KünstlerInnenporträts 23

Auszug aus einem Gespräch mit Marlene Dumas

Ihre Zeichnungen und Gemälde drehen sich fast ausschließlich um den menschlichen Körper. Was fasziniert Sie an diesem Gegenstand?

Das ist eine sehr alte Geschichte. Dieses Interesse stammt aus den siebziger Jahren, als ich in Südafrika auf die Kunsthochschule ging. Doch wenn Sie jung sind, wollen Sie ja auch zeitgemäß sein, und viele meiner Künstlerfreunde sagten damals: „Du lebst im 20. Jahrhundert – die Malerei ist veraltet.“ So interessierte ich mich für Fotografie, Film und andere Ausdrucksformen und benötigte lange Jahre und die Übersiedlung in die Niederlande, um zu diesem ursprünglichen Traum zurückzufinden.

In den letzten zehn Jahren wurden Sie durch Bilder mit intensiven psychologischen Gehalten bekannt, in denen Sie die Abgebildeten fast vollständig entpersonalisieren.

Schon 1976 in Amsterdam malte ich die ersten großen Portraits über Gefühlsbeziehungen mir nahestehender Leute das schwebte mir schon damals vor. Diese Bilder waren eine Art Verbindung von Pop Art mit abstrakter Malerei. Die Situation für denjenigen, der in Afrika auf die Kunstschule ging, war ja kaum vorstellbar: Ich wuchs zwar mit der europäischen Tradition der Malerei auf, wie die Künstler in Holland zum Beispiel, doch wir kannten in Südafrika nur die Theorie, ich hatte noch nie ein wichtiges Gemälde mit eigenen Augen gesehen. Die Entdeckung des 19. Jahrhunderts zum Beispiel, mit Courbet und Degas, war für mich noch Jahre später ein Schock.

Ihre Bilder sind nie vor dem Modell entstanden, beruhen nicht auf Naturbeobachtung, sondern auf Fotografien.

Ich arbeitete nie nach der Natur. Der Versuch, wie man es zum Beispiel noch in der abstrakten Malerei der Nachkriegszeit versuchte, dieses oder jenes Wirklichkeitsfragment einzufangen, schien mir immer eine dumme Sache. Malerei ist ja so unnatürlich, eine derart künstliche Angelegenheit, daß das kaum funktionieren kann. Was mich interessierte, war etwas über Gemütszustände und Beziehungen zwischen Menschen auszusagen. Da wäre ein Naturalismus nur illustrativ. Wenn sie dagegen Fotografie verwenden, arbeiten Sie bereits mit einer verzerrten Realität und einem flachen Raum, der mit Wirklichkeit nichts mehr zu tun hat.

Ihre Bilder wirken sehr „fotografisch“. Ihre bedrohliche Transparenz erinnert an Fotografien, deren Entwicklungsprozeß in der Dunkelkammer vorzeitig gestoppt wurde, oder an die Stimmung unscharfer Kriminalfotos.

Anfangs in Holland wußte ich nicht, wie man malt. Ich machte Collagen und sammelte dazu Fotos, oft aus der Zeitung. Eine Arbeit hieß „Verbrechen aus Leidenschaft“. Alle Leute waren in ihrem Bett ermordet worden, aber die Fotos waren überarbeitet und so verschwommen, daß die Betrachter vornehmlich expressionistische Zeichnungen darin sahen. Um diese Spannung, auch zwischen dem Dokumentarischen und der freien Zeichnung, geht es mir. Später verwendete ich Projektionen von Bildern durch das Epidiaskop auf die Leinwand, am liebsten aber vermischt mit freier Malerei. Auf einem älteren Bild befindet sich eine Linie zwischen den Beinen einer Frau und die Leute meinten: „Ah, die hat drei Beine!“, aber es handelte sich nur um die Mischung der Freiheit einer Zeichnung mit dem fotografischen Bild.

Themen wie Identität, Unterdrückung, sexuelle und ethnische Gewalt und die Rolle der Frau und von Minderheiten spielen gegenwärtig eine eminente Rolle in der Kunst, wofür Sie eine der zentralen Vorreiterinnen waren. Wurden Sie durch den Feminismus und die „Performance“-Bewegung der siebziger Jahre beeinflußt, die diese Problematik schon andeutenden Themen?

Wir kannten das damals nicht. Bei mir kommt alles aus der Erfahrung in Südafrika. Aber es kann in der Kunst auch nicht um Schuld gehen, die ich immer als etwas ungesundes erlebte, oder bloß um richtiges politisches Bewußtsein. Ein hochpersönliches Thema ist immer lebensbejahender und positiver als eine politische These, besonders in der Kunst.

Man könnte in Ihren heftig konturierten Menschenbildern auch Einflüsse der schwarzafrikanischen Kunst ausnehmen.

Heute hat sich die Situation in Südafrika gewandelt und sie finden viel pseudoethnische Kunst vor. Wir hatten damals von der schwarzafrikanischen Kunst kaum Kenntnis. Erst später lernte ich sie so sehr schätzen, daß ich sie heute nicht einmal sammeln würde, aus Respekt. Ich wuchs in einer ganz normalen weißen Buren-Familie auf. Was man bei uns hochhielt, war die holländische Tradition der Kunst. Dagegen habe ich später rebelliert.

Sie konfrontieren Ihre Bilder auffallend häufig mit Sprache. In Ihren Zeichnungen stehen geschriebene Kommentar und Einzelausstellungen Ihrer Werke legen Sie lange Texte bei.

Ich bin seit langem davon überzeugt, daß ein Bild heute allem dienen kann: Sie können mit einem Gemälde Eiscreme verkaufen oder Parfum. Die Autonomie des Bildes ist in unserer Zivilisation verlorengegangen. Ich denke, daß Dinge nicht mehr ohne einen Zusammenhang erlebt werden können – Wenn es nicht der Künstler ist, der den Zusammenhang herstellt, dann macht das heute jemand anderer für Sie, hinter ihrem Rücken.

(Publiziert in: Der Standard, 13.06.1995, S. 8)

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