Portraits of Artists 73

Gespräch mit Helmut Federle

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Veit Loers: Helmut, du bist zu Beginn der achtziger Jahre mit einer bestimmten Botschaft angetreten, du bist mit dieser Botschaft aufgefallen – erst unter wenigen – und ab Mitte der achtziger Jahre bist du damit richtig bekannt geworden, hast aber damit auch Widerspruch geerntet. Ich entsinne mich noch – wie ich dich kennengelernt habe –, daß mir deine Arbeiten bei einer Gruppenausstellung in Regensburg, im Gegensatz etwa zu Disler oder zu Miriam Cahn, aufgefallen sind. Durch eine Haltung, die nicht nach vorne drängte, sondern eher zurückweichend war, die aber von hinten heraus strahlte. Wie würdest du denn heute diese Botschaft bezeichnen?

Helmut Federle: Ich glaube, man muß davon ausgehen, daß – als junger Künstler, nachdem ich die Schule verlassen habe und ich mich eigentlich über lange Zeiten in der Subkultur bewegt habe – die persönliche Motivation die Antriebsfeder war, Kunst zu machen und auch Kunst zu definieren. Kunst wird immer aus dieser persönlichen Sehnsucht heraus, aus dieser persönlichen Betroffenheit heraus anvisiert. Ich bin aber sehr schnell darauf gekommen, daß das ein zu kurz gedachter Gedanke ist. Denn man kommt sehr schnell an die Grenzen dessen, was eigene Persönlichkeit kommuniziert, und das kann es eigentlich nicht sein. Also für mich wurde es dann sehr wichtig, mich der Malerei in diesem Jahrhundert verpflichtet zu fühlen und mich dann auch in die Geschichte dieses Jahrhunderts einzuklinken, das heißt, ein Maß an Referenz zur ganzen Geschichte der Malerei in diesem Jahrhundert aufzunehmen, um mich dem auch hinzugeben. Man kann nicht davon ausgehen, daß es keine Geschichte gibt – es gibt Geschichte, man kann sich in die Geschichte nur einklinken und kann nicht bei Null beginnen. Das wäre ein naiver Gedanke, und das ist ein Gedanke, der mich an der Kunst nie interessiert hat. Was ich sehr früh durch die Besuche im Kunstmuseum Basel und auch durch das Studium an der Gewerbeschule Basel gelernt habe, ist, daß immer eines aus dem anderen heraus entsteht und sich eigentlich auch nur in dieser Folge rechtfertigt.

VL: Wenn du sagst: man bezieht sich auf etwas anderes, fällt mir auf, daß du in unseren früheren Gesprächen immer deine Bewunderung und auch deine Beschäftigung mit Leuten wie Kandinsky, mit Paul Klee – aber es war noch mehr Kandinsky –, dann natürlich mit Malewitsch und vor allem mit Mondrian kundgegeben hast. Du hast ja auch in bestimmten Ausstellungen eine Gegenüberstellung mit diesem Werk gesucht, und mir scheint, manchmal sogar mehr als mit der Malerei der sechziger Jahre.

HF: Ich glaube, man ist der näheren Vergangenheit gegenüber vielleicht skeptischer als einer weiter zurückliegenden. Man darf nicht vergessen, wie ich in die Schule gegangen bin, gab es ja die Ausstellungen von Colorfield-Malerei in der Kunsthalle Basel. Das war also Gegenwartskunst, für mich – als jungen Schüler – war das die Gegenwart. Daß man der Gegenwart gegenüber einfach skeptischer war, hat vielleicht etwas mit meinem Naturell zu tun. Aber das hat sich ja auch gelegt. Ich habe ja eine ganz große Affinität zu den amerikanischen Malern, und ich sehe mich durchaus auch in dieser Tradition. Aber darauf, was du vorhin gesagt hast, müßte man vielleicht noch einmal eingehen. Es hat natürlich jede Malergeneration immer versucht, sich von der vorhergehenden Generation abzugrenzen, sich zu lösen. Das schien mir eine sehr wichtige Sache zu sein, bis vielleicht etwa um 1960 herum. Ich glaube, dann mußte man einfach einsehen, daß die Innovationssymbole sowohl formaler als auch expressiver Art verbraucht waren. Das heißt, man konnte das nicht mehr vorwärts treiben. Auch das analytische Bewußtsein hatte irgendwo seine Grenzen erreicht, von wo aus man Malerei immer wieder nach ihren Bedingungen hinterfragt hat. So gesehen stellt sich für mich natürlich. oder stellte sich für mich die Frage nach der Malerei anders, weniger programmatisch.

