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Die moderne Physik hat durch die Relativitätstheorie und die Quantentheorie neue konzeptive Ansätze geliefert, die weit über unser auf Alltagserfahrung aufbauendes Weltbild hinausgehen und damit zum Teil im Widerspruch stehen. Besonders interessant ist dabei die neue Rolle, die die Beobachtung in der Quantenphysik spielt.
Der Beobachter hat in der Quantenphysik qualifizierenden Einfluss, er kann bestimmen, welche Eigenschaft sich im Experiment manifestiert. Wir haben es in der Quantenphysik mit einer Rolle des Zufalls zu tun, die weit über die Rolle des Zufalls in der klassischen Physik hinausgeht. Betrachten wir im Kontrast dazu den Zufall, wie er im Glücksspiel verwendet wird. Wenn wir etwa einen Würfel haben, so wird jede der Zahlen 1–6 rein zufällig auftauchen, aber im Mittel etwa gleich oft. Für jeden einzelnen Wurf könnten wir uns aber im Prinzip genau überlegen und erklären, warum gerade diese Zahl, die wir beobachten, auftritt. Dies hängt etwa davon ab, wie wir unsere Hand drehen, wie die Oberfläche des Tisches beschaffen ist usw. Es lässt sich also eine Erklärung konstruieren, auch wenn wir nicht genau wissen, wie der Prozess tatsächlich abgelaufen ist. Der Zufall ist in diesem Fall ein subjektiver. Er ist auf nicht ausreichende Kenntnis der Details zurückzuführen. Eine solche Erklärung ist in der Quantenphysik nicht mehr möglich. Hier ist eine genaue Kenntnis der Details im Prinzip nicht möglich, da solche Details nicht existieren. Der Zufall in der Quantenphysik ist daher ein objektiver. Es ist nicht nur unser Unwissen, sondern das Verhalten des Einzelsystems ist tatsächlich in keiner Weise in der Natur vorgegeben. Das einzelne Quantenereignis entzieht sich also dem Einfluss des Beobachters.
Besonders verblüffend sind diese Dinge, wenn wir das Verhalten von solchen Quantensystemen betrachten, die aus zwei Teilchen bestehen. Es wurde hier erstmals von Albert Einstein in Zusammenarbeit mit Boris Podolsky und Nathan Rosen gezeigt, dass solche Quantensysteme vollkommen skurrile Eigenschaften besitzen können. Betrachten wir z. B. zwei Würfel, der eine, sagen wir, befinde sich in Wien, der andere in Budapest, und nehmen wir an, mit diesen Würfeln würde gleichzeitig gewürfelt, so werden wir erwarten, dass die Resultate vollkommen voneinander unabhängig sind. Das heißt also, wenn der Würfel in Budapest „6“ zeigt, so kann bei dem Würfel in Wien jede beliebige Zahl auftreten. Das Verblüffende ist nun, dass, wenn diese Würfel Quantenwürfel sind, wir die Situation haben können, dass, wenn immer mit beiden Würfeln gewürfelt wird, sie genau das gleiche zeigen. Das Resultat für jeden der beiden Würfel ist vollkommen ungewiss, es herrscht der objektive Zufall, wie oben erwähnt. Die beiden Quantenwürfel können jedoch in einem solchen quantenmechanischen Zustand sein, etwa wenn sie gemeinsam im entsprechenden Quantenzustand präpariert wurden, dass sie zwar nicht „wissen“, wenn dieser anthropomorphe Ausdruck gestattet sei, welche Zahl jeder von Ihnen zeigen wird, sie wissen aber, dass sie beide immer genau das gleiche Resultat zeigen müssen.
