Symposion 15

Wehmut im Wochenbett. Die sexistischen Mechanismen der Kunstwelt

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Vor etwa drei Jahren, es mag zwei Wochen vor der Geburt meines ersten Kindes gewesen sein, erschien eine kurze, mich indirekt betreffende Bemerkung in einer österreichischen Alternativ-Kunstzeitschrift. Obgleich das kleine fotokopierte Blatt selbst in Wien nur marginal bekannt war, wurde es in der Kunstwelt nicht wenig gelesen, denn die Zielscheibe seiner Ironie waren vor allem Leute aus ebendieser Kunstwelt. Das pamphletartige Blättchen besaß ein gewisses Flair, und die da gekochte Gerüchteküche erregte Aufsehen. Auf irgendeinem Weg verirrte sich dieses Organ auch einmal nach Gent, wo ich es am Vorabend der Entbindung zufällig aufschlug. Was sah ich da? Da stand doch glatt geschrieben, daß die Arbeit meines Gatten, der ein Künstler ist, mit seiner Vaterschaft Schaden nehmen werde, ja daß man seine Kunst künftig „vergessen“ könne, da er sich um ein Baby zu kümmern habe. 

In den letzten drei Jahren fiel mir dieser Kommentar immer wieder ein, wenn ich auf sexistische Mechanismen in der angeblich so freizügigen Kunstwelt stieß. Im Fall der Wiener Alternativ-Kunstzeitschrift hatte ein – weiblicher – Kunstschriftsteller mit der alten Vorstellung gespielt, daß künstlerische Schaffenskraft mit mangelnder Zeugungsfähigkeit zu tun habe. Das Kind und ich wurden in dem Artikel nur in Abwesenheit als die heimlichen Zerstörungskräfte der Künstlerkarriere meines Mannes behandelt. Diese Denkfigur findet sich übrigens in fast allen Büchern über Hauptvertreter der modernen Kunst. Was schrieb man nicht alles über die Frau von Paul Cézanne! Oder denken Sie an die Geschichten über Picasso und die Hysterikerinnen, Musen und Hausmütter, die sein Genie angeblich umtanzten. Wenn einmal von einer Künstlerin die Rede ist, klammert man das Thema Mutterschaft verlegen aus. Selbst in der feministischen Theorie ist das nur ein dumpfes, schwerfälliges Thema.

Ich bin nicht Mary Kelly. Auch werde ich kein Performance-Kunstwerk aus den Windeln meines Kindes machen, noch die Wände mit Menstruationsblut beschmieren. Meine Tochter ist nun fast drei Jahre alt und vor zwei Wochen brachte ich ein zweites Mädchen zur Welt. Ich habe also künftig die Aufgabe, die Kunstwelt, in der ich arbeite, gleich zwei anderen Frauen zu erklären. Der Druck, dem wir ausgesetzt sind, ist selbst im „geschützten Gehege“ der Kunstzeitschriften und Künstlerateliers mit Händen greifbar. Die neuerdings allgegenwärtige Angleichung der Kunst- und der Modeszene ist dafür nur ein Beispiel. Der belgische Modeschöpfer Martin Margiela hat seine neuen, von Robert Rymans weißen Bildern inspirierten Jeans im New Yorker P.S.1-Museum und im Palais des Beaux-Arts in Brüssel vorgestellt. Wenn man über Avantgardekunst Bescheid wissen will, schlägt man am Besten „Elle Decoration“ oder „Harper's Bazaar“ auf, denn da schreiben die Kunstkritiker von „artforum“ besser und für höhere Honorarsätze als in der Kunstzeitschrift. Sogar im „New York Times Magazine“ läßt man die neuesten Modeschauen als wichtige Kunstereignisse besprechen. Eine Spätfolge von Roland Barthes' Zeichentheorie.

Meine Zweifel beziehen sich auf die Form der Botschaft „Kunst“. Dem Wiener Kunst-Fanzine zufolge sank der Marktwerk meines Künstlermannes, als er eine Tochter bekam. Heute betrachtet diese kleine Dame Kunst am liebsten in Zeitschriften, die eigentlich von Schlankheitskuren, Schönheitschirurgie und Schminktechniken handeln. Diese und ähnliche Gedanken beschäftigten mich, als ich inmitten von „Vogue“, „Mirabella“ und „Allure“ zum zweiten Mal im Wochenbett lag und eine Einladung des museum in progress zu einem Beitrag über Kunsttheorie, die Geschlechterdiskussion in der Kunst der Neunziger Jahre und meine Tätigkeit als Herausgeberin von Künstlerbüchern eintraf. Meine erste Reaktion war die Lust nach einer anderen Art von Theorie, einem irritierten Amüsement über die Benachteiligung der Frauen im Mediengeschäft und in meinem eigenen Beruf, dem Schreiben und Herausgeben von Kunstbüchern. Kritisches Denken und kritische Kunstpraxis? Einverstanden, auch wenn es sich mittlerweile um einen Allerweltsbegriff handelt. Was aber bedeutet das konkret für eine bestimmte Person, die zum Beispiel ein Elternteil ist oder eine Mutter von zwei Töchtern?

Für mich war „kritisches Denken“, als ich mir beim Hinein- und dann wieder beim Hinausgefahrenwerden aus dem Operationssaal vor und nach dem Kaiserschnitt hochheilig schwur, ich würde meine Denkzellen nicht mehr wie beim ersten Kind ein Jahr lang von einer Art milchigem Nebel einhüllen lassen. Doch nach einigen Tagen war genau dieses Gefühl wieder da, bei Klio, der zweiten, ebenso wie zuvor bei Noema, der ersten. Was soll man daraus folgern? Wohl daß man unmittelbar nach einer Geburt keine Einladung zum Schreiben annehmen soll, außer man verbindet es mit der Vorwarnung, daß sich die sanfte Militanz mütterlicher Gefühle nicht verschweigen lassen wird.


Cornelia Lauf, geboren 1961, lebt als Kunstkritikerin und Herausgeberin des Künstlerbuchverlags Imschoot in Gent und New York. Dr. phil. In Kunstgeschichte an der Columbia University, New York. Sie ist mit dem Konzeptkünstler Joseph Kosuth verheiratet und organisiert Ausstellungen, so 1992 die vielbeachtete Schau „The Wealth of Nations“ in Warschau.

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