Am Ende des 20. Jahrhunderts bleiben in der Kunst nicht viele Tabus übrig. Geld aber ist weiterhin ein Thema, das zu einer wohlerzogenen Konversation über Kunst nicht paßt. Die Gleichung „Gute Kunst ist gleich hoher Geldwert“ wird nicht ausgesprochen, ist aber um so präsenter. Der Insider schließt aus ihr auf die Bedeutung der Kunst in der Gegenwart. Das breitere Publikum wieder empfindet durch sie Verwirrung, Aufregung und Anreiz. Kunstschriftsteller versuchen zumeist, sich vom Thema „Geld“ gar nicht erst anstecken zu lassen, steht es doch den geistigen und gehobenen Aspekten der Kunst scheinbar im Wege. Dabei trägt ein gewisses Bewußtsein dafür, wie Geld heute mit Kunst verstrickt ist, zum Verständnis der zeitgenössischen Kultur durchaus bei.
Das gemeinübliche Bild der Qualität von Kunst setzt voraus, daß Kunst mit anderen Faktoren zusammenhänge als Handel und Währung. Es lautet etwa, die Güte eines Kunstwerks, und damit auch die Begierde, es zu besitzen, seien die wichtigsten Ursachen für den Handelswert und den Preis. Der umgekehrte Fall, nämlich daß der Wert eines Werks seine Qualitätseinschätzung beeinflußt, scheint unvorstellbar – Hieße das nicht den Pflug vor den Ochsen spannen? Dennoch ist diese befremdliche Perversion ebenso wahr wie die erste Hypothese. Entgegen beständiger Klagen in konservativen Kunstkreisen gibt es so etwas wie einen objektiven Qualitätsmaßstab in Kunstbelangen natürlich nicht. Jede Einschätzung bezieht sich auf die Wahrnehmung des Betrachters, und diese ist immer auch davon beeinflußt, was der Betreffende vom Marktwerk des Kunstwerks weiß. Das zählt zum vielfältigen geistigen und kulturellen Gepäck, das man zum Schauen im Museum mitbringt. Wenn der Betrachter denkt, ein bestimmtes Kunstwerk es sei eine Menge Geld wert, bildet sich eine Erwartungshaltung aus, die sich fast immer ihre visuelle Befriedigung schafft.
So hat der Kunstmarkt durchaus einen Einfluß darauf, was und wie wir es sehen. Ein anderer Fall tritt ein, wenn eine bislang unbekannte Kunstrichtung fashionable wird. Dann kann die Kaufsucht der Sammler erbarmungslos werden. Im heutigen, an einer schlechten Konjunktur leidenden Kunstmarkt haben die Sammler weit mehr Macht, als man gemeinhin zugibt. Da die Händler weniger verkaufen und die Preise niedriger sind als in den achtziger Jahren, schlägt die Verkäuflichkeit von Kunst stärker als zuvor auf ihre Chancen durch, ausgestellt zu werden. Wenn es schwierig ist, die Galerie durchzubringen, wird Geld noch entscheidender für die Sichtbarkeit von Kunst. Wer kümmert sich in New York noch darum, ob eine Galerieausstellung gute Kritiken erhält? Wenn in einer Ausstellung heute nichts verkauft wird, hat der Künstler kaum eine Chance, in den nächsten Jahren wieder eine Galerie zu finden. Die Alternativen zum Galeriesystem ebnen nicht nur in den Vereinigten Staaten heute noch keineswegs den Weg zu einer internationalen Künstlerkarriere, und so sind junge Künstler nolens-volens gezwungen, den Markt zu respektieren.
Wenn der Künstler dann um die Vierzig ist und sich einen gewissen Sammlerkreis erarbeitet hat, bremsen die finanzielle Sicherheit und der Lebensstatus seine Bereitschaft, in der künstlerischen Arbeit Risiken einzugehen und nach neuen Wegen zu suchen. Wie viele Künstler gibt es nicht, die einen Mittelklassen-Lifestyle zumindest unbewußt nicht durch eine Wendung ihres Werks gefährden wollen? Vielfach wird es mehr respektiert, eine bestimmte Werkform ins Unendliche zu wiederholen, bis jedes Museum in Europa, den USA und Japan ein „typisches Werk“ des Künstlers erworben hat. Dieser etwas unglückliche Mechanismus bestimmt die Kunst leider viel zu sehr. Er stellt das Gegenteil eines Systems dar, das Erneuerung, Experiment und Risikobereitschaft produziert.
