ist, dass jede Erfahrung – ob wichtig oder nicht – potenziell von Nutzen sein kann. Beispielsweise, wann immer ich angefragt werde, etwas zu tun mit dem ich mich noch nicht befasst habe, versuche ich stets ja zu sagen. Ich habe das in diesem Fall getan und es ermöglichte mir ein neues Werk zu kreieren, mit dem ich zufrieden bin. Andernfalls hätte ich es vielleicht nie gemacht.
Worin besteht für Sie der Reiz, ein Werk für den öffentlichen oder medialen Raum zu schaffen?
Ich schaffe gerne Kunstwerke, die für viele Menschen in ihrem Alltag zugänglich sind, und zwar an Orten, die nicht vorrangig oder offensichtlich auf Kunst fokussiert sind wie Galerien oder Museen.
Inwiefern sollte Kunst eine gesellschaftspolitische Funktion erfüllen?
Ich glaube nicht, dass Kunst irgendetwas tun „sollte“. Manche Kunstwerke zielen darauf hin, mit bestimmten gesellschaftspolitischen Themen identifiziert zu werden. Man stößt allerdings selten auf ein Werk, zu dem die Beschreibung passt, dass es „eine gesellschaftspolitische Funktion erfüllt“. Mich interessiert sozial engagiertes Schaffen, das den Glauben vertritt, dass der Betrachter eine wesentliche Rolle in der Vollendung eines Kunstwerks habe.
Was zeichnet Ihrer Meinung nach gute Kunst aus?
Gute Kunst beflügelt die Phantasie.
Wo liegen die Grenzen der Kunst?
Bei den Grenzen der Phantasie.
Alle Künstler/innen, die an der Ausstellungsserie „Geschälte Zeit“ teilnehmen, werden jeweils gebeten, die gleichen Fragen zu beantworten. Damit werden einerseits der serielle Charakter des Projektes und andererseits die individuellen Blickwinkel der Künstler/innen betont. Außerdem erhalten die interessierten Leser/innen dadurch weiterführende Informationen zu den einzelnen Werken und ihren Urhebern.
Geschälte Zeit 01
museum in progress stellt Fragen an: Michael Craig-Martin
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