Die Architektur findet heute aus wirtschaftlichen und politischen Gründen einen zunehmend eingeschränkten Wirkungsbereich vor. Über alle Avantgardebewegungen der Architektur hinweg setzt sich die Standardisierung der baulichen Erscheinungsformen unaufhaltsam durch. Dieser Sachverhalt hat vielleicht einen einzigen guten Aspekt: Für die bildende Kunst wird es immer nutzloser und „überholter“, die Architektur ihrer Zeit zu dekorieren oder zu verschönern. Es ist auch zweifelhaft, ob die bildende Kunst überhaupt noch imstande ist, den schlimmen Zustand der Architektur zu verbergen.
Auch von seiten der Bildhauer und Maler aber ist das traditionelle Verhältnis der bildenden Kunst zur Architektur heute weitgehend obsolet. Der Kunst im öffentlichen Raum stellen sich heute ganz andere Aufgaben.
Zahlreichen bildenden Künstlern geht es um subversive Eingriffe, die eine neue Form der Architekturkritik und des künstlerischen Kommentars zur zeitgenössischen Architektur darstellen. Denken wir nur an Vito Acconcis Installationskunst, die 1978 und 1993 auch in Wien zu sehen war. Andere bildende Künstler nützen die Möglichkeit, Projekte im öffentlichen Raum durchzuführen, um unmittelbar in gesellschaftliche und psychologische Gehalte des Wesens „Stadt“ einzugreifen – ohne den Umweg über Architektur, wie in Mike Ukeles' „Flow City“, New York 1983.
Mit dem Umbruch zu einer neuen Gattung des Zusammenlebens, der postindustriellen Zivilisation, stellt sich auch die Forderung, neue Formen urbaner Kommunikation zu entwickeln. Daran nehmen heute unkonventionelle Kunstwerke dieser Art teil. In Zeiten wie der Romanik, der Gotik, der Renaissance und auch im 19. Jahrhundert ergaben die klassische Skulptur und das Denkmal eine für jeden Zeitgenossen verständliche Bedeutung. Das Verhältnis von Architekt und bildendem Künstler war über einen verbindlichen Formenschatz religiöser und urbaner Zeichen abgesteckt und geregelt, ebenso wie beider Verhältnis zur Öffentlichkeit.
Unsere Zivilisation dagegen ist vom fast vollständigen Fehlen einer universellen Formensprache gekennzeichnet. Die Künstler sind daher aufgefordert, im öffentlichen Raum selbständig zu handeln und ein anderes verbindendes Element anzusprechen, das „kollektive Unbewußte“.
Die traditionellen heroischen und symbolischen Formen des Denkmals wirken im heutigen öffentlichen Raum oft tot und abgestorben. Neuaufgestellte „Denkmäler“ der klassischen Statuenform erscheinen in der von Bewegung und Kommunikation bestimmten Stadt der Postmoderne anachronistisch, wenn nicht anmaßend. Unsere Gesellschaft besitzt ganz einfach nicht mehr die verbindlichen Ideale, die den klassischen Denkmälern ihren Sinn verliehen.
Allzu oft aber handelt es sich selbst bei „avancierter“ Kunst im öffentlichen Raum um vergrößerte Ausgaben privater oder musealer Kunst. Dabei besteht ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Kunst, die für den Privatraum, das Heim oder das Museum geschaffen wird, wo der Betrachter das Werk kontemplativ genießt, und einer Kunst für das Medium der Öffentlichkeit. Das mangelnde Bewußtsein für diesen Sachverhalt hat uns in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von Großskulpturen vor Firmensitzen wie auch an wichtigen Plätzen eingebracht, die in zweifacher Hinsicht scheitern: Sie sind zu groß für ein Museum, in das sie ihrer ästhetischen Konzeption nach eigentlich gehören, und sie sind zugleich zu „klein“ und zu nebensächlich für die tatsächlichen Vorgänge in einer heutigen Stadt. Bereits seit langem ist hier ein grundlegendes Umdenken gefordert: Es kann nicht länger darum gehen, Kunst im öffentlichen Raum aufzustellen. Die Stadt des späten 20. Jahrhunderts bedarf einer Auffassung von Kunst als öffentlichem Raum und zugleich der Kunst als einem Forum des Nachdenkens über diesen öffentlichen Raum.
