TransAct 03

TransAct Statement

Liebe Kollegen,

ich bin der Überzeugung, dass wir nicht zum Mondsee fahren sollten. Meine Argumente sind folgende: Erstens möchte ich meine Solidarität mit jenen Kollegen bekunden, die aus sehr persönlichen, ihre Lebensgeschichte betreffenden Gründen, die ich voll und ganz verstehe, beschlossen haben, nicht nach Österreich zu fahren. Zweitens gehört es nach meinem Empfinden zu unserer Verantwortung als Wissenschaftler, die wir mit allen Kulturschaffenden gemeinsam tragen, dass wir protestieren und unsere Hand erheben. Gewiss, es gibt auf dieser Welt zahlreiche Länder, in welchen Minderheiten diskriminiert und nationalistische Haltungen bis in die Regierungen hinein präsent sind. Und es ist ebenfalls richtig, dass die ISN in der Vergangenheit Treffen in solchen Ländern veranstaltet hat. Aussagen, wie sie von Haider gemacht worden sind, sind in einer ganzen Anzahl von Ländern Teil akzeptierter politischer Programme und werden rücksichtsloser in die Tat umgesetzt, als dies gegenwärtig in Österreich der Fall ist. Deshalb findet sich in manchen der von gewissen Staatsmännern abgegebenen politischen Erklärungen eine Spur von Heuchelei. Dennoch gibt es einen bestimmten Aspekt, der in diesem speziellen Fall den Unterschied ausmacht. Das würde auch für eine Regierung in Deutschland gelten, die in einer Koalition mit einer Partei Haiderscher Couleur an die Macht gelangt wäre. Österreich wurde nicht vom Hitler-Regime erobert, sondern hat sich ihm enthusiastisch angeschlossen. Österreicher haben an den Greueltaten des Regimes aktiv mitgewirkt, aber so wie der ehemaligen DDR ist es auch Österreich gelungen, einen kräftigen blinden Fleck für diesen Teil seiner Geschichte zu entwickeln und keine Verantwortung zu übernehmen. Ich glaube, dass es für Österreich hoch an der Zeit ist, seine Vergangenheit erneut zu überdenken und sich endlich seiner Mitwirkung zu stellen. Wie wichtig dies für Österreich ist, beweist die Tatsache, dass die Partei Haiders als Koalitionspartner akzeptabel geworden ist. Nicht zum Mondsee zu fahren, das ist für mich die Formulierung dieser Forderung. In unserer Absage sollten wir ausdrücklich darauf hinweisen. Wir sollten uns auch vor Augen halten, dass alles, was wir jetzt tun, teilweise falsch ist. Wegbleiben bedeutet, Haider das Feld zu überlassen, provoziert bei seinen Freunden Trotzreaktionen und bestraft die Mehrheit der Österreicher, die so denken wie wir. Hingehen aber kann als schweigende Zustimmung gedeutet werden.

Mit herzlichem Gruß

Wolf Singer

24. Februar 2000

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