[Only available in German.]
Kristian Sotriffer: Maria Lassnig, wir haben jetzt 1997. Vor genau acht Jahren haben Sie auf einer Zeichnung einen Satz notiert, den ich Ihnen in Erinnerung rufen möchte: „Ich habe leider umsonst gelebt, der Rembrandt auch.“ Was steckt dahinter? Welches Empfinden, welche Gefühle haben Sie zu diesem Satz veranlaßt?
Maria Lassnig: Na, es war einmal ein alter Film mit dem Ewald Balser, der hat den Rembrandt gespielt, und der ist mit einer Kerze in sein Atelier gegangen an seinem Lebensende und hat seine Bilder angeschaut und hat dann gesagt: „Ich habe nicht umsonst gelebt.“ Also mein Pessimismus, daß ich doch umsonst gelebt habe, der ist wahrscheinlich nicht unberechtigt und ist vielleicht von vielen Zeitgenossen geteilt.
KS: Aber Sie wollten doch immer wieder. Sie haben doch zumindest versucht, Ihre Kraft, über die Sie ja zweifellos verfügen, auch nach außen zu spielen. Das heißt, Ihr Behauptungswille war doch eigentlich ein immer sehr starker. Zumindest kann man das an Ihren Bildern ablesen.
ML: Ja eben, es waren die Bilder, die.
KS: Ja also, nicht nur wie Sie 1979 in New York „Woman Power“ gemalt haben, also die starke Maria Lassnig über den Wolkenkratzern, ihren Marsch antretend, bevor sie nach Wien gekommen ist. Wie ist es Ihnen dann eigentlich nach Ihren langen Aufenthalten in Paris und in New York in Wien gegangen? Wie haben Sie sich da gefühlt?
ML: Ja, die Rückkehr war eigentlich eine nicht so schlechte, weil ich da gleich in die Biennale hineingekommen bin und auch in die. als Professor sozusagen, erste deutschsprachige Malereiprofessorin war ich und da war ich schon eigentlich ganz stolz darauf. Aber je länger man dann in Österreich ist, dann hat man wieder mit dem. mit diesem engen Platz zu kämpfen. Dabei gibt es so viele gute Künstler, die auf einem Platz sind und die sich am Liebsten gegenseitig abkrageln möchten, weil sie zu nahe beieinander sind.
KS: Also Sie meinen, die Konkurrenz ist groß.
ML: Die Konkurrenz ist sehr groß in Österreich, ja.
KS: Und man muß kämpfen, das haben Sie ja getan.
ML: Na ja, nicht zu sehr und es nutzt auch nicht sehr viel.
KS: Na ja, also immerhin haben Sie, nachdem Sie nach Wien zurückgekommen sind, Ihre Malerei auch entscheidend weiterentwickelt. Sehen Sie das nicht auch so? Ich mein', etwas muß also gewesen sein, das Sie dazu gebracht hat, doch über das, was in Paris und in New York entstanden ist, hinaus. weiterzukommen, sowohl in der Zeichnung, als auch in der Malerei, jetzt rein von ihrer Qualität her. Oder sehen Sie keine Fortentwicklung oder entscheidende Sequenzen innerhalb Ihres Werkes?
ML: Also ich weiß nicht, ob es eine Fortentwicklung eigentlich gibt? Oder bei mir gibt? Oder bei mir gegeben hat? Eine Veränderung auf jeden Fall – nicht?
KS: Eine Fortentwicklung vielleicht insofern nicht, als Ihr Ausgangspunkt ja immer ein permanent gleichbleibender ist, das ist Ihre Befindlichkeit, Ihr Blick durch sich in die Welt. Sie sind sozusagen die Schale, die Welt auffängt und durch Sie wird sie wieder hinausprojiziert. Maria Lassnig als Durchlaufmittel, als Körper, der das Fühlen und Denken in Malerei umsetzt und sich damit eigentlich auch Welt aneignet, durch das Selbstbeobachten, Selbstempfinden.
ML: Ja, das ist sehr schön gesagt, daß sozusagen die Befindlichkeit eine transparente war – aber nicht immer, oft ist nur die Befindlichkeit allein, meistens eigentlich, als interessant genug aufgeschienen.
KS: Sie haben einmal davon gesprochen, daß Sie mit der Dualität von Körper und Geist aufgewachsen seien, und es sei durchaus nicht die Renaissanceverliebtheit in Ihren Körper gewesen, die Sie dazu bewogen hätte, ihn als Darstellungsmittel zu benutzen, eher das Gegenteil. Das Gegenteil wäre also was?
