Symposion 03

Eine eigene Zeit vorgeben. Gespräch mit Kasper König

[Only available in German.]

Robert Fleck: Sie sind seit bald drei Jahrzehnten einer der führenden Ausstellungsmacher im Bereich der zeitgenössischen Kunst und vor allem den Künstlern sehr verbunden. Welche Situation sehen Sie in den neunziger Jahren für die Kunst? 

Kasper König: Ich sehe eine positive Entwicklung, insbesondere aus dem Umgang mit Studenten und jungen Künstlern an der Kunsthochschule in Frankfurt. Der vordergründige, affirmative Charakter der Kunst aus den „Boomjahren“ der Achtziger ist dieser Generation fremd. Die bildende Kunst wurde für kurze Zeit so ungeheuer populär in den Achtziger Jahren, daß Anspruch und Anliegen weitgehend verwischt wurden. Das wird jetzt wieder neu artikuliert. Die Kunst konzentriert sich wieder stärker auf sich selbst und wird weniger betriebsblind. Ich denke, daß eine ganze Reihe kritischer und substantieller Künstler sich in den Achtziger Jahren zurückgehalten hat, weil es zu einfach schien in der Kunst. Aber das sind Ebbe- und Flut-Phänomene, die regelmäßig auftreten. 

RF: Im Augenblick hat man den Eindruck, daß alle Themen rund um den Körper ein verblüffendes Revival erleben. Die „Körperkunst“ hatte ja schon die sechzigerjahre geprägt, mit dem „Happening“ und der direkten Verwendung des Körpers in Werken der bildenden Kunst. Vor allem bei jüngeren Künstlern erscheint der Körper derzeit bisweilen als ein ästhetisches Muß, wenn sie auf Erfahrungen wie Aids und gesellschaftliche Gewalt reagieren.

KK: Natürlich sind Fragen wie „Was ist neu?“ immer hilfreich. Man wird bei der jetzigen Bezogenheit zum Körper gewiß wiederholt an die sechziger und siebziger Jahre erinnert. Doch sollte man nicht übersehen, daß die Künstler ganz andere Fragestellungen verfolgen und ihre Werke ganz anders gemeint sind als damals. Es wäre falsch, eine „Neo“-Bewegung hineinzuinterpretieren. Es bedeutet eine echte Aufgabe, für uns „Ältere“, aus der Distanz heraus und biographisch auf die interessantesten Phänomene der sechziger und siebziger Jahre hinzuweisen, die jetzt scheinbar ein Echo finden, aber durch eine selektive Geschichtsschreibung kaum noch bekannt sind. Wenn wichtige Künstler heute mit dem Körper arbeiten und die Befindlichkeit des Körpers im Umfeld von „privat“ und „öffentlich“ untersuchen, dann erfolgt das kaum noch aus avantgardistischen Regelverletzungen heraus, sondern um existentieller, elementarer und auch psychologisch herauszufinden, wo man sich befindet.

RF: Sie haben in den sechziger Jahren auch den „Wiener Aktionismus“ – eine wichtige Strömung dieser Körperkunst – miterlebt, von außen aus der Bundesrepublik. Wie wirkte das auf Sie?

KK: Ich fühlte mich insbesondere angezogen von der grotesken, rabelais'schen Volksnähe der Aktionen des Otto Mühl. Ich fand und finde es nach wie vor ungeheuer erfrischend, wie Mühl sich über die Mediengesellschaft lustig machte und wie sehr sensationsgeile Fernsehleute sich erblödeten, das vordergründig wahrzunehmen. Das ging ja so weit, daß sie sich selber beim Filmen auszogen! Es hatte eine große politische Selbstverständlichkeit, sich so über die vordergründigen Wahrnehmungsmuster hinwegzusetzen. In gewisser Weise waren auch der große Einfluß und die Ausstrahlung von Joseph Beuys in Deutschland durch seine aktionistische Direktheit und seine entwaffnende humorvolle Schlauheit bedingt. Wenn Beuys sagte: „Demokratie muß gesungen werden“, oder auch bestimmte „Lidl“-Parolen von Jörg Immendorf wie „Nichtschwimmer ins Wasser!“ waren wunderbare verquere Haltungen und eigentlich Ausdruck eines Reifeprozesses, einer demokratischen Artikulation, die Verschiedenartigkeit als selbstverständlich vermittelte. So habe ich auch die Wiener Aktionen nicht so sehr als eine verbissene Behauptung wahrgenommen, die sich selber übermäßig, in einer falschen Weise für wichtig hielt.

