Eiserner Vorhang 2011/2012

Cerith Wyn Evans, Eiserner Vorhang 2011/2012

Die Sprache der Kunst – sei es Musik, Literatur, bildende Kunst oder ein Mix aus diesen – ist in ihren Ausdrucksmöglichkeiten wesentlich stärker von Uneindeutigkeiten abhängig als Sprache in einem üblichen Sinn. Man könnte sogar soweit gehen zu behaupten, dass es Uneindeutigkeiten sind, die die eigentliche Differenz zum Nichtkünstlerischen ausmachen. In der Moderne sind oft Fragmentierung, Verfremdung oder ironischer Bruch die Mittel, um dies zu erreichen. Besonders deutlich wurden diese Aspekte, als in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts durch konzeptuelle oder minimalistische Kunst die Grenzen zwischen den traditionellen künstlerischen Medien aufgebrochen wurden und etwa Text und Schrift Leinwand und Bild eroberten. Der Text ist hier nicht mehr bloß Text, sondern in einem komplexen Kontext eingebettet, der die verschiedensten Möglichkeiten der Wahrnehmung eröffnet. Dies kennt man natürlich schon aus der literarischen Sprache, aber hier lässt sich der Text als Bild lesen, das in den verschiedensten Zusammenhängen zu seinem Inhalt stehen kann. Diese Zusammenhänge, die eben keine klaren Beziehungen untereinander eingehen, eröffnen ein ästhetisches Spiel, das in seiner Vielfältigkeit geradezu unbegrenzt scheint. Seit mehr als einem halben Jahrhundert bewegen sich Künstler und KünstlerInnen in diesem Spiel und legen dabei immer wieder neue Betrachtungsweisen der Welt, unseren Verhältnisses mit ihr und vor allem unserer Wahrnehmung von ihr frei. Seit den frühen Tagen der Konzeptkunst hat sich in den verschiedenen Verfahrensweisen aber viel getan: Wollten viele am Anfang noch Sprache und Text in einer präzisen Weise dem Bild gegenüberstellen und letzteres sozusagen ersetzen, so haben sich im Laufe der Zeit immer komplexere Spielarten entwickelt und mit bloßen Andeutungen und verborgenen Schichten so etwas wie eine Poesie in dieser Kunst entstehen lassen. Die Objekte der Konzeptkunst sind dann als Handlungsanleitungen zu verstehen, der Rest ist im Kopf des Betrachters.

Cerith Wyn Evans ist wohl der bedeutendste Vertreter dieser neueren Konzeptkunst. Seine Arbeiten bestehen oft aus sehr minimalen Handlungen, das Wenige, das an der Oberfläche sichtbar ist, müssen die Betrachter sich über die Überlegungen des Künstlers erst erschließen. Sein Projekt für die Kunstbiennale in Venedig 2003 bestand aus einem Scheinwerfer, der mittels Morsealphabet einen frühen walisischen Text in den Nachthimmel der Stadt schrieb. Wenige können diesen Kode entziffern, aber dem Künstler geht es gar nicht um das Verbreiten einer wörtlichen Mitteilung. Mit dem komplexen Arrangement, das wiederum nicht in einem präzisen Sinn funktionieren kann, werden Räume in unserem Kopf begehbar gemacht, die Reflexionen über die verschiedensten Aspekte des Erfahrens von Kunst und Welt ermöglichen. Wir können den Inhalt des walisischen Textes irgendwie erahnen, der Kode der Übertragung verweist auf eine längst vergangene Technologie, die vielleicht noch von einem Seefahrer entziffert, aber wohl nicht verstanden werden kann.

Sein Eiserner Vorhang für die Wiener Staatsoper scheint nur mehr eine Handlungsanweisung zu sein, vielleicht sogar eine, um die Kunst von Cerith Wyn Evans zu dekodieren. Sie ist aber natürlich auch an den Ort gebunden, an die Oper, in der man ja auch durchaus ein Erlebnis der Entrückung haben soll. Hier, genauso wie in der Kunst von Cerith Wyn Evans, werden ja auch alle möglichen visuellen und akustischen Mittel eingesetzt, um etwas zu transportieren, das über einen linearen Inhalt hinausgeht. Wir begeben uns an Orte, an denen wir uns nicht mehr eindeutig festmachen können. Die Kunst auf dem Vorhang und die Kunst hinter dem Vorhang gehen ein merkwürdiges Verhältnis ein. Der Text, die Aufforderung, bezieht sich aus sich selbst, da er wahrgenommen wird, deutet aber auch auf das, was in wenigen Minuten hinter ihm beginnen wird.

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