ML: Na die Introspektion – nicht? Es gibt ja eine große Welle der Körperkunst, und da wird eigentlich im Allgemeinen nur der Körper von außen betrachtet und von außen dargestellt, also ein Spiegelbild des Körpers überhaupt. Und im Gegensatz dazu – das hab' ich in Amerika auch schon gemacht, daß ich von außen gesehen hab'. den Körper oder die Körper, weil das andere nicht verstanden wurde in Amerika.
KS: Ja, aber es gibt doch also in Ihren Selbstdarstellungen eine Art Dualität auf der einen Seite.
ML: Ja, ich meine die von außen gesehenen Körper.
KS: .eine Korrespondenz, ja.
ML: .wo sozusagen der angezogene oder mehr der nackte Körper zu sehen ist, und mit Zugaben und so weiter. Das hab' ich eigentlich nie als Körperkunst aufgefaßt, zum Unterschied von den anderen Leuten, die haben das falsch aufgefaßt und haben gemeint, das ist die Körperkunst. Ich meine, die wirkliche Körperkunst waren die Striche, die Ausdehnungsstriche, und das ist keine Abstraktion, sondern eine wirkliche Empfindung, die ich einfach wirklich so, so kühl, „cool“ dargestellt hab', wie ich sie empfunden hab'. Das Ausgestreckte, das Zusammengeknüllte und so weiter, die ganzen Strichbilder sind von dieser Zeit und das ist meine wirkliche Körperkunst.
KS: Das Erforschen des Körpergefühls sei wie ein Umzäunen von Wolken, haben Sie einmal sehr schön gesagt, ein Feststechen von Nebelbereichen, eine Mystik des Physischen. Also kommt noch ein anderes Element hinein. Das Mystische im Physischen kann doch nur heißen, daß Sie also nicht nur Ihre reale, Ihren realen, jeweiligen Körperzustand oder Ihre Befindlichkeit dargestellt haben, sondern etwas, was darüber hinausreicht.
ML: Na, ich hab' das eigentlich. die Mystik nicht empfunden, sondern es ist eigentlich eine ganz nüchterne Feststellung, aber ich finde, daß diese nüchterne Feststellung eigentlich eine wirkliche Mystik ist. Das ist eine Behauptung von mir.
KS: Ja, es gibt bekanntlich die Darstellung des mystischen Leibes, ja, aber daran haben Sie nicht gedacht?
ML: Nein, nein.
KS: Aber es gibt eine Dimension, die sich einfach aus der Art Ihrer Malerei.
ML: Ja, ja.
KS: .der Sonderart Ihrer Malerei ergibt, da kommen andere Komponenten hinzu, die Sie.
ML: Ja zum Beispiel?
KS: .die Sie möglicherweise gar nicht kontrollieren, aber die entstehen, während der Arbeit oder.
ML: Ja zum Beispiel, wenn ich beim Kopf vom Gesichtsfeld ausgeh', nachdem ich meistens schon das Licht brauche und die Sonne und so weiter, zum Malen. In einem dunklen November kann ich meistens gar nicht arbeiten. Das Gesichtsfeld hat in letzter Zeit auch eine gewisse Strahlkraft bekommen, und vielleicht wirkt das auch etwas mystisch. Ich weiß nicht, an welche Bilder Sie denken.
KS: Na ja, ich denke zum Beispiel an Ihre Arbeiten, Zeichnungen vor allem auch, denen Sie den Begriff Ganzheit unterlegt haben. Sie haben ja eine ganze Serie von Zeichnungen entstehen lassen, die diesen Titel tragen. Sie bezeichnen sie als verhinderte Ölbilder, diese Ganzheitszeichnungen, weil mehr Freiheit und Beweglichkeit in ihnen möglich sei, das war 1992. Also die Ganzheit, der Sie eigentlich immer nachgegangen sind, indem Sie sich selbst beobachtet haben und sozusagen die Welt in sich hineinprojiziert haben. Die Ganzheit, sagen Sie auch, sei eine Wunschvorstellung der Nervenzerrüttung und die Zeichnung auch ein Triumph über die Unruhe der Welt, das heißt, daß Sie in der Zeichnung.
ML: .die Ruhe finden.
KS: .und im viel rascheren Vorgehen, nehme ich an, in dem Ihre Zeichnungen entstehen, gleichzeitig etwas – also eben aus diesem Ganzheitsbewußtsein, oder eben auch aus einem bestimmten Wollen heraus – etwas in ein Zentrum bringen, das Ihnen Ruhe verschafft oder einen gewissen Ausgleich gegenüber der vermutlich anstrengenderen Malerei, vor allem, wenn sie auf großen Formaten vollzogen wird.
