Symposion 13

Ich bin mein eigenes Experiment. Gespräch mit Michel Würthle

Manuel Bonik: Warum hast Du 1963 ein Studium an der Akademie Wien abgebrochen?

Michel Würthle: Ich habe damals in einer amerikanischen Zeitschrift vier Abbildungen von Robert Rauschenberg gesehen. Mich überwältigte diese Modernität. Der Witz war: Ich habe Rauschenbergs Gemälde als Handzeichnungen mißverstanden. Da dachte ich mir: Diesen Skill wirst du auch nach zwanzig Jahren Fleiß nicht erreichen.

MB: Aber warum gleich das Handtuch werfen?

MW: Ich haßte diese Atmosphäre, diesen kleinbürgerlichen Mief unter den akademischen Künstlern – von Arnulf Rainer einmal abgesehen, der mich zumindest irritierte. Aber ich sah ja gleichzeitig Künstler sich anstellen beim Unterrichtsministerium. Deren Verstellungen, dieses Antichambrieren, dieses graue Buckeln widerlich. Sonst waren es die größten Rabauken, und sobald irgendein offizielles Gurkenei dabei war, gaben sie sich klein wie Muftis.

MB: Da waren aber auch andere Bekanntschaften?

MW: Konrad Bayer traf ich auf einer Party, wo man den Pudeltanz tanzte. Plötzlich sah ich einen, der nicht glühte, sondern strahlte! Konrad tanzte den Pudeltanz ganz außerordentlich. Er hat ihn wohl erfunden. . . Durch Bayer lernte ich Oswald Wiener kennen. Beide haben mich nie darin bestärkt, Malerei weiter zu betreiben.

MB: Was brachte Dich 1970 nach Berlin?

MW: Ich wollte Oswald Wiener wiedersehen, der inzwischen in Österreich persona non grata geworden war und sich mit seiner Frau Ingrid nach Berlin abgesetzt hatte. Wir übernahmen eine Bar namens „Matala“, meinen Anteil hatte ich beim Zocken gewonnen. Da hat mich Oswald zum Arbeiten gebracht, der einzige, dem sowas gelingen konnte. Von Null auf Schwerstarbeit!

MB: Zehn Jahre habt Ihr in Berlin das Feinschmeckerrestaurant „Exil“ betrieben, das als Denkburg der Kunstszene legendär ist. 1979 erwarbst Du mit Reinald Nohal die „Paris Bar“, deren Gästeliste nicht ganz zufällig mit dem Who's who der Kunst zusammenfällt.

MW: Durch die Entfernung des alten Wandschmucks entstand hier die Notwendigkeit, gute Bilder aufzutreiben. Im Laufe weniger Jahre habe ich vieles gekauft und einiges geschenkt bekommen. Einige Jahre später waren plötzlich viele dieser Künstlerfreunde berühmt, und ich war dadurch, wie man so sagt, ein „bedeutender Sammler zeitgenössischer Kunst“. Ein Teil dieser Sammlung hängt seither in wechselnder Auswahl in der „Paris Bar“. Zur Freude aller gibt es regelmäßig auch den Künstler zum Werk als Gast. Die Pariser Galerie „Artcurial“ zeigte 1991 unter dem Titel „Paris Bar“ Arbeiten einiger meiner Gäste, Baselitz, Broodthears, Brus, Hödikke, Immendorff, Kippenberger, Koberling, Lüpertz, Oehlen, Pichler, Roth, Spoerri, Thomkins.

MB: Begann damit Deine Künstlerkarriere?

MW: Auf meinen Streifzügen durch Paris war ich schon vorher auf zeitgenössische afrikanische Malerei gestoßen und Sammler und Mäzen von Cheri Samba und Frédéric Bruly Bouabré geworden. Aufgrund meiner Afrika-in-Paris-Begeisterung entstand die romanhafte Geschichte, Weißer Peter, die Pakesch & Schlebrügge in Wien in ihrem Fama Fortune Bulletin druckten. Jörg Schlick brachte sie in Graz als Fortsetzungsroman in seinem Zentralorgan der Lord Jim Loge heraus.

MB: Und der Schritt, wieder zu malen und zu zeichnen?

MW: 1993 veranstalteten Ingrid Wiener und der Galerist Bruno Brunnet einen „Exil“-Jubiläumsabend in Köln. Sie forderten dazu einen Beitrag für die Wand. So entstanden die vier ersten Zeichnungen. Dann kam gleich der ganze Zyklus Aufzeichnungen eines bewaffneten Schankprinzen mit 120 Federzeichnungen zur Restaurantgeschichte des „Exil“ 1972 bis 1979.

MB: Wie fühlt man sich, von der passiven in eine aktive Rolle in der Kunst zu wechseln? Plötzlich nicht der Sammler, sondern der zu Sammelnde zu sein?

MW: Auf zwei Kübel Hohn kommt ein Tropfen Anerkennung. Das habe ich auch schon vorher gewußt. Ich bin mir jetzt mein eigenes Experiment und kann mich als solches nicht überflüssig finden. Ich habe jahrzehntelang Behauptungen aufgestellt und Kunst- und Anti-Kunst-Posen durchstudiert. Was kommt da raus aus dem Sack Lebenserfahrung? Das ist das Interessante. Die Skepsis bin ich ohnehin.

MB: Kritiker stellten diese Zeichnungen in eine Reihe mit George Grosz. Zugleich hast Du sieben Bücher in vier Jahren veröffentlicht.

MW: Das Zeichnerische und das Literarische kann ich nicht trennen. Es ist jene österreichische Tradition, von der ich nicht geheilt werden möchte. Tout au contraire!

MB: Zu Deinen jüngsten Arbeiten gehören erotische Zeichnungen. Auch sie schwanken zwischen Ironie und Melancholie.

MW: Diese hundert Appetit-Zeichnungen sind für Ausstellungen in New York und Stuttgart geplant. Das wienerische Idiom hat eine Sprache für Erotik hervorgebracht, wie ich sie drastischer anderswo nicht gefunden habe. An dieser Nabelschnur scheine ich zu hängen.

MB: Dein neuestes Projekt?

MW: Gemeinsam mit Damien Hirst schreibe ich an einem Libretto zu einem Musical, Arbeitstitel The Artworld. Nicht mehr als 10 Millionen Pfund Sterling darf es kosten. Mit so einem Budget wird es uns freilich schwerfallen . . .


Michel Würthle, geboren 1943 in Hallstatt, lebt in Berlin und Griechenland. 1957 bis 1963 Kunststudium in Köln und Wien, dann Industriekaufmann. Führt seit 1979 die „Paris Bar“, das wichtigste Künstlerlokal Berlins in Nachfolge von Oswald Wieners Restaurant „Exil“. 1991 begann er wieder künstlerisch zu arbeiten. 1994 erschien das Künstlerbuch Aufzeichnungen eines bewaffneten Schankprinzen, herausgegeben von Martin Kippenberger. Bis 27. Jänner 1996 ist in der Berliner Galerie Contemporary Fine Arts eine Gemeinschaftsausstellung von Caterina & Michel Würthle, My Husband and I, zu sehen.


Manuel Bonik, geboren 1964, ist Herausgeber der schrift – für künstlerische und künstlerische intelligenz, Berlin. 1996 veröffentlicht er gemeinsam mit Oswald Wiener und Robert Hödikke Eine elementare Einführung in die Theorie der Turing-Maschinen im Wiener Springer Verlag/Edition Zeitschrift Springer, Wien.

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