KünstlerInnenporträts 37

Auszug aus einem Gespräch mit Tony Oursler

Das Medium Video hat in Ihrem Werk eine zentrale Funktion, wobei Sie es in Installationen häufig außerhalb des Bildschirms verwenden. Was interessiert Sie an dieser Technologie? 

Ich habe begonnen, mich für Video zu interessieren, weil dieses Medium Aspekte der unterschiedlichsten Arbeitsweisen und der verschiedensten Ausdrucksformen verbindet. Es hat graphische oder malerische Qualitäten, die ich in meinen ersten Arbeiten zu integrieren versuchte. Und dann erzählerische, sprachliche Elemente, akustische, musikalische Momente und natürlich auch Aspekte der Performance oder des Theaters.

Hat das auch damit zu tun, daß Sie zur ersten Generation gehören, die mit dem Fernsehen aufgewachsen ist?

Ja, ohne Zweifel. Ich wundere mich manchmal, daß nicht mehr Künstler damit arbeiten, denn wenn man in tausend Jahren auf unsere Kultur zurückblicken wird, dann wird man sie für eine Kultur der „Watcher“, der „Zuschauer“ halten, in der die Menschen den größten Teil des Tages damit verbrachten sich irgend etwas anzusehen. Zumindest in den USA ist das ziemlich verbreitet und zusätzlich entsteht durch die Computer noch eine andere Beziehung zum Bildschirm. Diese „Zeitfresser“ bewirken starke Veränderungen in der Weise, wie die Menschen ihre Zeit und ihre Körper verwenden. Ich glaube, daß in dieser ersten Generation die mit dem Fernsehen aufgewachsen ist, die definitive Auflösung von privater und öffentlicher Kultur passiert ist. Das Fernsehen ermöglicht eine persönliche und private Beziehung zu einem Medium, während das Kino im Gegenteil eine kollektive Situation bedeutet. Das Fernsehen ist ein erster, primitiver Schritt in einer Revolution der Gleichschaltung des Psychischen.

Von 1976 bis 1979 haben Sie am California Institute for the Arts studiert. Es scheint dort ein spezielles Klima geherrscht zu haben, in dem der Austausch zwischen Musikern und Bildenden Künstlern besonders intensiv war und eine spezifische Performance Kultur entstehen konnte.


Was dort entstand, basierte auf einem Amalgam aus der Konzept-Kunst und dem Interesse für die populäre Kultur. Wir hatten die Freiheit zu experimentieren, und es war die große Zeit, Barrieren niederzureissen. Die Vorstellung von Kunstfertigkeit, von Handwerk als Voraussetzung für die Produktion von Kunst wurde von der Idee der „ldee“ abgelöst, d.h. daß eine ausgefeilte Idee möglicherweise wichtiger ist als irgendeine Form des praktischen Könnens. Das lag vielleicht auch an unseren Lehrern wie Laurie Anderson oder John Baldessari, die daran interessiert waren, Grenzen zu überschreiten, und das hatte Einfluß auf unser Denken. Für Laurie Anderson war das Musik machen genauso wichtig wie alles andere, obwohl sie damals noch nicht als Rock-Star betrachtet wurde. Sie haben begonnen, die Video Bilder nicht nur auf einem Bildschirm, sondern auch auf andere Objekte und Materialien, vor allem auf Puppen aus Stoff zu projizieren.

Wie sind diese Installationen entstanden?