ML: Das ist kein Gegensatz zur Malerei, .ich weiß nicht, was ich da geschrieben hab'.
KS: Na, Sie haben gemeint, daß ihnen die Zeichnung mehr Freiheit und Beweglichkeit ermöglicht.
ML: Ja, aber ganz einfach, daß man einfach nicht soviel Hilfsmittel braucht. Aber im Großen und Ganzen ist die Zeichnung schon natürlich viel unmittelbarer wie die Malerei, die Malerei ist schon das unmittelbarste Medium in der Kunst überhaupt – nicht? Es geht vom Pinsel und der Farbe oder vom Bleistift und dem Papier direkt, vom Menschen direkt. Man braucht dazwischen keine Maschine und keinen Druck oder sonst etwas, also sehr unmittelbar. Aber die Ganzheiten, die hab' ich ja ganz früh nicht nur auf Zeichnungen gemacht, sondern schon 1951 waren die ersten Knödelzeichnungen, die hat es ja schon gegeben. Nicht sehr zahlreich, weil ich hab' nie sehr in die Breite gearbeitet, aber das war schon sehr früh und auf Leinwand. Und sehr reduziert auch, auch farblich reduziert, ich hab' auf Farbe verzichtet, was ein großer Verzicht bei mir ist.
KS: Also diese frühen Arbeiten waren ja auch.
ML: .1951.
KS: .viel abstrakter, also. von der Figur auch viel weiter entfernt als später – nicht?
ML: Ja, ja.
KS: Zeichnung und Malerei, das ist doch etwas, was Sie als gleichwertig nebeneinander betrieben haben?
ML: Na ja, gleichwertig würde ich nicht sagen, weil ich hab' an Ölbildern länger gearbeitet, schon deshalb sind sie mehr wert.
KS: Ja, aber das muß ja nicht ein.
ML: .Negativum sein.
KS: Also der qualitative Wert, der qualitative Wert einer künstlerischen Arbeit.
ML: Nicht immer, aber meistens schon.
KS: .muß ja nicht unbedingt mit der Anstrengung oder mit der Mühe zusammenhängen, die man sich gemacht hat, obwohl klar ist, daß Sie – das sieht man Ihrer Malerei ja auch an –, daß es Ihnen sehr darum geht, Malerei auch als Malerei zu betreiben, das heißt also, einen hohen Qualitätsanspruch an die Malerei als solche zu stellen.
ML: Ja, das tu' ich.
KS: Ja, unabhängig jetzt von dem, was Sie jeweils dazu bringt oder dazu anregt, Ihrer Lust oder Unlust, Ihrer Freude oder Ihrem Ärger Ausdruck zu geben. Da gibt es ja sehr schöne und ein bißchen auch, glaube ich, selbstironische Darstellungen, die mich zur Frage veranlassen, wie es mit Ihrem Humor bestellt ist. Ein Kritiker hat Ihnen einmal einen skurrilen Humor unterstellt und Sie selbst haben einmal geäußert, in den frühen siebziger Jahren: „Mit Humor kann man Unvollkommenheit und Schmerz überwinden.“
ML: Ja, das hat hauptsächlich den Filmen gegolten, meinen Zeichentrickfilmen.
KS: Die, die in New York entstanden sind?
ML: Ja, ja, aber der Humor ist schon bei den Titeln herausgekommen, hauptsächlich.
KS: Das heißt aber auch.
ML: Ich hab' einen Abstand dadurch zu den.
KS: Ja, ja, ein gewisses Maß an Selbstironie auch, natürlich.
ML: Ja, ja, das hoff' ich schon, daß ich das hab'.
KS: Ja, und das hat Ihnen ja auch wahrscheinlich geholfen, die Dinge, die Ihnen widerfahren sind oder die Ihnen nicht so gut gefallen haben oder über die Sie sich geärgert haben – auch Zurücksetzungen – besser zu überstehen.
ML: Zu ertragen.
KS: Zu ertragen.
ML: Ja, ganz richtig.
KS: Wenn wir jetzt auf unsere Ausgangssituation zurückkommen und Ihren Pessimismus. Also ganz so schlimm kann es mit ihm nicht bestellt sein oder gewesen sein, weil sich dieser Pessimismus ja in Ihren Bildern selten deutlich niederschlägt, sondern höchstens am Rande – eine gewisse Resignation und ein gewisses Müdewerden oder ein gewisser Ekel vor bestimmten Zuständen. Aber im Großen und Ganzen strahlen Ihre Bilder ja eigentlich etwas Positives aus, auch was Ihre eigene Person und die Form Ihrer Selbstdarstellung betrifft. Meistens hat man das Gefühl, daß das eine Malerin ist, die sich darüber freut, malen zu können und eine Form der Darstellung gefunden hat, die sie weiterbringt.
