Eiserner Vorhang 2024/2025

Einführung

Liebe Opern- und liebe Kunst-Freundinnen und Freunde!

Pipilotti Rist ist eine Pionierin im Einsatz von digitalem Bild und Sound – und von Anfang an bezog sie auch den Raum ein, das Atmosphärische, die sinnlich gesteigerte Kommunikation mit dem Publikum. Vor allem: Es gelang ihr, dem einst als kalt verschrienen Medium Video eine Art Wärme-Induktion zu verpassen. Rists künstlerische Praxis hat viel mit der Oper gemein. Wie kaum jemand in ihrer Generation hat sie die Idee vom Gesamtkunstwerk in die digitale Zeit übertragen. Wie die Oper hat ihre Kunst auch große Breitenwirkung und eine rahmensprengende Kraft.

Diese Künstlerin kennt die Gesetze der Übertragung von Bild und Tönen auf Körper… Und jetzt sitzen Sie ja entspannt im Sessel und wir alle haben die psychedelische Sausefahrt einer schematisierten aber zugleich absolut realistischen Bauchhöhle miterlebt. Sie müssen zugeben, dass man vor diesem Vorhang sofort die Schwingen auszufahren beginnt – gerade so, als hörte man schon die Alpensymphonie…!

Doch Pipilotti Rist setzt ein Paradox in den Raum in einer Reibung von Freiheit und Unfreiheit. Denn: Die Vorstellung im Computertomographen zu liegen, übermittelt vor allem auch das klaustrophobische Gefühl, eingeengt, gefesselt, immobilisiert zu sein! Doch Rists Blick ins Innerste unserer Körper ist davon befreit und suggeriert vielmehr das, was keinem Computertomographen je gelungen ist: Dass wir hier auf den verborgenen Sitz unserer Seele zu treffen im Stande sind.

Eine enorme Weite öffnet sich… Und doch, da ist eine unübersehbare Hürde im Raum. Der größte Teil des Bildes ist davon eingenommen. Wir sitzen eigentlich direkt vor den riesigen Massen von zurückgedrängtem Wasser eines Stausees. Wir spüren das Potenzial des Berstens, den Überdruck und die Gefahr des Nachgebens. Die Farbverschiebungen der Landschaft: Entsprechen sie diesem Überdruck, etwa in unserem Gehirn? In unserem Wahrnehmungsapparat?

Da hilft nur die totale Hingabe an das uns tragende Element, sei es das Wasser oder die Luft, und damit liegt das Schwimmen als Fisch nahe, oder das Fliegen als Vogel oder als Astronaut durchs All.

Dann ist das Überfliegen der Staumauer kein Problem! Und siehe da, das viel beschworene ozeanische Gefühl überwältigt uns: Wie beim Erleben von Musik? Schwerelos sein – kommt man nicht deswegen hierher? Natürlich ist die Staumauer symbolisch und steht für den Mechanismus einer Psyche, die abblockt, welche die Hingabe an den Fluss und das Fließenlassen verhindern will.

Mit diesen „Ozeanischen Gefühlen“ hat sich auch Sigmund Freud befasst. Er definierte es so: Es ist „das Gefühl einer unzerbrechlichen Verbindung zwischen sich selbst und der Außenwelt.“ Auch Freud lebte damit in einer paradoxen Situation. Er kannte wohl die ozeanischen Gefühle, – auch wenn vielleicht nur vom Hören-Sagen – denn er hat sie bestens beschrieben, und doch hat er selbst sich dagegen gesperrt, sich ihnen hinzugeben. So bekannte Freud einmal: „Eine rationalistische oder vielleicht analytische Anlage sträubt sich in mir dagegen, dass ich ergriffen sein und dabei nicht wissen solle, warum ich es bin und was mich ergreift.“

Freud, der auch behauptete, er sei ganz unmusikalisch, war immerhin der große Seelendoktor! Mit wieviel Empathie, Musikgehör und visueller Kenntnis hat er in die Seelen gehorcht und geblickt. Die Seele – die ANIMA, die viel besungene anima mia – gerade hier in der Oper wurde und wird sie so oft beschworen in den höchsten und tiefsten Tönen! Die Seele und die Oper – eine enge Symbiose, ja, die Oper will uns ergreifen.

Hier sagt uns nun Pipilotti Rist, durch die Anrufung und in der Reibung mit dem Bild der entwickeltesten Technologie, wie sehr diese immer wieder umkreiste Seele im Kern unseres Körpers schlummert. Sichtbar gemacht durch den Sog eines technologisch beschworenen Vakuums. Mit Pipilotti Rist sagen wir deshalb einmal mehr: Vorhang auf und Bühne frei für die Seele der Oper!


Diese Ansprache wurde von Bice Curiger bei der Eröffnung der Kunstwerks am 24.09.2024 in der Wiener Staatsoper gehalten.

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