An Dr. Thomas Klestil
Sehr geehrter Herr Bundespräsident!
Wir wenden uns an Sie, um unsere tiefe Sorge über das Urteil des Wiener Landesgerichtes gegen Univ.-Prof. Dr. Anton Pelinka zum Ausdruck zu bringen. Professor Pelinka wurde wegen übler Nachrede für eine Aussage in einem Interview über Jörg Haider, den ehemaligen Bundesparteiobmann der FPÖ und amtierenden Landeshauptmann von Kärnten verurteilt, das er vor einem Jahr einem ausländischen Fernsehjournalisten gewährt hatte. Es hat uns weder überrascht noch besonders betroffen gemacht, als wir erfuhren, dass Haider wieder einmal ein Gerichtsverfahren wegen übler Nachrede eingeleitet hatte: dies ist sein Recht, und es ist bei ihm auch schon längst zur Gewohnheit geworden. Sehr besorgniserregend hingegen finden wir die Bereitschaft eines österreichischen Richters, diesen leicht durchschaubaren Versuch Haiders gutzuheißen, das Gerichtswesen zu missbrauchen, um seine Kritiker einzuschüchtern. Das Urteil zielt daher nicht nur darauf ab, durch die Gefährdung seines Lebensunterhalts Prof. Pelinka mundtot zu machen; wenn dieses Urteil nicht entschieden bekämpft wird, droht vielmehr die Gefahr, Meinungsfreiheit und politische Debatte in Österreich zu genau jenem Zeitpunkt einzuschränken, wenn sie am meisten gebraucht werden. Viele österreichische StaatsbürgerInnen, sowie viele FreundInnen Österreichs im Ausland zeigen sich besorgt, dass in Österreich demokratische Rechte möglicherweise gefährdet werden könnten, seitdem die Österreichische Volkspartei letzten Februar beschlossen hat, eine Regierung mit der FPÖ Haiders zu bilden. Wir betrachten die Verurteilung Pelinkas in erster Instanz als ein Warnsignal, welches man sehr ernst nehmen muss. Wir ersuchen Sie daher nachdrücklich, zu diesem Urteil Stellung zu nehmen und von den Ihnen zustehenden verfassungsmäßigen Befugnissen, sowie von der moralischen Autorität Ihres Amtes Gebrauch zu machen, um nicht nur Pelinka in Schutz zu nehmen, sondern auch um einen möglichst breiten Spielraum für politische Kritik an Inhabern öffentlicher Ämter zu schaffen und zu bewahren.
Wie Sie zweifellos wissen, strahlte am 1. Mai 1999 die italienische Fernsehanstalt RAI einen Bericht über die politische Karriere Jörg Haiders aus. Einer von jenen, die zu diesem Thema in einem Interview befragt wurden, war Prof. Pelinka, der seit Jahren im Ausland als Experte österreichischer und europäischer Politik, und als einer der international bekanntesten SozialwissenschafterInnen Österreichs großes Ansehen genießt. Während dieses Interviews sagte Pelinka unter anderem: „Haider hat in seiner Karriere immer wieder Aussagen gemacht, die als Verharmlosung des Nationalsozialismus zu werten sind. Er hat einmal die Vernichtungslager Straflager genannt. Insgesamt ist Haider verantwortlich für eine neue Salonfähigkeit bestimmter nationalsozialistischer Positionen und bestimmter nationalsozialistischer Äußerungen.“
Auf Grund dieser Aussage wurde Pelinka vom Wiener Landesgericht wegen übler Nachrede verurteilt. Zudem wurde ihm eine Geldstrafe in Höhe von öS 60.000,00 auferlegt. Diese Geldstrafe ist nicht übermäßig hoch; allerdings kommen Verfahrens- sowie Anwaltskosten noch dazu. Die Höhe dieser Summe stellt allerdings das geringste Problem dieses Falles dar.
Falls die zweite österreichische Instanz dieses Urteil nicht umstößt (was wir sehr hoffen), wird auch dieses Urteil (wie so viele ähnliche zuvor) mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Europäischen Menschenrechtsgericht in Straßburg aufgehoben. Österreichische RichterInnen haben auch mehrfach Urteile zugunsten offener politischer Auseinandersetzung verkündet: In einem ähnlichen Verfahren, das Haider gegen den Abgeordneten der Grünen Peter Pilz deswegen anstrebte, weil Pilz Haider als „Ziehvater des Rechtsextremismus“ bezeichnet hatte, schützte das Gericht das Recht, diese Meinung zu äußern. Dennoch bedeuten solche Gerichtsverfahren enorm hohe Kosten für die Angeklagten (was für den sehr wohlhabenden Politiker Haider wohl kaum von Belang ist), und eine erfolgreiche Berufung kann Jahre dauern.