ML: Na, da hätten Sie aber die amerikanischen Stimmen zu meiner Kunst hören müssen!
KS: Wie waren die?
ML: Ja, daß das eine krankhafte Kunst ist geradezu, und daß das.
KS: .Europäisch?
ML: Ja, ja, ich mein', es ist halt einfach zu wenig positiv. Mein Gott, ich hab' vergessen, wie sie das genannt haben.
KS: Na das war die Zeit, wo halt die Popartisten ihre Siegeszüge gehabt haben, Andy Warhol.
ML: Na das sagen sie jetzt noch immer, das sagen sie.
KS: Schon, aber damals ganz besonders, also ein übersteigerter Optimismus, der ihnen ja eigen war, und.
ML: Den haben sie immer, ja, ja.
KS: .und dem haben Sie natürlich etwas entgegengesetzt, für mein Gefühl: auch von der Qualität Ihrer Arbeit. Also sie ist ernster zu nehmen als vieles von dem, was Ihre Zeitgenossen gemacht haben, während Sie in New York gesessen sind.
ML: Ja.
KS: Und das konnte ja nur entstehen, wenn Sie sich Ihrer Sache sicher waren – nicht? Obwohl Sie.
ML: Na ja, ich hab' schon klein beigegeben, insofern als ich eben von den sehr abstrakteren abgegangen bin, zu den. eben Spiegelbildern, zu den Körperspiegelbildern, weil die anderen Sachen sind nicht verstanden worden, wirklich, und da hab' ich's ihnen einfach zeigen müssen, daß ich auch sozusagen normal und positiv malen kann.
KS: Und wenn Sie jetzt zurückblicken, welches waren denn für Ihr Gefühl entscheidende Jahre? Also was Ihre Entwicklung angeht und auch Ihr Selbstwertgefühl etwas aufgemöbelt hat?
ML: Mein Selbstwertgefühl? Es hat sich schon im Anfang überhaupt. wie ich zu malen angefangen hab' in der Akademie, da hab' ich schon ein sehr gutes Gefühl gehabt, weil ich gesehen hab': Es geht mir von der Hand, es ist gut gegangen.
KS: Sie sprechen jetzt von Ihrer eigenen Studienzeit, in den vierziger Jahren?
ML: Ja, von meiner Studienzeit, ja, ja. Aber dann, wie ich dann nach Wien gekommen bin – ich bin da in Kärnten geblieben und erst dann '51 nach Wien gekommen –, da war eher eine harte Zeit. Ich war erstens immer im Schatten von irgend jemand. also man hat mich nicht hochkommen lassen. Es war wirklich eine schwere Zeit. aber Sie wollten fragen, welches die guten Zeiten waren, wie ich mich entwickelt hab'. Na meistens hab' ich mich in den schlechten Zeiten gut entwickelt.
KS: Die schlechten Zeiten wären also die Anfangszeiten gewesen, in Wien.
ML: Ja, ja. Na und ich mußt' ja durch sehr viele „Ismen“ durch. Ich hab' doch in meiner Akademiezeit überhaupt nichts, keine Anregungen gehabt, keine modernen. Es war in der Nazizeit, da hat man überhaupt nichts gesehen. Man hatte nicht einmal einen Impressionisten gesehen, gar nichts, und plötzlich in der Nachkriegszeit hab' ich das alles gesehen und mußte da überall durch. Ich hab' alles so ein bißchen probiert. Ich hab' eigentlich intuitiv während des Krieges schon reine Farben malen probiert. Es hat mich der Professor ja auch hinausgeschmissen und ich hab' eigentlich den Cézanne vorempfunden, bevor ich ihn überhaupt gesehen hab' und was gewußt hab' von ihm – nicht? Auf das bin ich eigentlich sehr stolz.
KS: Ja, Sie haben ein ausgeprägtes Farbempfinden.
ML: Farbempfinden, ja.
KS: Nun, .Farbempfinden. Führen Sie das darauf zurück, daß Sie eine Kärntnerin sind? Weil ja die Kärntner bekannt dafür sind, daß sie eine besondere Affinität zu Farbqualitäten haben.