Dieser Befund kann natürlich ebenso zu zahlreichen Missinterpretationen Anlass geben. Man kann etwa meinen, dass die beiden Würfel auf geheimnisvolle Weise miteinander in Verbindung stehen, was manche Leute dazu gebracht hat, dies zur Unterstützung eines naiven ganzheitlichen Weltbildes heranzuziehen. Man kann vorschlagen, wie es ebenfalls gemacht wurde, Rückwirkungen in die Vergangenheit einzuführen oder absoluten Determinismus und ähnliche Positionen. Es ist hier jedoch sicher am besten, die Aussage der Kopenhagener Interpretation, wie sie auch von Moritz Schlick untermauert wurde, zu vertreten, nämlich die, dass wir es in der Naturwissenschaft zu tun haben mit Aussagen über beobachtete Phänomene, und dass es für die Verstehbarkeit der Welt in der Quantenphysik Grenzen gibt. [1]
Besonders radikal wird der Konflikt zwischen der Art, wie die Welt ist und wie sie durch die Quantenmechanik beschrieben wird einerseits, und einer lokalrealistischen Beschreibung andererseits, wenn man gewisse Messungen an Systemen betrachtet, die aus drei oder mehr Teilchen bestehen. Es sei nun kurz anhand eines Gedanken-Experiments das Verhalten von solchen sogenannten GHZ-Zuständen diskutiert. [2] Wir haben in einem solchen Fall eine Quelle, die gleichzeitig drei Teilchen aussendet, die in verschiedenen Richtungen davonfliegen. Nach längerer Zeit machen gleichzeitig drei Experimentatoren Untersuchungen an diesen Teilchen. Sie beschränken sich bei ihren Untersuchungen auf Messungen von zwei verschiedenen Größen und Eigenschaften, die wir Eigenschaft A bzw. Eigenschaft B nennen wollen. Bei beiden dieser Eigenschaften sei es nun so, dass zwei mögliche Resultate der Messung denkbar sind. Als einfaches, illustratives Beispiel sei etwa als Messung die Beobachtung an Personen diskutiert, ob diese Brillen tragen. Dann sind zwei mögliche Resultate denkbar, eben, dass sie Brillenträger sind und dass sie nicht Brillenträger sind. Solche Eigenschaften nennt man dichotome Eigenschaften. Die drei Experimentatoren führen nun eine Serie von Experimenten jeder an seinem Teilchen durch, die folgendermaßen ablaufen: Zuerst messen zwei Experimentatoren die Eigenschaft A und ein Experimentator die Eigenschaft B. Sie werden gewisse Resultate für ihre Teilchen erhalten. Wenn der quantenmechanische Zustand ein GHZ-Zustand ist, können sie aus diesen Resultaten schließen, dass auch das Messergebnis am dritten Teilchen eindeutig festgelegt ist, sobald sie die Messergebnisse von zwei Teilchen kennen. Dies kann man einer Anregung von Einstein-Podolsky-Rosen folgend so interpretieren, dass die gemessene Eigenschaft eben wirklich eine Eigenschaft des jeweiligen Teilchens ist. Man kann ja nach Messungen an zwei Teilchen mit Sicherheit sagen, wie die Messung am dritten Teilchen aussehen wird. Man spricht hier von einem Element der Wirklichkeit nach Einstein, Podolsky und Rosen.
Die Experimentatoren führen als nächstes alle Kombinationen von zwei Messungen des Typs A und einer Messung des Typs B an allen drei Teilchen durch. Dies sind die folgenden drei Messungen: AAB, ABA, und BAA. Aus allen diesen Messungen können Sie schließen, dass das Messresultat sowohl für Messungen der Größe A als auch für Messungen der Eigenschaft B ein Element der Realität ist, diese Eigenschaft also eine reale Eigenschaft der Teilchen sein muss. Abschließend führen die drei Experimentatoren an ihren Teilchen eine Messung von BBB durch, das heißt, jeder misst an seinem Teilchen die Eigenschaft B. Das Verblüffende ist nun, dass die Quantenmechanik verlangt, dass diese Messung zumindest an einem Teilchen genau das gegenteilige Resultat liefert, als die gleiche Messung vorher, wenn an den beiden anderen Teilchen A gemessen wurde. Dennoch liefern auch jetzt alle Messungen das gleiche Resultat, das heißt, auch hier kann man argumentieren, dass jeder Experimentator, der mit seinem Apparat misst, eine tatsächliche Eigenschaft des Teilchens beobachtet. Damit haben wir einen eklatanten Widerspruch. Der Widerspruch ist der, dass wir für die Eigenschaft B ein verschiedenes Resultat erhalten, je nachdem, ob an den anderen beiden Teilchen A gemessen wird oder B. Alle drei Experimentatoren sind aber beliebig weit voneinander entfernt, und die Messungen werden unabhängig durchgeführt. Die Experimentatoren können ja einfach Notizen darüber machen, welche Messung zu welchem Zeitpunkt durchgeführt wird und welches Resultat sie dabei erhalten. Sie können sich anschließend in einem gemütlichen Kaffeehaus/Café, sei es in Budapest oder in Wien, treffen und ihre Notizen vergleichen. Bei diesem Vergleich der Notizen werden sie das eigenartige Verhalten, das wir soeben diskutiert haben, entdecken und vergeblich nach einer anschaulichen Erklärung suchen.
