Message as Medium

Artikulatorische Praxis

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Üblicherweise gehen die technischen Schwierigkeiten, die die Realisierung eines künstlerischen Projekts begleiten, im fertigen Produkt unter. Hinter Andeutungen und vielsagenden Blicken verborgen, überstrahlt und rechtfertigt das Ergebnis in seiner Vollendung alle Ungereimtheiten. Nicht so bei dem Projekt, von dem ich nun erzählen möchte: Hier machen die Widerstände und Turbulenzen zwischen Produktionsprozess und Interessensausgleich der daran Beteiligten einen wesentlichen Teil des Inhalts aus, der von den fertigen „Werken“ keineswegs verschluckt wird. Widerstände und Hindernisse sind bereits Teil der Rezeption, die damit unmittelbar in die Produktion eingreift. Als Modellfall dafür, wie Öffentlichkeit erzeugt und erstritten wird – dahingehend, dass der liberalen These vom freien Spiel der Meinungen jener konfliktreiche Entscheidungsprozess vorangeht, der eben nur gewisse Meinungen zu diesem Spiel zulässt, werden die Eingriffe von Interessen deutlich, die die Meinungen lancieren und somit Öffentlichkeit steuern.

Die Idee der Vernetzung, die von Computersystemen auf die korporative Ordnung der Konzerne übertragen wurde, lässt sich von hier aus deutlich als ein Versuch zur Minderung von Reibungsverlusten in der Öffentlichkeits-Arbeit verstehen. Sie liegt auch jenem Konzept zugrunde, das die Medienausstellung „Die Botschaft als Medium“ ermöglichte. Der Verein museum in progress setzte sich nämlich zum Ziel, Wirtschaftsbetriebe als Sponsoren (Austrian Airlines, zum Teil die Expo AG), Medien als beteiligte Förderer (Cash Flow, Der Standard) und Künstler bzw. Kuratoren miteinander nach Maßgabe einer „immateriellen Architektur“ zu vermitteln und im Abstand von jeweils einem Monat im ganzen zehn künstlerische Projekte zu realisieren. Ein Manko dieser Konstruktion lag bei aller Offenheit und extremem Einsatz des Vereins höchstens darin, von allzu harmonistischen Vorstellungen seitens der Kunst auszugehen. Die Verschiebung des Werteparadigmas innerhalb der Kunstszene auf – gegenüber den 80er Jahren – stärker konfliktorientierte Positionen verlangte, alle Beteiligten zu überzeugen, dass naiver Kunstenthusiasmus nicht ausreicht, kommunikative Prozesse zwischen verschiedenen Interessenssphären in Gang zu bringen. Folgende Interessen galt es nun zu koordinieren:

Cash Flow (1985 gegründet) ist ein österreichisches Wirtschaftsmagazin, das seine Leser dahingehend konditioniert, Finanzflüsse in strikt asexuelle Erregungswerte umzusetzen. „Das Abenteuer Wirtschaft“, so der Untertitel des Magazins, das dazu schön zu sein verspricht, will nicht coole Gewinne machen, sondern zur Spekulation animieren, deren Scheitern für neue fröstelnde Schauer sorgt. Kunst fungierte zwischen diesen Seiten bisher ausschließlich als ein alter ego der eigenen Auffassung.

Der Standard hingegen, eine Tageszeitung noch jüngeren Datums (1988 gegründet), ist ein prinzipiell kulturorientiertes Blatt. Projekte verschiedenster Art sind ihm generell willkommen, weil sie Aufmerksamkeit erregen in der Anfangsphase einer neuen Zeitung und weil sie die liberale Attraktivität, zwischen dem gewichtigen Wirtschafts- und dem konservativen Politikteil, der von seinen noch konservativeren Lesern freilich für linkslastig gehalten wird, belegen.

