Symposion 05

Provokation als Motor der Reform. Gespräch mit Gerfried Sperl

[Only available in German.]

Robert Fleck: Über die Projekte des museum in progress taucht Kunst regelmäßig im STANDARD auf, und zwar in einer sehr direkten Weise, als Kunstwerk und nicht als Berichterstattung. Wie erleben Sie das als Chefredakteur einer Tageszeitung?

Gerfried Sperl: Ich empfand da nie Berührungsangst. Das direkte Eindringen von Kunst in eine Zeitung war ein längst fälliger Vorgang. Wir sind heute in dieser Mediengesellschaft so stark mit allen möglichen Botschaften aus den Medien konfrontiert, nicht nur mit politischer Information, sondern auch mit Unterhaltung, mit Kommentierung, daß wir es als notwendig betrachten müssen, daß auch Kunst aus den traditionellen Behausungen heraustritt und direkt dort stattfindet, wo die Leute unserer Tage ihre eigentliche Meinung bilden, nämlich in den Medien in ihrer vielfältigen Form.

RF: Einer der Chefredakteure von „Le Monde“ hat auf einen ähnlichen Vorschlag, künstlerische Interventionen in der Zeitung zu organisieren, geantwortet: „Wir sind als Zeitung nicht dazu da, Ereignisse zu schaffen, sondern dazu, über Ereignisse zu berichten.“

GS: Das mag für „Le Monde“ eine durchaus berechtigte Position sein. Sie ist es auch für die Journalisten, die die unverzichtbare Aufgabe der Kunstkritik ausüben. Nur ist eine Zeitung generell ein komplexes Wesen. Man darf nie vergessen, daß Zeitungen auch aus Werbung bestehen. Um bei diesem Beispiel zu bleiben: Die Leser messen der Information in einer Zeitung eine bestimmte Rolle zu, aber auch etwa der Werbung, den Fotos usw. Aus diesem Grunde würde ich einem Kunstexponat in der Zeitung gleichfalls eine ganz bestimmte Rolle zumessen. Das bedeutet keine Konkurrenz zu den übrigen Inhalten. Kunst ist ganz einfach eine Bereicherung und ein Beitrag zur Gesamtkomposition und zur Melodie, die eine Zeitung ausmacht. In dieser Hinsicht waren die Tageszeitungen bislang ohnehin recht rückschrittlich.

RF: In diesem Jahr werden jene Ausgaben des STANDARD, in denen Kunstinterventionen stattfinden, erstmals auch an einen ausgewählten Kreis von Kunstkritikern, Museumsleuten und Künstlern in aller Welt verschickt. Dadurch tritt ein interessantes Phänomen ein: Es gibt ein doppeltes Publikum, die Leser in Österreich und die internationale Kunstwelt.

GS: Dieser Gedanke müßte natürlich noch weitergedacht werden. Es müßte gelingen, am selben Tag in mehreren europäischen Zeitungen dasselbe künstlerische Exponat zu publizieren. Dann müßte man über eine kleine Umfrage oder einen Test die Reaktionen abzufragen, die in den in den verschiedenen Ländern und Städten auf diese künstlerische Einschaltung auftreten. Es gibt eine Reihe stark „komponierter“ Zeitungen in Europa, die schnell auf Veränderungen von Wirklichkeit reagieren. Sie sind für einen solchen Versuch in einer zweiten Phase prädestiniert.

RF: In verschiedenen Zeitungen, so der Pariser „Liberation“, wird nun auch Kunst geschaltet. Doch fällt auf, daß es sich anders als bei dem Konzept von museum in progress nicht um speziell für die Zeitung bzw. das jeweilige Medium erarbeitete Werke handelt. Da wird bloß einfach ein Bild, das gerade in einer Ausstellung in Frankreich zu sehen ist, ganzseitig abgebildet.

GS: Das zeugt von einem überraschend traditionellen Zugang. Die meisten Künstler beziehen nun schon seit Jahrzehnten den Raum, oder das Medium der Ausstellung in ihre Überlegungen mit ein. Das darf gerade ein Medium wie die Zeitung nicht umgehen. Daraus ergibt sich das Spannende einer solchen Intervention. Dadurch tritt auch – da die Bilder, Collagen und künstlerischen Arbeiten auf einem Platz erscheinen, der für die Leser ein sogenannter Inseratenplatz ist – in den besten Fällen ein Wettstreit mit der Werbung ein, so wie kürzlich mit dem Foto der Frau und des Computers von Wolfgang Tillmans. Das kann einerseits kritische Denkprozesse auslösen, und bedeutet andererseits eine Herausforderung auch für die Werbebranche. Bei den kleinen „Familienfotos“ von Hans-Peter Feldmann, die im Nachrichtenteil auftraten, war es spannend zu sehen, wie sich ein Künstler offensichtlich lange mit den unterschiedlichen Informationsstrukturen der verschiedenen Teile einer Zeitung auseinandergesetzt hatte und nun bewußt neue Zusammenhänge und Konfrontationen schuf.

RF: Gibt es häufig Leserreaktionen zu dieser Initiative?

GS: Kaum. Wir wissen eigentlich nicht, wie diese künstlerischen Interventionen bei den Leuten ankommen. Es gibt aber auch keine Ablehnung. Über die Jahre hinweg gibt es gewiß eine Art Lernprozeß: einerseits solche Dinge als Kunst zu erkennen, und es andererseits als selbstverständlich zu betrachten, daß auf den Anzeigenseiten des STANDARD regelmäßig Kunst transportiert wird. Natürlich muß man dazusagen, daß es in einer Boulevardzeitung bei dem einen oder anderen Sujet möglicherweise wilde Proteste gäbe.

RF: Sie waren persönlich in den sechziger Jahren in der damals sehr lebendigen Kunstszene von Graz an Aktivitäten im Grenzbereich von Kunst, Öffentlichkeit und Politik beteiligt.

GS: Wir arbeiteten damals – in den Jahren um 1968 – als erste Studentenfraktion mit Künstlern, die sich im Rahmen der Op Art mit optischen Phänomenen, Medien und Öffentlichkeit auseinandersetzten. Jorit Tornquist gestaltete für unsere Gruppe, die „Aktion“ hieß, Wahlplakate in Form von Nachrang- und Vorrangzeichen. Wir waren der Meinung, eine Reform der Universität könne es eigentlich nur über eine breite kulturelle Erneuerung geben. Die Universität sollte quasi mit Kunst überflutet werden. Ich bin auch heute noch überzeugt, daß es wirtschaftlichen und politischen Fortschritt nur gibt, wenn man in die Infrastruktur des Kopfes investiert, das heißt in die Bildungsbereiche Geld pumpt, und andererseits das künstlerische Experiment ständig forciert. Nur dann geht es im Wirtschaftsbereich und in der ganzen Demokratiereform voran.

RF: Haben Sie sich über einen künstlerischen Beitrag, den das museum in progress Ihrer Zeitung zulieferte, schon einmal richtiggehend geärgert?

GS: Nein. Vielleicht wäre es gerade gut, wenn ich mich einmal ärgern müßte. Die Provokation fehlt mir heute etwas in der Kunst. Eine solche Provokation habe ich noch nicht entdeckt.


Gerfried Sperl studierte an der Universität Graz und war in der Folge Journalist bei der „Kleinen Zeitung“, Graz, Chefredakteur des „Tagespost“, Graz und stellvertretender Chefredakteur des „Kurier“, Wien. Heute ist er Chefredakteur des STANDARD und Mitherausgeber der kulturpolitischen Zeitschrift „Was“.

TOP