Haider ist weder der erste, noch der einzige österreichische Politiker, der die Gerichte missbraucht, um politische Kritik zu unterdrücken. Sowohl das Verfahren des ehemaligen Bundeskanzlers Bruno Kreisky gegen Peter Michael Lingens (das Urteil wurde vom Europäischen Menschenrechtsgericht aufgehoben), als auch das strafrechtliche Verfahren gegen den damaligen Redakteur der „Weltwoche“ Hanspeter Born, das der ehemalige Bundespräsident Kurt Waldheim veranlasst hatte (Waldheim zog das Verfahren später zurück) sind gleichermaßen zu verurteilen. Aus diesem Grund begrüßen wir sehr Ihre Entscheidung, den Obmann der Wiener FPÖ Hilmar Kabas strafrechtlich nicht wegen einer besonders groben Beleidung zu belangen, die er angeblich gegen Sie geäußert haben soll. Obwohl Zeitungsberichte die Vermutung bestärken, dass Herr Kabas diese Aussage tatsächlich gemacht hat und seine Verurteilung daher wahrscheinlich erschien, unterließen Sie seine strafrechtliche Verfolgung. Vielmehr haben Sie sinngemäß wissen lassen, dass solche Aussagen ohnehin deren SprecherInnen selbst entlarven, weil sie deren moralische und politische Bankrotterklärung darstellen. Wir stimmen Ihnen entschieden zu, dass in einer gesunden Demokratie politische Debatten nicht vor Gericht ausgefochten werden dürfen, auch wenn etwaige Äußerungen von PolitikerInnen als beleidigend empfunden werden.
Obgleich also Haider nicht der erste ist, der versucht hat, Staatsorgane zu benützen, um politische Kritik zu drosseln, benutzt er zweifellos diese Taktik am eifrigsten und häufigsten. Ein weiteres von Haider eingebrachtes Gerichtsverfahren gegen Pelinka für ein Interview, das dieser CNN gewährte, ist noch anhängig. Die Möglichkeit, Gesetze gegen Verleumdung und üble Nachrede zu verwenden, um unliebsame kritische Kommentare zu unterdrücken, war immer ein Problem der österreichischen Demokratie. Jetzt aber, mit Haiders Partei in der Regierung und Haiders ehemaligem Privatanwalt Dieter Böhmdorfer (der auch Haider in diesen beiden Verfahren gegen Pelinka vertrat) als amtierendem Justizminister, ist dieses Problem viel dringlicher und sehr viel ernster geworden. Wir protestieren daher noch einmal entschieden gegen diesen Missbrauch österreichischer Justiz für politische Zwecke und ersuchen Sie mit Nachdruck, alle Ihnen gebotenen Mittel anzuwenden, um eine möglichst breite politische Meinungsvielfalt, die ja gerade eine Demokratie von den weniger erstrebenswerten politischen Systemen unterscheidet, zu gewährleisten.
Hochachtungsvoll,
Prof. Dr. David Abraham
University of Miami Law School
Prof. Dr. Christopher S. Allen
University of Georgia
Dr. Steven Beller
Independent Historian, Washington, D.C.
Prof. Dr. Seyla Benhabib
Harvard University
Prof. Dr. Guenter Bischof
University of New Orleans
Prof. Dr. John W. Boyer
University of Chicago
Prof. Dr. Christine Day
University of New Orleans
Prof. Dr. Istvan Deak
Columbia University
Prof. Dr. Robert Dupont
University of New Orleans
Prof. Dr. Geoff Eley
University of Michigan
Prof. Dr. Thomas C. Ertman
Harvard University
Prof. Dr. David Good
University of Minnesota
Prof. Dr. Helmut Gruber
Polytechnical University, New York
Prof. Dr. Peter Hall
Harvard University
Prof. Dr. Julia Hell
University of Michigan
Prof. Dr. Jeffrey Herf
Ohio University
Prof. Dr. Michael G. Huelshoff
University of New Orleans
Prof. Dr. Tony R. Judt
New York University
Prof. Dr. John J. Kulczycki
University of Illinois at Chicago
Prof. Dr. David Large
Montana State University, Bozeman
Prof. Dr. Richard S. Levy
University of Illinois at Chicago
Prof. Dr. Charles Maier
Harvard University
Prof. Dr. Andrei S. Markovits
University of Michigan
Prof. Dr. Richard Mitten
Central European University
Prof. Dr. Johannes von Moltke
University of Michigan
Prof. Dr. Regina Morantz-Sanchez
University of Michigan
Dir. Dr. Beth Simone Noveck
Yale University Law School
Prof. Dr. Peter Pulzer
Oxford University
Prof. Dr. Anson Rabinbach
Princeton University
Prof. Dr. Jonathan Steinberg
University of Pennsylvania
Prof. Dr. George Steinmetz
University of Michigan
Prof. Dr. Vladimir Tismaneanu
University of Maryland, College Park
Prof. Dr. Liliane Weissberg
University of Pennsylvania
Prof. Dr. Steven Whiting
University of Michigan
Prof. Dr. Jack Zipes
University of Minnesota
TransAct 34