Statements

Statement von Hans-Ulrich Obrist

Zur Erinnerung an meinen Freund Josef Ortner
Josef Ortner war ein Wegbereiter unter den Museumsgründern des 20. Jahrhunderts. Sein Denkansatz bestand darin, über die Institution, wie wir sie kannten, hinauszugehen, und neue Rituale für Räume zu ersinnen, in denen uns Kunst begegnet. Das 1990 inaugurierte museum in progress wurde durch Kathrin Messners und Josef Ortners Vision einer innovativen und weniger vorhersehbaren Vorstellung dessen, was ein Museum sein kann, zum Leben erweckt. Man verzichtete auf herkömmliche Ausstellungsformate und bediente sich anderer Präsentationsformen von Kunst und unterschiedlicher Zugänge zu ihr, darunter Fernsehen, Tageszeitungen, Plakatwände, und – bereits zu einem frühen Zeitpunkt – des Internets. Kunst wurde damit zum Teil des Lebensalltags. Die beiden hatten auch die wichtige Idee zum Projekt „Eiserner Vorhang“ – einer spannenden Ausstellungsserie, an der ich bis heute das Glück habe, gemeinsam mit meinem Kollegen Daniel Birnbaum und meiner Kollegin Bice Curiger beteiligt zu sein. Der Eiserne Vorhang des Jahres 2020 stammt übrigens von Carrie Mae Weems. Dieser Brandschutzvorhang macht die Wiener Staatsoper vorübergehend zu einem Ausstellungsort und aus dem traditionsreichen Haus am Ring einen Raum, der Projekte hervorbringt, die eine neue Form des Austauschs schaffen. Projekte wie diese sprechen für Ortners Interesse an der Produktion von Raum und daran, wie die uns zur Verfügung stehenden Räume anders gedacht werden können.

Ortners Ideen lassen sich zurückführen auf Menschen wie Alexander Dorner, den legendären Museumsdirektor und Förderer von Künstlern wie El Lissitzky, und László Moholy-Nagy, dessen Aussage, dass „das Museum heute nur als Wegbereiter Sinn macht“, immer noch ihre Richtigkeit hat. Dorner definierte das Museum als „Kraftwerk“. Sein Ziel war es, die damals angenommene Neutralität von Ausstellungsräumen neu zu konfigurieren. Er fasste das Museum als einen Raum des Flusses beziehungsweise der permanenten Transformation auf, der zwischen Objekt und Prozess oszilliert. In den 1920er-Jahren lud Dorner Lissitzky nach Hannover ein, um mit ihm das dynamische Ausstellungskonzept dessen zu entwickeln, was er „Museum in Bewegung“ nannte. Für Dorner war das Museum ein aktiver Raum, in dem nichts stationär war – im besten Fall nicht einmal das Gebäude selbst. Es wird nachvollziehbar, wie Dorners bahnbrechende Ideen Ortner und Messner bei der Konzeption von museum in progress inspirierten. Sie beschritten seinen Weg eines dynamischeren und ansprechenderen Raumes im Fluss.

Über die Jahre hat museum in progress einen von institutionellen Konventionen befreiten Umgang mit Kunst ebenso wie die Auffassung von einem Kunstwerk als etwas zugelassen, das über das bloße Objekt in einem institutionellen Raum hinausgeht. Mit den Worten Dorners ausgedrückt: „Der Prozessgedanke hat unser System der Gewissheiten durchdrungen.“

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