ML: Ja, ich glaub', daß es örtlich bedingt ist, weil die Grenze zum Süden da ist und man sieht auch mehr Farben, wahrscheinlich durch die größere Sonneneinstrahlung. Während im Norden. sieht man ja, die nordischen Maler malen ja alle eher schwarz und weiß, außer dem, na wie heißt er denn schon, der Norweger?
KS: Munch?
ML: Ja, der Munch, das war, das ist mein Liebling gewesen, trotzdem.
KS: Gewisse Nuancen Ihrer Farbgebung, Ihrer Palette, Ihrer Peinture deuten eigentlich auch darauf hin, daß Sie sich mit den Expressionisten – also Leuten wie Munch – auseinandergesetzt haben. Trotzdem haben Sie eine ganz eigene Farbpalette entwickelt aus bestimmenden Tonchangierungen zwischen rot und grün. Wie ist es dazu gekommen, oder haben Sie je darüber nachgedacht, wie Sie zu dieser Palette gekommen sind?
ML: Ja, ich glaub', das hab' ich auch in meinem ersten Katalog überhaupt beschrieben, in diesem Biennale-Katalog hab' ich das beschrieben. Die Elementarfarben allein zu malen, das war mir nicht genug, ich mein' wie der Van Gogh nur gelb oder. das ist natürlich die große Leistung vom Van Gogh, aber für mich war es eine große Leistung, die Farben absolut zu sehen. Und das ist ja fast 'was Unmögliches, weil wenn man in der Hand ein Häufchen Sand hat, dann kann man nicht sagen, was der Sand für eine Farbe hat. in einem gewissen Licht sieht dieses Häufchen Sand dann ganz anders aus. Also es gibt keine absolute Farbe. Auch das Rot kann sich plötzlich in ein Grün verwandeln. Und ich hab' auch meistens so lang auf einen Farbpunkt gestarrt, wenn ich ein Gesicht gemalt habe. Ich hab' so lang auf einen Farbpunkt gestarrt, bis sich die Farbe so verändert hat, daß ich sie erschaffen konnte, verstehen Sie? Das hab' ich absolutes Farbsehen genannt. Und ich hab' es auch immer ins Gegenteil verwandelt, aber natürlich muß man dann die Beziehung von einem Farbpunkt zum anderen auch aufstellen.
KS: Ja, Sie haben Ihre Methode auch in gewisser Hinsicht analytisch betrieben.
ML: Ja, sehr stark am Anfang, und jetzt in letzter Zeit tu' ich das auch wieder. ein Programm, ein Farbprogramm hab' ich jetzt.
KS: Sie arbeiten nicht mehr so aus einem Gefühl heraus, sondern Sie überlegen sich.
ML: .was ich machen könnte mit den Farben.
KS: Gibt es irgendwelche besonderen Affinitäten zu Zeitgenossen? Malenden Zeitgenossen, oder Zeitgenossinnen müßte man da jetzt wohl sagen. Fühlen Sie sich mit jemandem verwandt? Oder schätzen Sie etwas ganz besonders?
ML: Ja, die guten Maler schätz' ich alle.
KS: Ja und können Sie ein paar nennen?
ML: Na mein Gott.
KS: Denn man weiß ja nicht mehr, was die guten Maler sind.
ML: Na, unsere Österreicher wollen Sie, oder international?
KS: International, einfach nur so ein paar. Vielleicht ein paar gegensätzliche Beispiele.
ML: Mhm.
KS: Haben Sie Francis Bacon geschätzt, zum Beispiel?
ML: Ja, eine Zeitlang schon, eine Zeitlang schon. Man hat mich auch irgendwie mit ihm verglichen. und das find' ich vollständig unrecht. Erstens einmal – er kommt eher von der Fotografie her, das hat er immer behauptet und er hat überhaupt meistens nicht behauptet, von wo er herkommt, während ich dauernd behaupte, von wo ich herkomm'. Und bei mir ist die Verzerrung deshalb, weil ich ja möglichst vergesse, wie es optisch wirklich ausschaut. Das vergeß' ich und tu's nur nach dem Gefühl. Während er hat es nach einer Fotografie gemacht. Am liebsten hab' ich halt den Velázquez, oder. Velázquez, ja. Das hat eine Sinnlichkeit und eine Tiefe, eine Größe – und es ist einfach wunderbar.
KS: Und Sie glauben auch nicht daran, daß die Malerei je ein Ende finden würde, daß es keine Malerei mehr geben wird?
ML: Na ja, sie wird halt schon aussterben – nicht? Mit mir wird sie aussterben. (lacht)
(Wien, März 1997)
Portraits of Artists 72
Gespräch mit Maria Lassnig
Authors