Robert Milins Intervention im Salzburgischen
Robert Fleck: Du hast als französischer Künstler ohne deutsche Sprachkenntnis gerade eine große plastische Arbeit im Land Salzburg eröffnet, die aus einer intensiven Zusammenarbeit mit der Bevölkerung hervorgeht. Wie gelingt das?
Robert Milin: Die Leute sind offener, als man denkt. Natürlich ist es ein langer Weg: von dem Augenblick, da jemand wie ich an die Tür eines Bergbauernhofs klopft und mit Gesten mehr als mit Worten erklärt, er sei Künstler und wolle mit dem Dorf hier und seinen verborgenen ästhetischen Praktiken arbeiten, bis zur Verwirklichung vergehen eineinhalb Jahre. Da kannst du nichts durchboxen, und das Wichtigste bei dieser Art von Kunst ist die Geduld, das heißt der Respekt gegenüber den Leuten und ihrem Lebensrhythmus. Das zunächst abstoßende Wort „Kunst“ kehrt sich in der Folge sogar zu einem wichtigen Hilfsmittel um, weil es den Menschen erläutert, worum es geht. Wenn die Leute die künstlerische Arbeit annehmen, kann man mit einem kleinen Eingriff die ganze Identität eines Dorfes umkehren. Es entsteht so etwas wie Stolz.
RF: Wie kommt ein Künstler dazu, in dem Flecken Fanningberg bei Mauterndorf tätig zu werden?
RM: Ich wurde von Ulrich Mellitzer, freiem Kurator am Salzburger Kunstverein „Galerie 5020“, eingeladen. Dann erlebte ich die für uns überraschend durchorganisierte Seite von Osterreich: Wir fuhren vier Tage übers Land, ich überlegte mir auch, in der Stadt Salzburg zu arbeiten wir besuchten sogar das Fußballstadion. Als wir durch Zufall in den Weiler Fanningberg kamen, war es für mich klar daß ich da arbeiten wollte.
RF: Österreich ist von seiner Struktur her ein agrarisches Land, und sehr viele Künstler kommen aus ländlichen Gegenden. Dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – macht kaum jemand den bäuerlichen Lebenszusammenhang als solchen zu einem künstlerischen Thema. Die ländliche Herkunft scheint den meisten Künstlern wohl zu drückend und zu nahe.
RM: Das mag so sein. Auch ich hatte solche Bilder im Kopf – wenn ich in Paris sagte, ich würde jetzt in Österreich auf dem Land eine künstlerische Intervention machen, erntete ich häufig die Frage, wie ich das denn machen könne, dort seien ja alle Nazis. Mich hat dann eher das Gegenteil verblüfft: die Offenheit der Leute gegenüber dem „Franzosen-Künstler“. Es hilft wohl sogar, in einer solchen Situation als Künstler Ausländer zu sein.
RF: Worin besteht die „Ortsbebilderung“ in Fanningberg?
RM: Als ich das Vertrauen der meisten Menschen vor Ort hatte, stellten sie mir ihre Fotoarchive zur Verfügung. Ich wählte zwölf Fotos bzw. Fragmente aus der ästhetischen Umwelt dieses Dorfes – Muster von Blusen z.B. – aus vergrößerte sie auf Emailtafeln und brachte sie an verschiedensten Stellen an, Wänden von Schuppen, Traktoranhängern, Holzlatten usw. Zunächst hielten mich die Leute für einen Fotografen, bis sie draufkamen: „Der macht ja gar keine Fotos, der borgt sich Fotos aus.“ Die fertige Installation schließlich vermittelt ein Bild von ihrem Ort – und von der Kunst –, das sie alles andere als erwartet hatten.
RF: So ungewöhnlich es scheint, wenn jemand in einer Weiterführung der Land Art etwa direkt auf dem Land mit den Leuten arbeitet und die Ausstellung dann auch als permanente Installation in dem Dorf stattfindet, so kann man das auch als populistische Reaktion interpretieren. Nach dem Motto: die zeitgenössische Kunst ist unverständlich, so schicken wir die Künstler in die Dörfer und ins Volk. Bei Politikern hört man ja derzeit solche Töne.
RM: Wir hatten heiße, auch sehr harte Diskussionen mit der Bevölkerung. Es ging oft um die Frage, was sei denn daran Kunst. Es wird ja nichts produziert im Sinne eines traditionellen Kunstgegenstands. Wenn die Leute begriffen haben, daß man tatsächlich ihren Lebenszusammenhang zu einem künstlerischen Material macht, wollen sie zunächst, daß man auf die Geschichte des Dorfes eingeht und dieses oder jenes Foto verwendet, das ihnen persönlich viel bedeutet. Das wäre populistisch. So sind sie zunächst enttäuscht, daß man nur Dinge auswählt, die so banal wie möglich sind.
RF: Du hast diese Art von Arbeit zum ersten Mal 1991 mit dem Ort Saint-Carre in der Bretagne verwirklicht. Dort hat sie die Identität des Dorfes tiefgehend verändert. Die Leute waren anfangs verstört. Heute pflegen sie ihre Häuser und den Rasen, um den Fotos, die Du auf die Hauswände plaziertest, einen schönen Rahmen zu geben. Sie sind sichtlich stolz auf ihren Ort, der vorher nur ein Problemgebiet war. Heute ist er „der Ort mit dem Kunstwerk“.
RM: Wenn es in einem solchen Maß „funktioniert“, hat es tatsächlich etwas Magisches. Auch ist es leichter, als man denkt, mit einem ländlichen Zusammenhang zu arbeiten – die Konflikte in der Stadt sind weit härter. Doch geht es mir nicht darum, etwa für die Bauern Kunst zu machen. Das wäre absurd. Ich war Maler und mich hat immer die Landschaft sehr interessiert. Nur hat sich der Begriff „Landschaft“, der ja ein künstlicher, kultureller Begriff ist, in unserer Zeit radikal gewandelt. Eines Tages sagte ich mir, das hat überhaupt keinen Sinn, neoexpressionistische Bilder zu malen. Das führt nirgendwo hin. Ich dachte mir, du mußt buchstäblich die Leute in die Landschaft stellen und in die Realität gehen, mit ihrer Wahrnehmung der Wirklichkeit umgehen. Das habe ich dann auch in Fanningberg getan. Es ging mir um eine neue Art von Landschaftsbild.
Robert Milin, geb. 1951 in Brest, lebt in Plounerin. Nach einer zehnjährigen Karriere als neoexpressionistischer Maler hängte er 1989 den Pinsel an den Nagel und begann direkte künstlerische Arbeiten mit der Gesellschaft in Form von als „kunstfremd“ geltenden sozialen Situationen. In der Folge intervenierte er in soziale Problemgebiete wie den kommunistischen Vorort Ivry sur Seine bei Paris und die Trabantenstadt Villeneuve bei Grenoble. Die am 10. Mai eröffnete „Ortsbebilderung“ in Fanningberg bei Mauterndorf, Lungau, verwandelt ein Bergbauerndorf mit authentischem Material aus der Bevölkerung in eine plastische Installation.
Symposion 17
„Der borgt sich ja Fotos aus“. Gespräch mit Robert Milin
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