Wir sind also wieder vor die Frage gestellt, was diese Resultate bedeuten, die, und das sei noch einmal unterstrichen, von der Quantenmechanik ganz eindeutig vorhergesagt werden. In der Interpretationsdiskussion der Quantenphysik hat sich der Begriff „Kontextualität“ eingebürgert. Mit diesem Begriff beschreibt man die Tatsache, dass die Eigenschaft eines quantenmechanischen Systems vom Messkontext abhängt, das heißt davon abhängt, welche anderen Messungen gleichzeitig an dem System vorgenommen werden. Dies wäre für ein einzelnes Teilchen ja noch nicht verwunderlich, da man hier durchaus eine Position einnehmen könnte, nach der der Messapparat eben die zu messende Eigenschaft beeinflusst. Verblüffend ist, dass es auch in unserem Fall der Dreiteilchen-GHZ-Zustände so ist für Messungen, die unabhängig voneinander an drei verschiedenen Teilchen durchgeführt werden. In anderen Worten, die Eigenschaften jedes der drei Teilchen hängen davon ab, welche Messung an den anderen Teilchen, die beliebig weit entfernt sind, gleichzeitig vorgenommen werden. Sie sind nicht durch die Geschichte des einzelnen Teilchens beschreibbar oder erklärbar. Es ist dies der eklatanteste existierende Widerspruch zwischen einem realistischen Weltbild und der Quantenphysik.
Seit die GHZ-Korrelationen im Jahre 1988 zum ersten Mal vorhergesagt wurden, arbeiteten mehrere Gruppen international an deren Verifikation. Glücklicherweise ist es in unserem Laboratorium, damals noch in Innsbruck, Ende 1998 zum ersten Mal gelungen diese Korrelationen in einem Experiment mit Photonenpaaren zu sehen. Die Grundidee dabei ist, dass Photonenpaare von so hoher Intensität erzeugt werden, dass gelegentlich zwei Paare gleichzeitig auftreten, die ununterscheidbar sind. Durch eine geeignete Messung an einem der vier dadurch entstehenden Teilchen konnte erreicht werden, dass die anderen drei Photonen in einem GHZ-Zustand sind. Die Experimente waren äußerst aufwendig und an den Grenzen der derzeitigen Hochtechnologie. Für die dabei beteiligten Studenten bedeutet dies, dass sie mit modernsten technischen Verfahren, etwa der Laserphysik, der Präzisionsmechanik oder der Kommunikationstechnologie, vertraut werden.
Eine interessante Fragestellung, die bis heute unbeantwortet ist, ist jedoch, warum die Quantenphysik so eigenartig ist, warum wir es hier mit einer prinzipiellen Begrenzung der Erkennbarkeit der Welt in der Weise zu tun haben, dass es sich nicht um eine Begrenzung der Fähigkeit des Menschen handelt, sondern um eine Begrenzung der Natur selbst.
Vielleicht bedarf es einer durch die zahlreichen neuen Experimente mit einzelnen Quanten oder Quantenpaaren, wie sie auch im Laboratorium des Verfassers in Innsbruck durchgeführt wurden und werden, neu geschärften Intuition, um die erkenntnistheoretischen Positionen der Quantenmechanik aus einer klaren Analyse der Natur, der Beobachtung und des Experimentierens begründen zu können.
1 Man darf also Quantensystemen nicht Eigenschaften unabhängig vom gesamten Messapparat zuordnen, ohne in immense Widersprüche zu laufen.
2 D. Greenberger, M. A. Horne, A. Zeilinger, Going beyond Bell's Theorem, in: M. Kafatos (Ed.), Bell's Theorem, Quantum Theory, and Conceptions of the Universe, Kluwer, Dordrecht 1989, p. 69. Für eine semi-populäre Darstellung siehe N. D. Mermin, What's wrong with these elements of reality?, in: Physics Today, 43, June 1990, p. 9–11.
Überarbeitete und gekürzte Version des gleichnamigen Beitrags in: Jenseits von Kunst, herausgegeben von Peter Weibel, Wien, 1997, S. 257–262.
[Ich glaube, mit Sicherheit sagen zu können, dass niemand die Quantenmechanik versteht. R. P. Feynman, 1973]