Symposion 14

Technologische Verhältnisse. Gespräch mit Künstlern

Robert Fleck im Gespräch mit Seamus Farrell, Filippo di Giovanni, Thomas Baumann, Malachi Farrell und Fernando Palma de Rodriguez

Robert Fleck: Ihr habt Eure Ausstellung in der „Secession“ als eine „aufgebrochene Gruppe“ angelegt. Was heißt das?

Seamus Farrell: Wir leben in geographischer Hinsicht weit voneinander entfernt. So ist es eine einmalige Zusammenkunft aus punktuellen Affinitäten. Das scheint uns auch bezeichnend für die künstlerische Situation. Die Ausstellung in der Wiener „Secession“ ist zudem ein Sonderfall, indem sie nicht von einer Galerie organisiert wurde, einem Museumsmann oder einem Kurator, sondern von den Künstlern selbst. Auch die „Secession“ist ja der Sonderfall eines von Künstlern geleiteten Hauses.

Filippo di Giovanni: Der Ausstellungsraum kann als „Container“ oder Labor gesehen werden, in dem geistige Räume oder Identitäten aufeinanderstoßen, ohne daß man gleich fragt, von wem nun dieses oder jenes Werk sei. Es ist wie ein Gespräch in verschiedenen Sprachen.

Thomas Baumann: Die Möglichkeit, dieses Projekt in Wien zu realisieren, brachte die geografische Lage aufs Tapet. Man sagt ja auch: „zwischen Ost und West“. Auch hat „Secession“ eine historische Bedeutung, als Konflikt zwischen Nord und Süd.

Robert Fleck: Gegenwärtig werden in Ausstellungen oft Künstler aus verschiedenen Kontinenten vereint. Ist diese „Multikulturalität“ nicht schon ein abgedroschenes Thema?

Seamus Farrell: Nicht wenn man sie täglich lebt. Wie die meisten jüngeren Künstler führen wir ja „nomadische“ Existenzen, mit ständigen Reisen zu Ausstellungen oder zu Nebenjobs. Hier aber kommen alle fünf aus Kulturen, die keine „Großmacht“ darstellten: ein Mexikaner, ein Sizilianer, zwei Iren und ein Österreicher. Aus dieser Randsituation gegenüber den kulturellen Zentren heraus zu arbeiten, geht nur, wenn man diese Marginalität mitreflektiert. Fernando lebt sowohl im westlichen High-Tech als auch in der Dritte Welt-Technik, der mexikanischen Melancholie einer Kultur, in der die Kinder ihr Spielzeug noch selbst bauen. 

Robert Fleck: In der Ausstellung gibt es eine große Robotermaschine, die auf die Besucher reagiert.

Malachi Farrell: Wir nahmen ein westliches, hochtechnologisches Spielzeug, das ja eine schöne formale Hülle hat, dessen „böses“, industrielles Maschineninnenleben man vor den Kindern aber für gewöhnlich versteckt. Im Maßstab 1:100 vergrößert und mit Elektronik vollgestopft, wird daraus ein Roboter von menschlichen Körpergrößen, der an der Decke baumelt und mit unvorhersehbaren Reaktionen auf den Betrachter einwirkt. Jean Tinguely und die Maschinen-Kunst der sechziger Jahre waren von der Selbstzerstörungsdimension der Technik fasziniert. Uns dagegen interessiert die Beziehung der Technik zu der Weise, wie heute das Leben funktioniert.

Fernando Palma de Rodriguez: Das Verhältnis zur Umwelt ist sowohl im häuslichen als auch im wissenschaftlichen Bereich ein technologisches geworden. Jede neue Ausdrucksform in der Kunst hat daher mit einer radikalen Umstrukturierung des herkömmlichen Bildes von Technologie zu tun. Natürlich ist die Technik ein Monopoly-Spiel politischer, wirtschaftlicher und szientifischer Interessen. Das Auseinanderklaffen dieser Sphären zum täglichen Gebrauch der Technik hat deshalb eine neue soziale Spaltung hervorgebracht. 

Filippo di Giovanni: Mich interessiert wieder, daß eine Skulptur im Atelier nicht den fetischartigen Wert wie ein Werk im Museum besitzt, sondern auf den kontinuierlichen Prozeß einer geistigen Arbeit verweist. Das Atelier eines Künstlers ist auch heute ein höchst autonomer geistiger Raum. Deshalb habe ich 1993 in Turin ein Viertel meines Ateliers in dem Zustand ausgestellt, in dem es eine Woche vor der Ausstellung war. Der Prozeß des Denkens ist unantastbarer als das Produkt. 

Robert Fleck: In diesen Ausstellungsraum der „Secession“ wird auch ein neuer Pfeiler aus hunderten Exemplaren des STANDARD eingefügt.

Seamus Farrell: Im Englischen gibt es das Wort „newscolumn“ – Information wird Form oder Struktur. Das reißt viele Aspekte an: die Rede von der „Intensität“ und „Tiefe“ von Information, das Wort „Standard“ verbunden mit der architektonischen Form, und dann lädt jedes Zeitungsfragment ein Kunstwerk buchstäblich mit Denken auf. Das ist so alt wie die Kunst dieses Jahrhunderts, vom Kubismus an. Vor allem aber hat mich interessiert, daß es in Österreich eine besondere Beziehung zwischen dem STANDARD und der Kunst gibt. Dabei haben bislang alle Künstler den STANDARD als Mittel zur Verbreitung von Kunst eingesetzt. Das scheint mir nicht unproblematisch. So hat es mich gereizt, das Gegenteil zu machen: den STANDARD gerade in Wien als Material und Form für eine künstlerische Arbeit zu nehmen. Mich hat das Aufzeigen von Gegensätzen interessiert.

Thomas Baumann: Der Umgang mit Ökonomie in einem kreativen Prozeß wird meiner Meinung nach für die Zukunft besonders wichtig werden. 

Seamus Farrell: Jeder in dieser Ausstellung macht neben seiner Kunst auch noch andere Dinge, nicht nur um zu überleben, sondern auch aus Lust. So stößt man sich immer wieder an der Realität. Allzu viele Leute leben heute ausschließlich im Raumschiff „Kunst“ und verlieren den Blick für die Wirklichkeit. Wieviele Künstler und Museumsleute kommen schon aus anderen Kreisen als dem gehobenen oder reichen Mittelstand? Das ist ein wirkliches Problem. Wieviele sind in Österreich proletarischer Herkunft? Einer oder zwei. 

Fernando Palma de Rodriguez: Man kann auch fragten, wozu heute noch eine künstlerische Aktivität nützt, bei der der Künstler letztlich nichts anderes im Sinn hat, als sein Ego, seine eigene Individualität darzustellen? Davon hatten wir schon genug. In Mexiko nennen sie mich den „Wahnsinnigen“, den „Kanufahrer“ oder „sozialen Maulwurf“. 


Thomas Baumann, geb. 1967 (geb. in Österreich), Malachi Farrell (geb 1970) und Seamus Farrell (geb. 1965, beide Irland), Filippo Di Giovanni (geb. 1961 auf Sizilien) und Fernando Palma de Rodriguez (geb. 1961 in Mexiko). Sie bestreiten gemeinsam die Ausstellung „high hoch tide seiten“ in der Wiener Secession, 26. Jänner bis 10. März 1996. Zur Ausstellung erschien ein Künstlerbuch im Ritter Verlag, Klagenfurt.

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