Statements

Statement von Cornelia Lauf

„Progress“ im Sinn von Fortschritt ist ein relativer Begriff. Bei den Projekten, die ich mit museum in progress umgesetzt habe, geht es eigentlich nicht so sehr um Innovation als vielmehr um sich verändernde Wahrnehmung. Ich habe einen Text zur großartigen Straßenplakat-Installation von Ken Lum geschrieben. Diese Installation forderte die Wiener Bürger*innen dazu auf, über die Bevölkerung der Stadt und ihre Werte nachzudenken und sich mit ganz allgemeinen Fragestellungen aus vielfältigen Themenbereichen auseinanderzusetzen. Wie jedes große Kunstwerk ist Lums Arbeit zeitlos. Und ihr Nutzen war zeitgemäß, vorausblickend auf eine weltweit aufsteigende Welle von Xenophobie und Angst in einer technisierten Welt, die durch Unverständnis Klüfte und die Sehnsucht nach einer „sicheren“ Vergangenheit entstehen lässt. Das Ergebnis dieses Unbehagens ist ein Rechtsruck, ein Zumachen und Sich-Einschließen, ein Festhalten an falschen Gründungsmythen. Dem wollten wir entgegentreten, mit einer Arbeit über Farbe und mit Botschaften, die subtil vermittelten, was richtig und was falsch ist.

Auch beim zweiten Projekt ging es um Wahrnehmung. Es handelt sich um ein mit Joseph Kosuth gestaltetes Plakat, entstanden zu einer Zeit, als wir im Vorstand der Amerikanischen Stiftung für AIDS-Forschung saßen. Es erschien als prächtig in Farbe gedruckte doppelseitige Anzeige in der Tageszeitung „Der Standard“. Thematisch ging es darum, sich auf eine neue, schreckliche Krankheit und die mit ihr einhergehenden Vorurteile einzustellen. Betrachtet man die gegenwärtigen Reaktionen auf Covid-19 – „die chinesische Grippe“, „Von den Franzosen versursacht!“, „Made in USA“, „von einem Deutschen in Italien eingeschleppt“, „die italienische Krankheit“ –, war unsere Art der Bewusstseinskampagne, die mit den unheimlichen Virusmolekülen als Akteuren arbeitete, dem aktuellen Einsatz öffentlicher Kunst in Zeitungen weit voraus und zeigte das Medium Kunst als eine Form der Reklame.

Das letzte Projekt, womöglich mein liebstes, war ein kurzer Beitrag, um den mich museum in progress bat, als ich gerade meine zweite Tochter Klio geboren hatte. Ich konnte kaum einen Gedanken fassen und führte mit Bedauern mein Geschlecht als Entschuldigung dafür ins Treffen, nicht „professionell“ zu handeln. Ich gestand meine Verfassung und meine Prioritäten – das Muttersein – ein und habe es nie bereut, zugunsten der Vollzeitaufgabe als Ehefrau und Mutter auf eine sichtbarere Karriere verzichtet zu haben.

Jetzt bin ich fast 60 und habe viel Kunst im Namen des Fortschritts gesehen, seltener jedoch Fortschritt im Namen der Kunst. Das Unterfangen von museum in progress an sich war und ist ein bedeutender Schritt, um zu zeigen, was heute möglich ist: den Hammer namens Kultur in die Hand zu nehmen, um falsche Wahrnehmungen und Xenophobie zu zerschmettern; das Forum des öffentlichen Raums als Bühne zu nutzen, um Publikumsschichten anzusprechen, die es vielleicht nicht ins Museum schaffen; drängende gesellschaftliche und politische Anliegen ins Reich der großen Ästhetik zu überführen – das sind die Herausforderungen, denen sich diese wundervolle Vereinigung unter breitem und begründetem Beifall gestellt hat.

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