Marlene Dumas: Ich habe nie nach der Natur oder nach Beobachtungen gearbeitet. Eine Zeit lang, beeinflusst vom abstrakten Expressionismus, war ich grundsätzlich dagegen. Ich hielt es für dumm, obwohl ich selbst vereinfacht dachte damals, aber so war das Denken: einen echten Baum oder Menschen einzufangen. Mir erschien es dumm, weil Malen unnatürlich ist. So fern der Natur ist es, ein Konflikt zwischen Objekt und Kunst, dazu mein Desinteresse am äußeren Erscheinungsbild. Ein weiterer Konflikt hielt mich lange fern von Figuren in der Malerei. Ich wollte Aussagen machen über Gefühle, Beziehungen, das trieb mich an. Malt man Küssende, bleibt es Illustration, erreicht nie die Wahrheit. Bei Newman sieht man eine Band. Irgendwann dachte ich: Es war nicht so, dass die Erkenntnis plötzlich kam. Es war ein langer Weg dahin. Mit Fotos, so erkannte ich, ist man in verzerrter Realität. In flacher Dimension. Nicht in der Tiefe des Lebens. Das gefiel mir. Fotografie gab Freiheit, steht trotz ihrer Mängel der Natur näher, kann dokumentieren, subjektiv zwar. Sie dient als Dokumentationsmedium. Film und Foto zeigen besser den Unterschied zwischen Wahrheit und Fiktion. Die Malerei hingegen dokumentiert nicht. Man gerät dabei unweigerlich in philosophische Fragen. Eine Zeit lang erschien mir die Collage als ideale Lösung. Ich verwendete Fotografien, ältere Werke, die sich mit meiner jetzigen Malerei verbinden. Ein frühes Werk hieß „Crimes of Passion“, darin Menschen, tot in ihren Betten. Die unscharfen Fotos wirkten wie expressive Flecken, doch durch den Buchkontext und dokumentarischen Charakter akzeptierte man sie. Ich ergänzte eigene Gesten, ganz schlicht gesagt. Anfangs vereinte die Collage alles perfekt, wurde jedoch mit der Zeit langweilig. Vielen Amerikanern ging es ähnlich. Wie Baldessari versuchte ich später, die Bilder aufzublasen, meine Handschrift zu vergrößern. Das überzeugte mich nicht. In kleineren Collagen behielt ein Foto seine Intimität, anders als vergrößert. Allein der Maßstab veränderte die Aussage. Wer gerne zeichnet, ist nicht gleich Künstler. Stets zweifelte ich an meinen Fähigkeiten. Die Frage war nochmal?
Robert Fleck: Das Psychologiestudium.
MD: Ach ja, Psychologie. Die Kunst erschien zu selbstbezogen. Kunsttherapeutin wollte ich werden, um weiter malen zu können. Lange brauchte ich, meine Berufung anzunehmen. Mich Künstlerin zu nennen, statt ewige Studentin. So war das damals. Der Begriff befremdete mich. Frage nie: „Sind Sie Künstler?“ Machen das Franzosen so? Sage lieber: „Machen Sie Kunst?“ Das klingt hier angemessener.
RF: Zur Psychologie: Interessierte Sie mehr das Experimentelle oder die Analyse?
MD: Ich scheiterte letztlich an der Statistik. Sie blieb mir unbegreiflich, das ganze Fach. Zwei Jahre vergebliche Mühe. Psychoanalyse und Behaviorismus faszinierten mich, wollte beides irgendwie zusammenbringen. Doch ich kam nicht weit, die Statistik blockierte, anfangs sehr theoretisch. Als Versuchsperson lernte ich die Experimente kennen. Sie überzeugten nicht. Schienen mir sinnlos.
RF: In Ihren Arbeiten spielt Sprache eine zentrale Rolle. Direkt in den Zeichnungen. Und im Gemälde ist es der Bildtitel. Bei Einzelausstellungen gaben Sie dann Texte dazu, welche Funktion das für Sie hat, für die Arbeit und so weiter.
MD: Ja, mir war schon lange klar, dass Gemälde – und nicht nur Gemälde – nun, da haben Sie John Berger und all die anderen, die darüber viel besser geschrieben haben als ich es könnte. Die Tatsache ist, dass man ein Gemälde für alles nutzen kann, tatsächlich sogar Eis oder Parfüm verkaufen. Es geht also nicht ums Bild selbst. Im Zeitalter der Reproduktion löst sich das Bild auf. Deshalb werde ich oft missverstanden, denn in Holland sagen viele Leute immer: „Ach ja, ich habe die Bedeutung zurückgebracht.“ Ich habe auch viele weibliche Fans, weil sie sich freuen, dass eine Frau auch malt, aber oft, verstehen Sie, lieben die Leute einen aus falschen, nicht völlig falschen, aber vereinfachten Gründen. Ich glaube nicht, dass etwas ohne Kontext existieren kann. Und wenn man den Kontext nicht selbst vorgibt, dann tut es eben jemand anders.
KünstlerInnenporträts 23
Gespräch mit Marlene Dumas
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