KünstlerInnenporträts 26

Auszug aus einem Gespräch mit Felix Gonzalez-Torres

1991 konnte man im Museum of Modern Art und an 24 anderen Orten in New York auf großen Plakatwänden ein Photo ihres leeren Bettes sehen, das Sie mit ihrem verstorbenen Freund Ross geteilt hatten. Wie kam es dazu?

Der Impuls zu dieser Plakataktion war ein ganz persönlicher: ich brauchte Abstand von meinem Bett, denn es war nicht nur der Ort, wo ich schlief, sondern auch ein Ort des Schmerzes, besonders nachts. Als ich vom MOMA gefragt wurde, eine Ausstellung zu machen, sah ich mir den Raum an und dachte, man sollte diesen schönen Raum nicht mit Kunst vollpflastern, denn es gibt dort schon so viel Kunst, daß sie damit handeln könnten. Deshalb war die ursprüngliche Idee, im Museum selbst nichts zu zeigen, außer den Broschüren, aus denen die Besucher erfahren konnten, wohin sie gehen müssen, um die Plakate in den Straßen zu sehen. Aber das ging nicht, weil das Museum für sein Geld auch etwas haben wollte; also habe ich dort ein Bild von meinem ungemachten Bett, in dem zwei Menschen geschlafen und davon Abdrücke in den Kissen hinterlassen hatten, ausgestellt und es gleichzeitig an 24 Orten als Plakat gezeigt. An diesem Punkt muß man fragen, ob es die Trennung von privatem und öffentlichem Raum überhaupt gibt. Was Amerika betrifft, so haben jüngste Entwicklungen gezeigt, daß das nicht der Fall ist, besonders nicht für jene Teile der Bevölkerung, die das eigene Geschlecht lieben. Ich meine damit die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 1986, die besagt, daß schwule Männer und lesbische Frauen kein Recht auf Privatsphäre haben, denn der Staat darf regeln, wie sie Liebe füreinander auszudrücken haben und kann in ihre Schlafzimmer eindringen, um zu kontrollieren und zu bestrafen. Ich denke, worüber wir wirklich sprechen ist Privateigentum und vielleicht nicht einmal das, jedenfalls nicht über Privatsphäre, denn unsere intimsten Wünsche und Phantasien werden vom Gesetz durchdrungen und kontrolliert. Und was den „öffentlichen Raum“ angeht, so wundere ich mich immer, wie „öffentlich“ er ist, wenn ihn die ganzen Firmen wie Phillip Morris und Marlboro kaufen können.

Auch die Arbeit „Passport II“ thematisiert das Verhältnis von privatem und öffentlichem Raum, genauer gesagt von Körper und Macht.

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Tatsache, daß unter den vielen verschiedenen Möglichkeiten, in unserer Kultur Identität zu konstruieren, eine davon dieses kleine Ding namens „Reisepaß“ ist. Der Paß identifiziert uns als jemand mit einem bestimmten Geschlecht, Geburtsort und -datum und einer bestimmten Nationalität. Darüberhinaus hat der Paß eine Nummer, die es nur einmal gibt und so auf sehr abstrakte Art eine Definition dessen darstellt, wer wir sind. Deshalb ist der Körper in unserer gegenwärtigen Kultur nicht nur durch das Fleisch definiert, sondern auch durch das Gesetz und vor allem durch die Sprache. Wenn wir deshalb Schmerz, Schwäche oder Lust mit dem Körper empfinden, so sind diese Empfindungen auch sehr stark mit dem Gesetz verbunden. Das bedeutet, wenn wir einen Paß sehen, sehen wir in Wirklichkeit einen Körper vor uns, da er eine Definition für einen Körper bildet, der von einem Ort zum anderen reisen kann, weil es einen Paß gibt, der ihn definiert. Der spezielle Paß, den ich ausgestellt habe, ist meine eigene Definition eines Passes; nur diese Stapel von Abbildungen im Format eines Passes, die das Publikum, wie meistens bei meinen Werken, mitnehmen kann. Es gibt keinen Text, nur diese Bilder von fliegenden Vögeln, die überall hinfliegen können, wohin sie wollen, ohne Restriktionen mit Ausnahme der physischen.

Wie ist diese Idee dieser „Stapel-Objekte“ entstanden?

Um 1989, als ich mit diesen „stack-pieces“ begonnen habe, kämpfte jeder in New York um Platz an den Wänden, und man hätte sich eine Schlägerei liefern müssen, um zwei Zoll an der Wand zu erobern. Deshalb habe ich gesagt: „Vergeßt die Wände, ich werde etwas auf dem Boden machen!“ Ein anderer Grund war, daß ich mich immer schon sehr für die Schriften Walter Benjamins interessiert habe und sehr davon beeinflußt bin. Deshalb wollte ich in meinen Arbeiten seine Thesen vom Verlust der Aura des Kunstwerkes und dem Ende des Originals berücksichtigen. Aber auf einer persönlicheren Ebene ging es darum, das „Loslassen zu lernen“. Zu diesem Zeitpunkt verlor ich gerade Ross und wollte deshalb alles verlieren; auch das, was sonst noch sehr wichtig für mein Leben ist: mein Werk. In meiner ersten Ausstellung bei Andrea Rosen (New York, 1990) habe ich nur „Stapel-Objekte“ gezeigt, und falls ganze Besucherscharen gekommen wären, hätte sich die Ausstellung aufgelöst, denn man konnte alles gratis mitnehmen. Es ist sehr eigenartig, wenn man eine Ausstellung macht und sieht, wie die Besucher der Galerie die eigenen Arbeiten nehmen und davontragen. Man würde gerne wissen, was sie wohl damit anfangen werden und möchte ihnen hinterherlaufen, um sie zu fragen. Dasselbe passierte täglich in meinem Leben, denn vor meinem Augen verschwand in einem langsamen Prozeß der Mann, den ich liebte.

Einige der Arbeiten drehen die Gesetze des Eigentums um, denn der Besitzer muß sie an den Betrachter verschenken!

Außerdem ist es wichtig, daß diese Arbeiten sehr demokratisch sind, denn wer immer sie besitzt, bestimmt, wie sie präsentiert werden und wie sie aussehen sollen. Es ist amüsant, daß sich Museen und Kunsthändler so schwer damit tun zu entscheiden, was sie mit den Sachen anfangen wollen. Deshalb schicken sie uns dauernd Faxe, in denen sie fragen, was sie damit tun sollen und wir faxen ihnen zurück: „Was immer Sie wollen!“ Und das können sie einfach nicht glauben.

Ihre Kunst ermöglicht andere Formen der Auseinandersetzung: statt passiver Kontemplation aktive Partizipation. So wurden die Tänzer in der Galerie nicht nur betrachtet, sondern das Publikum begann selbst zu tanzen!

Das war eine schöne Überraschung für mich, denn ich hatte ja zwei Paare engagiert, die kommen sollten, um zu tanzen, und plötzlich hat das Publikum selbst zu tanzen begonnen! Das ist mein Ideal, wenn sich etwas tut, wenn Bewegungen ausgelöst werden. Ich liebe den Betrachter und brauche ihn, denn ohne ein Publikum gibt es mein Werk gar nicht. Es hätte keine Bedeutung, sondern wäre nur eine weitere, langweilige Skulptur am Boden. Worum es bei meiner Arbeit geht, ist die Interaktion mit dem Publikum, sie entsteht erst durch weitgehende Zusammenarbeit mit ihm.

(Textfassung: Christian Muhr; publiziert in: Der Standard, 10.01.1996, S. 8)

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