Austrian Airlines sah das Projekt anfangs wohl schlicht als eine Chance billiger Werbung und gleichzeitig als einen Einstieg ins Kultursponsoring. Nach den ersten Einschlägen, die völlig unvorbereitet trafen, nämlich Heimo Zobernigs „leeren“ Seiten, die doch gar keine waren, sondern jenes klassische, aus den vorgegebenen Informationselementen (und dem Begriff „Subsistenz“) bestehende Rahmenthema, das einerseits das „Medienfenster“ der Ausstellung öffnete, andererseits die Projektionen der Betrachter in den Leerraum hineinführte; und nach Clegg & Guttmanns direkter und unveränderter Übertragung einiger Seiten (Redaktion und Werbung) aus einer jüdischen New Yorker Tageszeitung in die beiden österreichischen Medien, musste diese Position revidiert werden. Austrian Airlines fand schließlich zu einer positiven, das Projekt als Projekt fördernden bzw. das Konfliktpotential als Spannungsträger akzeptierenden und daher zumindest mittelfristig prestigeträchtigen Haltung.

Die Expo zog aus den ersten beiden Arbeiten eine andere Konsequenz und kündigte den Sponsorvertrag, der insbesondere das Abwicklungsbüro betraf. (Mit dem Referendum im Mai dieses Jahre folgte die Strafe auf dem Fuß: aus für die Expo!) Die dritte Arbeit ließ dann bei Cash Flow die Alarmglocken läuten: Christian Philipp Müller brachte ein Interview mit zwei Schlossherrn (Daxer aus München und Eybesfeld aus Wien), die beide in sehr unterschiedlicher Weise als Sammler und Förderer der Kunst der 90er Jahre aufzutreten wünschten, und zwar mit schonungsloser Offenheit über ihre Motivationen und Erwartungen. Da der Artikel im Layout bis ins Detail einem normalen Cash Flow-Artikel nachgemacht war, fürchteten nun die Herausgeber um ihre Leserschaft. Zu diesem Punkt hieß es: Ihr könnt alles machen, nur keinen normalen Cash Flow-Artikel, worauf lauter „Bezahlte Anzeige“-Aufdrucke das Interview zierten.

Bei Mark Dions Projekt, einer bunten Collage über den Regenwald, herrschte erstmals gespannte Ruhe auf allen Seiten, wenngleich ein gewisses Misstrauen darüber durchdrang, dass das Logo von Austrian Airlines gerade über dem Bild eines abgebrannten Waldes zu liegen kam.

Als nächster sollte Thomas Locher folgen. Doch vorerst ein Wort zu den Interessen der Künstler: Durch die Abfolge der Projekte entstand eine Konkurrenzsituation, die mehr oder weniger unbewusst darauf zielte, das ganze „Ding“ irgendwie hochgehen zu lassen, was zu interessanten, speziellen und zum Teil auch weit schärferen Lösungen im Vergleich zur sonstigen Galerieproduktion führte. Locher schickte jene subtile linguistische Analyse des Satzes: „Alle Soldaten sind potentielle Mörder“. Um diesen Satz gibt es in der Bundesrepublik seit mehr als fünf Jahren eine Prozessserie, die kein Ende nehmen will, und sein Abdruck in medialer Form hätte, trotz der Anführungszeichen, schlicht das Faktum seiner Aussage wiederholt, mit ähnlichen Konsequenzen in Österreich, so zumindest die Auskunft unseres Rechtsbeistands. Für die beiden Medien war diese Arbeit durch ihre, wenn auch nur scheinbare, Verunglimpfung eines Teils ihrer Leserschaft (das eigentliche Thema der überaus präzise durchgeführten Arbeit war der Umstand, wie man für eine konjunktivische Aussage faktisch verurteilt werden könnte) von vornherein unakzeptabel. Die Lösung bestand nun darin, im Einverständnis mit dem Künstler eine andere Arbeit von ihm, nämlich schwarze Streifen, über die „belasteten“ Sätze zu legen, damit die Zensur zu thematisieren und den Originalbeitrag am Ende der Medienausstellung im Sammelband aller Beiträge für das Kunstpublikum gesondert zu publizieren. Es folgte Werner Büttner: „VERSUCH ÜBER EIN DING UND SEINE KEHRSEITE“: Ein vergrößerter Schilling von vorn auf glänzend-schwarzem Grund und einer von hinten mit herausgeschnittener Arschritze. Auch ein Beitrag zum Cash Flow, der am Tag seiner Veröffentlichung Beistand von oben erhielt: Die gesetzwidrig waffenexportierende Firma Noricum wurde um einen Schilling privatisiert. Im Standard kam der Golfkrieg dazwischen. Büttner reagierte schnell und gab die Losung aus: „Wehe den vom Sieg Besuchten!“, der Lorbeerblätter in der Warentüte gegenüberstanden.