VL: Was mir damals aufgefallen ist, auch im Rückblick, ist, daß du dich eigentlich von diesen großen Ideen – sozusagen von Bild und Raum – erst einmal scheinbar zurückgezogen und dich mit Zeichen beschäftigt hast, mit dem Positiven, mit dem Negativen, mit der Botschaft eines Zeichens. Du warst in New York und hast sehr viele Zeichnungen gemacht. Du hast im Kleinen eine Welt für dich entdeckt, auch die Welt der Geometrie. Denn ich meine, das, was die Minimal Art gemacht hat, war ja auch irgendwo noch Geometrie. Du hast es noch einmal richtig formuliert, indem du über den Sinn der Geometrie nachgedacht hast. Kannst du da vielleicht noch irgend etwas ergänzen?

HF: Mir war sehr schnell klar, von einer starken Doktrin der Geometrie – also ich spreche jetzt von den Schweizer Konkreten – belastet zu sein. Ich habe gesehen, daß dieser Formalismus, meines Erachtens nach, in die Leere führt, das heißt, die Form alleine konnte es nicht sein. Da wollte ich wieder ansetzen, daß man der Form wieder ihre Sinnlichkeit zurückgibt, daß man der Form auch wieder ihre Tragik zurückgibt. Nämlich die ursprüngliche Verwendung von Geometrie oder von Formenvokabular war immer gekoppelt mit einer ritualisierten Inhaltlichkeit oder bis zu einem gewissen Mindestmaß mit Sentimentalität beladen, und es war mir wichtig, wieder auf diese Qualität zurückzukommen.

VL: Du hast aber dann ja im Grunde genommen nicht nur etwas sozusagen an Evolutionalität, an Sentimentalität, an Trauer, an Schmerz, auch an Aggression hinzugegeben, sondern du hast dich auch gleichzeitig wieder reduziert. Du hast das Farbprogramm der Schweizer Konkreten in keinster Weise mitgemacht. Du hast dich, wie in einer Art Askese, auf wenige Farbtöne beschränkt. Letzten Endes bist du bekannt geworden durch deine grauen, weißen, gelb-grünlichen Bilder, und das war damals – und auch heute noch – fast wie ein Wiedererkennungssymbol. Wie bist du dazu gekommen?

HF: Eigentlich wie bei der Form. Da mich Form persönlich nicht interessiert, interessiert mich eigentlich Farbe per se auch nicht. Also ich bin an der Farbe als grafische Erscheinung nicht interessiert. Ich bin aber am Klima und am Klang der Farbe interessiert, und so gesehen – wie es für mich unumgänglich ist, daß die Form mit Emotion, mit Sinnlichkeit beladen ist – ist auch die Frage nach der Farbe gleich zu sehen. Das heißt, Farbe muß Sinnlichkeit transportieren und Farbe transportiert Klima. Es ist ein Irrglaube anzunehmen, daß man sowohl Farbe als auch Form neutralisieren und nur auf ihre grundobjektiven Qualitäten hin zurückführen könnte.