Es ist schwierig, zu sagen, inwieweit die Künstler, die willige Opfer dieses Systems sind, sich dabei kompromittiert fühlen. Denn die Anerkennung ist oft durch eine möglicherweise schlaue Bewegung auf dem Markt bedingt. Strategiegespräche zwischen Künstlern und Händlern finden stets hinter geschlossenen Türen statt. Diese Händlerstrategien können hochentwickelt sein und sind dazu bestimmt, den Erfolg des Künstlers bei Kritikern und seinen Geldwert sicherzustellen. Das Um und Auf ist dabei die „Plazierung“ von Werken in bekannten Kunstsammlungen. Wenn eine Ausstellung gut läuft, gibt es mehr kaufwillige Sammler als verfügbare Kunst. Das kann ein guter Händler entscheiden, wem ein Werk verkauft wird und wem nicht. Dem Betreffenden wird das nicht gesagt. Der Unglückliche, der das Werk zwar leicht bezahlen könnte, aber nicht das entsprechende gesellschaftliche Prestige besitzt, hört dann, die Ausstellung sei ausverkauft, während man einem schicken Sammler gerade den Hit der Ausstellung anbietet.
Noch deutlicher läßt sich das am Schauspiel des Auktionshauses ablesen. Die heimliche Gleichung von Kunst und Geld war hier immer der Verschwiegenheit enthoben und paradiert in vollem Ruhm. Zumindest einmal sollte jeder Kunstinteressierte eine große Auktion impressionistischer Gemälde besuchen, um die verblüffende Meute von Händlern und Sammlern in voller Aktion zu beobachten und die Explosion euphorischer Energie zu erleben, die ausbricht, wenn große Geldsummen den Besitzer wechseln. Auktionsergebnisse werden öffentlich verlautbart und sind die einzigen kunsthändlerischen Ereignisse, über die man nicht flüsternd spricht. Doch selbst bei den Auktionen ist die unnoble Praxis des Handelns durch hybride Prozeduren verwischt. So müssen die Bieter in der großen Kunstauktion sich keineswegs durch Rufe oder andere Zeichen zu erkennen geben. Sie geben nicht einmal einen Ton von sich. Es wird von ihnen gar nicht erwartet. Auch wenn ein Sammler erst in das Bieten einsteigen will, nachdem dieses längst begonnen hat, gibt es dafür einen diskreten Mechanismus. Die strategisch im Raum aufgestellten Mitarbeiter des Auktionators lassen wie hungrige Tiere ihre Augen von Gesicht zu Gesicht wandern, um die leiseste Regung zu erhaschen. Ihre regelmäßigen Rufe und gutturalen Laute erhöhen die greifbare Energie der Kunstmarkt-Jagd. Gewiß sind Auktions-Trends von vielen äußerlichen Umständen abhängig, doch bietet der Auktionssaal ein einmaliges Klima, das als der Puls des Kunstmarkts angesehen werden kann. Denken wir zuletzt an den absurden Status von Kunstwerken, die den festgelegten Mindestpreis verfehlen und unverkauft bleiben. In Kunstmarktsprache sind sie „verbrannt“, das heißt praktisch unvermarktbar, bis in einigen Jahre die Erinnerung an ihre Unbegehrtheit geschwunden ist. Fragen Sie einen Händler, ob er nach einer solchen Episode das Kunstwerk anders betrachtet.
Hat das alles etwas mit Kunst und ihrer Bedeutung zu tun, mögen Sie sich fragen? Nun. Obgleich es mir anders lieber wäre, muß ich doch mit „Ja“ antworten. Auf dem Kunstmarkt sind hohe Einsätze im Spiel. Und auf vielen heimlichen Wegen beeinflußt dieses Geld unser Sehen und die Wahrnehmung, sobald wir Kunst betrachten gehen.
Susan Hapgood, geb. 1955 in New York, lebt in New York als Kunstkriterin und Publizistin. Kuratorin der Sammlung Woodner Family Collection in New York. Organisierte 1994 die Wanderausstellung „Neo-Dada: Redefining Art 1958–62“ über Pop Art, Happening und Nouveau Réalisme.
Symposion 19
Doppelhelix Kunst und Geld. Über die Mechanismen des Kunstmarkts
AutorInnen