Michael Krebber reproduzierte, kontrafaktisch zu allen bisherigen Arbeiten, Malerei auf seinen Seiten, wenn auch nicht die eigene, sondern Polaroids nach Bildern seines Kollegen M. B. aus der Baselitz-Klasse von 1975, der inzwischen längst nicht mehr malt. In ähnlicher Weise hatte Krebber in einer Ausstellung (Galerie Nagel, Köln) eine eigene Arbeit aus dieser Zeit gezeigt, um zu demonstrieren, „dass er eben jetzt nicht male“. Inzwischen malt Krebber wieder, und der Verweis auf ein anderes, sehr persönliches „Ende der Malerei“ wird zu einer Art Spurensicherung sozialer und künstlerischer Identität.

Stephen Prina besann sich wieder der Medien: Die deutsche Fahne (in einem österreichischen Medium) dient ihm als Farbflächengrund, auf dem ein „hoher“ und ein „niedriger“ Stil zusammengebracht werden. „Johanna Fähmel's Monologue“, der legendäre Deutschland-Monolog aus Heinrich Bölls „Billard um halbzehn“, kündigt eine saftige Eigenwerbung an: „A book by Stephen Prina coming soon from Galerie Gisela Capitain, Köln“. Die heraldisch umgesetzten Farbflächen, der Monolog und die Eigenwerbung sind aus Prinas Arbeitszusammenhang heraus immer auch als Re- und Dekonstruktionsarbeit an modernistischen Elementen zu lesen.

Die letzten beiden Projekte wollten die Problemstellung von Anfang an rekapitulieren und gewissermaßen auf den Punkt bringen: Fareed Armaly, indem er seine vier Cash Flow-Seiten dem Sponsor zurückverkaufte und dort normale Austrian Airlines-Werbung zeigte, und Andrea Fraser, indem sie alle Reaktionen auf das Projekt, insbesondere Leserbriefe an die Medien, Telefonanrufe mit zum Teil wüsten Beschimpfungen, aber auch zustimmende und den Sponsor ermunternde Äußerungen, sowie Passagen aus dem Vertrag, der internen Korrespondenz und den Aussendungen in collagehafter Anordnung zusammenpresste und somit Konstruktion und Rezeption des gesamten Projekts in die eigene Produktion einfließen ließ. Das Medienfenster war damit wieder geschlossen, nur die Diskussion um Armalys Arbeit konnte aus zeitlichen Gründen nicht mehr aufgenommen werden. Kam es doch dabei zum vehementesten Eingriff eines der Medien (Cash Flow), der den wunden Punkt zwischen Kunst und Werbung offenlegte (Devise: Ihr könnt alles machen, nur keine „echte“ Werbung). Wohl um sich nicht dem Druck der anderen Anzeigenkunden auf billigere Werbeseiten auszusetzen, wurden die Austrian Airlines-Logos auf den ansonsten unveränderten Werbeseiten schwarz überdeckt und der Satz hinzugestellt, dass es sich hier um Kunst und nicht um Werbung handle. Dies widersprach sowohl den Tatsachen als auch direkt dem Text Armalys, den dieser in gehörigem Abstand von den vier Seiten am Ende des Heftes hinzufügte. Auch dieser Text konnte deshalb nicht unbehelligt stehen gelassen werden: Ihn ziert nun das „Bezahlte Anzeige“ und der Hinweis, dies sei ein fiktives Interview zwischen dem Kurator der Ausstellung und dem Künstler, was ebenso unklar wie unwahr (was dann: dumm?) war. Der wunde Punkt ist nun der, dass ein solches Medium zwar Raum für Kunst zur Verfügung stellt, aber jeden Versuch, diesen dazu auszunutzen, in das Reale eines Heftes einzudringen, gewaltsam verhindert. War Armalys Arbeit daher ein Fehlschlag? Sie funktionierte sicher nicht mehr in dem Sinn, in dem sie ursprünglich gemeint war. Doch zeigten die Sperren, die das Medium errichtete, nicht um so mehr, worum es ging? Es könnte so sein, läge nicht der Verdacht nahe, ein Misslingen in einen Erfolg umzuinterpretieren und dem Interesse des Kurators, der gleichzeitig Autor dieser Zeilen ist, ein Freispiel zu verschaffen.

(1991)

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