Ich habe versucht, die Grenzen des Bildschirms zu überwinden, denn ich fand sie sehr hinderlich. Das war auch ein formales Problem, denn ein Bildschirm beschränkt das Bild durch seine Proportionen. Ich habe deshalb mit Glas, mit Spiegeln und Reflexionen experimentiert, um das sehr wirksame Medium Video vom Bildschirm zu lösen, dessen Restriktionen dasselbe bedeuten wie einem Maler zu sagen er dürfe nur Leinwand einer bestimmten Größe verwenden. In den späten 80er Jahren habe ich mit kleineren Projektionen gearbeitet, die es ermöglichten, das Video-Bild vom Monitor zu trennen und die Dinge mit mehr Finesse zu gestalten, als ich es in den zehn Jahren davor getan habe. Die Idee mit der Puppe hatte eine eigenartige Entwicklung, denn neben figurativen Zeichnungen habe ich mich schon in den frühen Videos mit den verschiedenen Möglichkeiten beschäftigt, den Körper, Personen oder Charaktere oder psychische Zustände, die sich körperlich manifestieren, darzustellen. Mich hat immer die Frage fasziniert wie in den Medien Entitäten konstituiert werden. Was ist entscheidend dafür, daß das was wir „sehen“ auch zugleich als „seiend“ aufgefaßt wird? Darum geht es unterschwellig immer in meinen Arbeiten der letzten Jahre. Deshalb habe ich in den frühen Videos mit u.a. kleinen Puppen oder Papierstücken experimentiert und Teile des Körpers isoliert: die Hand, die Augen, die Genitalien. Damit versuchte ich, ein reicheres Vokabular an „Darstellern“ zu entwickeln und mich von der
Repräsentationsform durch Schauspieler im üblichen Sinn zu befreien.

Wie haben Sie diese Puppen oder „dummies“ in Ihre Installationen integriert ?

Es war ein großes Problem für mich, sie in den Installationen formal als Skulpturen zu behandeln, denn mich hat mehr interessiert, wie solche Objekte in der Wirklichkeit verwendet werden und nicht in der Kunstgeschichte. Puppen werden heute von vielen Künstlern gebraucht und dabei vielleicht etwas überstrapaziert. Ich wollte sie deshalb so einfach wie möglich herstellen, denn sie sind keine „objets trouvés“ sondern müssen gemacht werden. Sie sollten so aussehen, als hätte sie irgend jemand fabriziert, dem man gesagt hat „Wir brauchen eine Puppe und zwar in den nächsten zehn Minuten!“ und der sich dann umgeschaut und irgendeinen Mantel, ein Paar Hosen etc. genommen hat, um diese Sachen dann mit Zeitungspapier auszustopfen und eine Tasche als Kopf darauf zu setzen.

Sie erzeugen dabei immer sehr intensive psychische Stimulationen: Die Gefühle, die die „dummies“ ausdrücken, sind sehr stark. Sie verwenden dabei Emotionen, die von den Medien erzeugt werden und übertreiben sie bis zum Äußersten.

Das ist eine der Ideen, die mich immer sehr fasziniert hat, nämlich daß unsere Kultur vor dem Fernseher oder der Kino-Leinwand sitzt und dort eine Reihe von unterschiedlichen körperlichen und emotionalen Zuständen durchmacht. Warum wollen wir das, und wie realisieren wir das in den Medien? Was passiert dabei und wie werden diese Zustande hervorgerufen: vom Publikum oder werden sie für das Publikum erzeugt, und dessen Reaktionen sind nur Reflexe darauf ? Ich untersuche, warum wir so von traumatischen Situationen angezogen werden. Dabei geht es für mich um die Medien, da das ja ziemlich offensichtlich in den Medien der Fall ist.

Ihre Arbeiten können als Medien-Kritik gelesen werden und zugleich machen Sie dasselbe wie die Medien, denn Sie manipulieren sehr stark. Wie stehen Sie zur Manipulation?

Ich hoffe, es geht über bloße Manipulation hinaus, denn das ist etwas, das ich bei Leuten wie Spielberg verabscheue, die einen auf Befehl durch eine bestimmte Einstellung in einem Film zum Weinen bringen können. Ich hoffe, diese Arbeiten führen darüber hinaus, weil sie die Betrachter in einen Dialog verwickeln, warum so etwas mit ihnen passiert.

(Textfassung: Christian Muhr; publiziert in: Der Standard, 09.05.1996, S. 10)

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