Eiserner Vorhang 2012/2013

David Hockney, Eiserner Vorhang 2012/2013

David Hockneys lebenslange Liebesgeschichte mit der klassischen Musik und vor allem mit der Oper begann bereits in seiner Kindheit in Yorkshire in den 1950er Jahren und vertiefte sich in den 1960er Jahren, wenn er mit Freunden quer durch ganz Europa fuhr, nur um bestimmte Opern zu sehen. Zehn Jahre nach seinem Bühnenbild für Alfred Jarrys Ubu Roi am Londoner Royal Court Theatre (1966) übernahm er erstmals die künstlerische Gestaltung in Glyndebourne (The Rake’s Progress, 1975, Die Zauberflöte, 1978) und später in New York, London und anderswo, darunter für L’Enfant et les sortilèges, Les Mamelles de Tirésias, Tristan und Isolde, Turandot und Die Frau ohne Schatten.

Originelle theatralische Elemente tauchen bereits in seinen frühen Arbeiten auf; zum besonderen Merkmal werden sie in den 1963 begonnenen ‚Vorhang’-Gemälden, in denen Vorhänge, wie der Künstler später erklärte, „stets im Begriff sind, etwas zu verbergen oder zu enthüllen“; so wird die erotisch suggestive Szene in dem Bild Two Men in a Shower (1963) durch durchscheinende Duschvorhänge auf geschickte Weise zugleich ver- und enthüllt. Diese wiederkehrenden Motive, etwa in Invented Man Revealing Still Life (1975), prädisponierten den Künstler für seine spätere Arbeit am Theater, in die er die Tradition bemalter Kulissenvorhänge einfließen ließ und die Methoden des 18. und 19. Jahrhunderts auf spielerische Weise aktualisierte. Ebenso fasziniert von neuen Technologien nutzte er ab Mitte der 1980er Jahre komplexe Beleuchtungssysteme, um seine Bühnenbilder in ununterbrochen changierende und prächtige Farben zu tauchen und jeder Szene die ihr eigene Stimmung und Atmosphäre zu verleihen.

Seine Arbeit für die Bühne inspirierte Hockney dazu, seine Gemälde auf dramatische Weise zu vergrößern und dabei räumlicher und spektakulärer zu denken – ein Beispiel ist die auf 60 Tafeln gemalte Panoramalandschaft des Gran Canyons (1998). Unterdessen gelangte er über die Mal-Applikation Brushes – zunächst auf seinem iPhone und später auf dem iPad – zu einer völlig neuen Bildgestaltung und fing an, farbenprächtige, spontane und vielschichtige Digitalbilder zu malen. Für seine 2012 an der Royal Academy alle Rekorde brechende Ausstellung David Hockney: A Bigger Picture schuf er eine Serie von 51 nach dem Leben gezeichneten iPad-Landschaften, die auf dem kleinen Bildschirm entstanden und gedruckt zu Aussichten von strahlender Leuchtkraft wurden.

All diese Erkundungen – von den in jungen Jahren gemalten Vorhangbildern bis hin zur digitalen Malerei im Alter von über siebzig – bilden den Hintergrund für Hockneys kühnen Vorhang für die Wiener Staatsoper. Auf einem iPad gezeichnet, jedoch so konzipiert, dass das Bild unter Einsatz eines innovativen Verfahrens auf ein 176 m2 großes Kunststoffnetz gedruckt werden kann, feiert das Bild den Ort, in dem es gesehen wird, und verstärkt die ohnehin schon gespannte Erwartungshaltung.

Wie auch bei anderen, seit den späten 1980er Jahren gemalten Bildern werden Worte – hier auf einer virtuellen Bühne in Umkehrperspektive – als physische Objekte behandelt, die tiefe Schatten in unseren Raum werfen. Die Farben – Himmelblau, Grasgrün, Erdorange – evozieren Landschaftsempfindungen, während die Illusion des zurückweichenden Raums das bevorstehende Ereignis bereits andeutet; dabei wird die Stimmung in Baudelaires Gedicht Einladung zur Reise heraufbeschworen, dessen Zeilen Matisse zu einem seiner Meisterwerke der Fauve Schaffensperiode inspirieren sollten, denn: ‚Dort wo alles friedlich lacht – Lust und heiterkeit und pracht’.* Die fröhlichen, den Vorhang durchdringenden Farbtöne lassen das Delirium der Musik erahnen, vereinen es mit der Freude des Schauens und versetzen den Zuschauer in den Zustand purer Sinnesempfindung.

Übersetzung: Jacqueline Csuss 
 * Deutsch von Stefan George

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