VL: Ja, das wäre dogmatisch. Die Bilder haben immer etwas Nebelartiges, aber man entdeckt dann in diesen Grautönen eine unglaubliche Farbigkeit. Also ich könnte nicht sagen, daß sie auf mich grafisch wirken, sie haben eine sehr starke Farbqualität, die gerade, wenn man ein Bild zehn Jahre nicht gesehen hat, wieder besonders hervorkommt. Interessant ist, daß du für dich diese Verantwortung gefordert hast in einer Zeit, Mitte der achtziger Jahre, in der viele andere genau das Gegenteil gemacht haben. Es war etwas anderes angesagt. Es war sehr viel Ironie angesagt, es war – sagen wir ruhig – postmoderne Malerei angesagt, und du bist eigentlich wie ein Mönch durch diese achtziger Jahre hindurchgegangen. Wie würdest du das heute sehen? Hat das mit der Haltung zum Sujet zu tun, oder war das einfach deine Lebenshaltung?

HF: Ich glaube, man kann durchaus sagen, daß die Hoffnung nach Erlösung durch die Arbeit – die ist vorbei, also die ist geschwunden. Man muß erkennen, daß man durch die Arbeit nicht mehr zu einer Erlösung kommt. Und wenn man das erkennt, ist die Alternative zu dieser Erkenntnis in meinem Falle nicht Zynismus, sondern ein – vielleicht könnte man sagen: skeptischer Umgang mit den dualen Erkenntnissen. Man muß dem, was man postuliert, selber skeptischer begegnen, und man muß das in einen relativeren Raum stellen. Das heißt, die Absage an ein eindeutiges Programm muß sich verstärken. Wir können heute am Ende dieses Jahrhunderts nicht mehr von eindeutigen Programmen reden, das wäre lächerlich.

VL: Ja, ich glaube auch. Du siehst das vollkommen richtig. Es gibt ja auch keinen Schritt, bei dem man sagt, wir arbeiten auf dieses Ziel hin. Das gibt es weder in der Politik noch in der Kunst. Das ist eigentlich das Schöne für mich, das, was Kunst ausmacht – daß sie zwar immer an Zielen arbeitet, aber eigentlich auch ihr Scheitern eingestehen muß. Denn die Welt dreht sich weiter, Prozesse laufen ab. Am Schluß erkennen wir, rückblickend – das ist ja das Verrückte –, daß da doch Ziele da waren!

HF: Die poetischen Sehnsüchte haben sich eben nicht überlebt, die sind gleichgeblieben, und weil sie gleichgeblieben sind, gibt es eben nicht die Alternative, sie zu verdrängen oder ihnen nur noch zynisch, sarkastisch zu begegnen, sondern man kann diesen poetischen Sehnsüchten durchaus in einer fast schon traditionellen Weise wiederbegegnen mit einem anderen, konzeptuellen Bewußtsein. Das heißt, die Maler der klassischen Moderne haben auf diese poetischen Sehnsüchte eine direkte Antwort finden können; weil damals die bildnerischen Mittel nicht verbraucht waren, hatten sie die Möglichkeit. In dieser glücklichen Situation bin ich natürlich nicht mehr.

VL: Jetzt ist es aber doch interessant, noch einmal auf deine Arbeit zurückzukommen. Du hast für dich tatsächlich nicht nur ein Vokabular entwickelt, sondern eine ganze Welt, die aus sehr einfachen, aber antizyklisch angeordneten Volumina bestand, in die du alles hineingelegt hast, was dir zur Verfügung stand. Da gab es deine Initialen, da gab es fast etwas wie Quader, es gab Striche, es gab – seltener – Kreise, aber für mich haben diese Grundformen immer unglaublich viel ausgesagt. Sie wollten eben nicht wie bei Max Bill nur eine Diagonale oder eine Kompositionshilfe sein, sondern sie waren ein Stück Welt, eine Weltsicht. Kannst du das so akzeptieren?