Wenn der Ausdruck „Umweltkunst“ irgendeinen Sinn haben soll, dann eben im Gespür von Künstlern und Architekten für umfassende Zusammenhänge und ihre gesellschaftlichen, psychologischen und ökologischen Wurzeln. Ein solches „umweltbezogenes“ Kunstwerk wie Mel Chins Revival Field (1991) kann kaum noch als isoliertes Objekt betrachtet werden. Es stellt ein Bündel von Ideen und Bezügen dar, die das Verständnis des Betrachters für eine umfassende Umweltsituation erhöhen. Solche Kunst dient weniger der Verschönerung und Dekoration als der Ausbildung eines Dialogs im Bewußtsein der Betrachter. Es geht um eine Erfahrung dafür, wo wir eigentlich stehen.
„Öffentliche Kunst“ sollte noch von einem mit sechzig oder neunzig Stundenkilometer vorbeifahrenden Auto aus gesehen eine starke visuelle Bedeutung vermitteln. Wenn ein Kunstwerk diesem „mobilen Publikum“ nicht standhält, so heißt das für gewöhnlich, daß das Werk aus dem Gesichtspunkt eines Ausstellungsgegenstandes konzipiert wurde und damit die Konventionen der privaten Betrachtung fortführt, anstelle des instabilen Bildes, das man aus einem vorbeifahrenden Auto wahrzunehmen glaubt, als die neue Grundlage urbaner Kommunikation zu erkennen.
Die flüchtigen und fragmentarischen Momente der urbanen Existenz bilden heute die vitalsten Elemente des Lebens in der Großstadt. So scheint es nur logisch, wenn eine neue Formensprache der Architektur, der öffentlichen Kunst und auch der urbanistischen Stadtplanung gerade aus diesen Qualitäten von Vielfalt und Unordnung hervorgeht. Kunst im öffentlichen Raum kann es sich auf dieser Grundlage in den neunziger Jahren erlauben, weniger deutlich als „Kunst“ im traditionellen Sinn aufzutreten. Die Dynamik der modernen Kunst wurde zu Beginn des Jahrhunderts vom Industriezeitalter und dem aufkommenden technologischen Zukunftstraum getragen. Heute dagegen sind wir tief ins Zeitalter der Information und der Ökologie verstrickt.
So scheint es das einzig Richtige und Denkbare für Künstler und Architekten, sich anstelle der alten Ideen der Moderne nach Ideen aus diesen gewandelten Bezugsquellen umzusehen. Das aber fordert die Entwicklung einer völlig neuen bildnerischen Sprache, die offener für die „Umweltsensibilität“ weltweiter Kommunikation ist, wie auch die Schaffung einer Formensprache, die auf dem ökologischen Modell integrierter Systeme beruht – sowie auf jener Maschine, auf die sich alles rückbezieht, nämlich die Erde.
(Übersetzung: Robert Fleck.)
James Wines, geb. 1932 in Oak Park, Illinois, lebt in New York. Von 1956 bis 1967 lebte er als Bildhauer mit internationalen Ausstellungsbeteiligungen in Rom und gelangte über Großaufträge für Skulpturen im öffentlichen Raum zum Nachdenken über das Verhältnis von Kunst, Umwelt und Stadtraum. 1970 gründete er in New York die Architektur- und Umweltkunstgruppe SITE (Sculpture in the Environment), die seither zu den führenden Expertengruppen eines neuen Verhältnisses von urbaner Gestalt und Umwelt zählt (Saudi-Arabischer Pavillon an der Weltausstellung Sevilla 1992, Projekte zur Fusion von Architektur und Landschaft, Fragen des Wasserhaushalts und der Behebung von Schäden durch Atomwaffen und -energie). Von 1984 bis 1990 war Wines Institutsleiter für Umweltdesign an der Parsons School of Design in New York. Seit 1991 ist er Professor für Architektur an der New Scholl of Social Research. Wichtigste Bücher: „Architecture as Art“, 1980; „De Architecture“, 1987. Demnächst erscheint im Kölner Verlag Taschen ein Buch über Architektur im ökologischen Zeitalter.
Symposion 10
Kunst in schneller Umwelt. Plädoyer für einen neuen Umgang mit dem urbanen Lebensraum
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