KOLARIĆ

KOLARIĆ von Marko Lulić

Der historische Moment liegt 40 Jahre zurück: Die Präsidenten von Gewerkschaftsbund und Wirtschaftskammer kamen überein, aus ökonomischen Gründen MigrantInnen in Österreich aufzunehmen – die Geburtsstunde der „Gastarbeiter“. 40 Jahre Assimilierung und Integration ins Arbeits- und Sozialleben waren, so scheint es, nicht genug. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind, nicht zuletzt angesichts der derzeit geltenden Ausländerbeschäftigungsgesetze, wieder Thema gesellschaftspolitischer Auseinandersetzung. Grund genug, an den legendären Satz von Max Frisch zu erinnern: „Arbeitskräfte haben wir gerufen, Menschen sind gekommen.“

Der Künstler Marko Lulić kommt aus einer serbisch-kroatischen Migrantenfamilie, ist 1972 in Wien geboren und hat eine vielfältige Meta-Sprache entwickelt, die mit dem Wissen und der Kritik an Utopien und historischen Avantgardebewegungen im ehemaligen Jugoslawien operiert. Lulić unterzieht die „Visuals“ des kommunistischen Vielvölkerstaats einer spöttischen Revision: Er hat die bombastischen Partisanendenkmäler durch Materialtransfers und Verkleinerungen „verbessert“, er hat den Internationalismus der funktionalistischen jugoslawischen Architektur dem zeitgleichen Wiener Regionalismus ironisch gegenübergestellt, er spürt der Ästhetik der „Modernity in YU“ nach, übersetzt Alltagsdesign und Graphic-Art in Skulpturen, Objekte und Bilder, gibt den alten Ideologien lästerliche neue Formen.

Lulićs Beitrag zum Plakatprojekt „Arbeitswelten“ der Arbeiterkammer Wien ist ebenfalls eine Art der Überprüfung. Er checkt den Anwendungsbereich des Gastarbeitermythos, der Gastarbeiterfolkore im soziokulturellen Aggregat des 21. Jahrhunderts und fügt der Parabel von den Minderheiten eine weitere Facette hinzu.

Das berühmte „Kolaric“ Plakat stammt aus dem Jahr 1973 und wurde von der Lintas Werbeagentur für die Aktion „Mitmensch“ der Werbewirtschaft Österreichs entwickelt. Es sollte für bessere Integration der in Österreich lebenden und arbeitenden AusländerInnen werben, für Toleranz gegenüber den „Tschuschen“, dem durchaus abfällig gemeinten Vokabel für die „Fremden“ aus dem europäischen Südosten. Das Plakat zeigt einen großgewachsenen Mann, der tatsächlich Kolaric hieß, und damals im Schlachthof St. Marx arbeitete, und einen an kurzen Lederhosen kenntlich gemachten österreichischen Knirps, der die entwaffnende Frage aus dem Kindermund stellt: „I haaß Kolaric, du haaßt Kolaric, warum sogn's zu dir Tschusch?“ Die von der IAA (International Advertising Association) preisgekrönte Kampagne war ein außergewöhnlicher Erfolg, das Plakat gilt seither als Symbol und Ikone der „GastarbeiterInnen“.

Lulić arbeitet mit einer seriellen Wiederholung des Originalplakats und einer Übersetzung ins Typografische, für die er die serbokroatische und eine der vielen eingedeutschten Schreibweisen heranzieht. Lulić ist ein Kombinierer und benützt die Grammatik von Zitat, Appropriation und Transfer in geschliffener Gegenüberstellung, statt sie durch Schütteln zu vermischen. Die strategische Aneignung eines fremden Bildes weckt durch die synchrone Verschiebung in eine andere Medialität neues Interesse an nur allzu bekannten Inhalten.

Nirgendwo manifestieren sich Rassismen so deutlich, wie in der Alltagssprache, nirgendwo etablieren sich die ethnozentrischen Feindbilder hartnäckiger. Widerständige aktuelle Kunstproduktion mit melancholischem Hintergrund: Es kann Verzweiflung aufkommen, wenn im durch Polarisierung konstant xenophoben Klima Menschen, die seit 40 Jahren im Land leben, immer noch als Ausländer, Gäste, eben als „Gastarbeiter“ wahrgenommen werden.

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