RF: Diese künstlerischen Äußerungen bildeten offensive Strategien, die sich als Teil einer politischen, moralischen und sexuellen Emanzipationsbewegung verstanden. Demgegenüber erscheinen die meisten heutigen Körperkunstwerke viel mehr als eine narzißtische Suche, die sie sich ja in erster Linie auf sich selbst bezieht.

KK: Das mag zutreffen. Was damals die Sache künstlerisch interessant machte, waren eher jene lapidaren, scheinbar beiläufigen, alltäglichen Dinge, die „unkünstlerisch“, nichtkünstlerisch auftraten, aber ein Reservoir schufen, das noch heute ausgeschöpft wird. Zum Beispiel erinnere ich mich, daß ein Künstler wie Sigmar Polke eine erstaunliche, unerwartete Beziehung zu etwas ganz Alltäglichem hatte wie daß man möglicherweise jeden Morgen frische Brötchen holt – egal ob man das dann tut oder nicht. Auf dieser fast kindlich scheinenden Ebene, die aber eine anthropologische Dimension aufwies – die Momente von Kindheit, Sterben, Essen, Wohnen usw. –, wurde die Kunst zum Schwingen gebracht. Insofern ist diese Initiative im STANDARD auch so zu lesen. Die Arbeiten von Nancy Spero sind da interessant, wo sie andere, sogenannte „reale“ Teile in der Zeitung verbindlicher werden lassen. Sodaß in einem komparativen Sinne etwas beleuchtet wird, was sonst nichts zu bedeuten hätte – wobei eine gewisse Unschuldigkeit plötzlich etwas in Gang bringt, was unerwartet ist. Oder bei Hans-Peter Feldmann, der schon seit langem eine Ästhetik erarbeitet hatte, die mit einer flüchtigen Sache wie der Tageszeitung umgeht, die am nächsten Tag schon wieder eine andere ist.

RF: Aus der Situation heraus, daß die Kunst in den neunziger Jahren nicht mehr so selbstverständlich ist, keinen unbestrittenen gesellschaftlichen Wert mehr darstellt, machen viele Künstler die Frage nach der sozialen und politischen Legitimation, die die Kunst heute noch haben kann, zu einem Thema ihrer Arbeit.

KK: Das kann natürlich auch zu einem Akademismus führen, da man sich immer nur in der Untersuchung des Umfelds von Kunst aufhält, Fußnoten produziert und gar nicht zu einer wirklichen, eigenständigen Formulierung kommt, die unabhängig vom Zusammenhang verständlich wird. Es ist für gute Kunst ja notwendig, daß die Wahrnehmung verdichtet wird, so daß das Werk in zehn oder zwanzig Jahren immer noch eine weitere Schicht vermittelt. Wenn man sich allzusehr mit der Vorrede aufhält und mit der Untersuchung der Bedingungen, dann wird es schwer, die nötige Distanz herzustellen, die die Voraussetzung ist, um durch künstlerisches Arbeiten und Denken eine eigene Zeit vorzugeben und nicht nur, „auf der Höhe der Zeit“ zu sein.


Kasper König, geb. 1943 in Mettingen/Westfalen. Mitarbeit an der „documenta III“ in Kassel 1964. Organisator von Großausstellungen (z.B. „Der Zerbrochene Spiegel“, Wien und Hamburg 1993). Seit 1988 Gründungsdirektor der Ausstellungshalle „Portikus“ und seit 1989 Rektor der Städelschule Frankfurt. Lebt in Frankfurt am Main. Zur Frankfurter Buchmesse 1995 gibt er sieben Künstlerbücher österreichischer Künstler heraus.

TOP