Über die Situation der Körperkunst
Robert Fleck: Du giltst heute als internationale Mitbegründerin der Körperkunst. In dieser Kunstrichtung haben ab den späten sechziger Jahren weibliche Künstler zum ersten Mal eine führende Rolle gespielt. Wie ergab sich das im männlich dominierten Klima des Wiener Aktionismus?
Valie Export: Als ich mich entschloß, Künstlerin zu werden, war für mich klar, daß mein künstlerischer Ausdruck nicht in der Malerei liegen wird, eher noch in der Zeichnung. Mein Interesse lag in der Auseinandersetzung mit Medien, im Inhaltlichen und künstlerisch-ästhetischen Ausdruck durch Medien, – das bedeutete damals Fotografie, Film, in der Folge das aufkommende Video. Heute sind es die digitalen Medien, die auch als Weiterführung des „Expanded Cinema“ gesehen werden können, das auch eine wichtige Position in meiner Kunst einnahm. Ich habe den Körper ins Zentrum meiner künstlerischen Arbeit gesetzt. Auch die Radikalität im Fluxus und Happening, der Umgang mit dem Körper hat mich interessiert.
RF: Man zählt Dich, neben Peter Weibel, Friedericke Pezold und in gewissem Sinn auch Rudolf Schwarzkogler, zur „zweiten Generation“ des Aktionismus.
VE: Das ist richtig. Auch wenn ich ab 1966 eher die Kunst aus USA wahrnahm. Ich ging von Anfang an davon aus, daß der Körper als solcher ein expressives künstlerisches Mittel ist. Später kamen zusätzliche thematische Schwerpunkte dazu, soziokulturelle Fragen und der Feminismus. Die Avantgarde war damals geprägt von einer politischen Haltung. Ich war immer davon überzeugt, daß sich der Körperausdruck auch mit dem politischen Ausdruck verbindet.
RF: Berühmt aus dieser Zeit ist die Aktion „Tapp- und Tastkino“ von 1968. Du trägst einen verkleinerten Kinosaal am Körper im Format einer Box mit einem die Brust verdeckenden Vorhang und lädst Straßenpassanten ein, sie mit den Händen hinter dem Vorhang zu betasten.
VE: Es ging im „Expanded Cinema“, dem erweiterten Film, darum, mit dem Medium auch Machtstrukturen darzustellen und aufzubrechen, wie man dazumal sagte: zu decodieren, zu dekonstruieren. Was mich unterscheidet von den Aktionisten ist das strukturelle und konzeptuelle Arbeiten mit Zeichensystemen und Medien. Zu sagen: Wir bewegen uns alle in einem Zeichensystem, der Mensch ist z. B. in der Konsumwelt ein Zeichen für etwas und diese Zeichen können interpretiert und decodiert werden. Das „Tapp- und Tastkino“ habe ich als erste Aufführung im Rahmen eines Wiener Filmfestivals vorgestellt, vorgeführt, und dann anschließend im öffentlichen Raum, in den Straßen von München und Amsterdam. Aber nie öffentlich in Wien. Es hatte auch einen Wink gegeben, daß die Polizisten in der Innenstadt vorgewarnt seien und mich festzunehmen haben.
RF: 1970 hast Du, assistiert von Peter Weibel und Wolfgang Ernst, bei deutschen Rockfestivals das Publikum von der Bühne herab ausgepeitscht. Bei den handfesten Reaktionen wurdest Du verletzt. Ihr habt Euer Handlungsfeld als Künstler auf die Straße verlegt und wart dadurch selbst gefährdet.
VE: Das auf der Straße agieren, das auf die Straße gehen, heißt, das man nicht mehr geschützt war durch einen institutionellen Rahmen, und sei es auch nur durch eine Galerie. Das war auch ein Moment des „Tapp- und Tastkino“, jeder, jede, konnte es so demokratisch besuchen, ob männlich, weiblich, ob Kind oder erwachsen. Wichtig dabei war auch, daß die Kino Besucher und Besucherinnen dabei exponiert waren, d.h. sie wurden von der Menge beobachtet und saßen nicht als voyeuristische Besucher und Besucherinnen, so wie im Kino, im Dunkeln, sondern waren den voyeuristischen Blicken der anderen ausgesetzt. Das radikal Neue war die direkte Konfrontation, das Miteinbeziehen in das Kunstwerk, die Teilnehmenden zum aktiven Teil des Kunstwerkes zu machen.
RF: Deine Performances der siebziger Jahre drehten sich um Identitätsprobleme und die Spaltung zwischen dem empfundenen und dem von den Medien vermittelten Ich. Man sagt den österreichischen Künstlern seit Jahren im Ausland nach, obsessionell um das Körperthema zu kreisen.
VE: Sicher war das Klima des Aktionismus und auch der Wiener Gruppe für mich sehr wichtig. Warum diese Bedeutung des Körpers? Das hat mit meiner Jugend im Nachkriegsösterreich zu tun, der Repression, der Restriktion in Bezug auf das Körperliche. Was mich als Kind schon fasziniert hat, war das Kubin – Kabinett in der Neuen Galerie in Linz, ich konnte dort Tage und Stunden verbringen. Schon diese Kommunion ist eine körperliche Angelegenheit:
RF: Du bist in Nordamerika unter jüngeren Künstlern heute bekannter als in Österreich, insbesondere als Filmemacherin, Performancekünstlerin und durch Deine feministische Kritik. Es werden Doktorarbeiten über Dein Werk geschrieben und veröffentlicht. Du warst Vizepräsidentin der Hochschule der Künste in Berlin. Hierzulande nahm man das nicht recht wahr.
VE: Ich leugne nicht, daß viele meiner Arbeiten aus einer österreichischen Kulturgeschichte entstanden sind. Aber gerade in den 60er und 70er Jahren wurde die Medienkunst von vielen abgewertet. Es war bzw. ist schwer, das kulturelle Österreich mit neuen Kunstformen zu konfrontieren.
Valie Export, geb.in Linz, lebt in Köln. Medienkünstlerin. Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen und Filmvorführungen. Seit 1977 Lehrtätigkeit in den USA, zuletzt als Professorin. Dann Institutsleiterin und Vizepräsidentin an der Hochschule der Künste Berlin. Derzeit Professorin für Multimedia und Performance an der Kunsthochschule für Medien, Köln. Organisierte 1975 „Magna“, die erste Frauenkunstausstellung in Europa, in der Wiener Galerie Nächst St. Stephan. 1980 Vertreterin Österreichs (mit Maria Lassnig) an der Kunstbiennale in Venedig. Im Frühjahr 1997 zeigt das Museum des 20. Jahrhunderts, Wien, eine Personale. Die Ausstellung wird auch international gezeigt.
Austria im Rosennetz 04
Die Polizei war gewarnt. Gespräch mit Valie Export
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