HF: Ich kann nur von den Bedingungen sprechen, unter denen diese Arbeit möglich ist: Sie ist möglich um den Preis einer sehr großen Isolation. Der Kontext, um diese Qualitäten zu kommunizieren, ist natürlich heute weniger gegeben als je zuvor. Das heißt, wir leben in einer unglaublich verbrauchten, sehr auf Oberfläche bedachten Welt der Kommunikation. Und da sind natürlich noch diese Zwischentöne, die mich im Besonderen interessieren, weil die Gefahr besteht, daß die Kommunikation dieser Zwischentöne oder dieser poetischen Dimension auch leicht in das sentimental Überfrachtete abdriften könnte, was mich auch überhaupt nicht interessiert. Mich interessiert der moderne Mensch mit seinen rationalen Errungenschaften und auch mit seiner Fähigkeit, rationale Entscheidungen zu treffen – mit dem Wissen, daß die unberechenbaren Erwartungen oder die unberechenbaren Hoffnungen nicht auszuklammern sind. Also die ganze Dramatik des Seins können wir nicht ausklammern.

VL: Das ist aber dann im Grunde genommen eine ganz andere Haltung, als sie Mondrian eingenommen hat. Mondrian ist immer davon ausgegangen, daß er eines Tages keine Bilder mehr malen muß.

HF: Ja, das war.

VL: .eine gesellschaftliche Utopie.

HF: Ja, das war eine nicht verbrauchte Zeit. Würde ich in der Zeit leben, würde ich diese Möglichkeit auch anvisieren. Selbst für mich stellt sich natürlich die Frage des Auflösens der Malerei, die sich für jeden anderen Maler mit einem gewissen Bewußtsein auch stellt.

VL: Damit sind wir bei der Malerei überhaupt angekommen. Mondrian, von dem ja sicher niemand annimmt, daß er kein guter Maler gewesen sei – ein exzellenter Maler also –, hat in etwa gesagt: Okay, ich male mein Leben lang, aber eigentlich ist es nur ein Modell für mich. Ich stelle mir den Kosmos vor. Du sagst. nein du sagst nicht das Gegenteil, aber für dich ist es auch ein Kosmos; aber letzten Endes ist die Malerei Malerei geblieben. Die neuen Medien haben diese Substanz noch nicht erbracht und können sie auch gar nicht erbringen. Siehst du in der Malerei doch noch ein Moment, das durch nichts anderes ersetzt werden kann?

HF: Wenn man Malerei nur als Medium sieht, zur Vermittlung literarischer oder deskriptiver Inhalte, dann glaube ich, ist Malerei überholt, fertig. Dazu dient sie nicht. Wenn sie sich aber ihrer ureigensten Qualitäten besinnt, nämlich darauf, daß sie nichts anderes ist als Malerei selbst. Wenn sie durch ihre eigenen Qualitäten funktioniert, wie zum Beispiel durch Farbräume, und eben nicht etwas d a r s t e l l t, sondern etwas
i s t – das ist ja ein wesentlicher Unterschied –, daß sie eben nicht das Licht darstellt, sondern selbst Licht i s t. Sie stellt auch nicht Natur dar, sondern sie i s t selbst Natur. Wenn sie sich darauf wieder zurückbesinnt, hat sie durchaus immer noch Möglichkeiten, die man vielleicht vordergründig als verbraucht anschauen würde, die aber doch immer noch machbar sind.

VL: Ich habe vorhin im Atelier ganz neue Bilder gesehen, die erstmals auf der Biennale gezeigt werden, da ist Malerei, aber nichts Verbrauchtes. Wie siehst du das?

HF: Ich glaube, im Unterschied zu Arbeiten, sagen wir der achtziger Jahre, hat sich meine Malerei stärker geöffnet, sie hat noch weniger „Messagecharakter“, sie hat noch weniger inhaltliche Information. Sie beschränkt sich noch mehr auf ihr eigenes Dasein als Farbraum, in dem wir uns erkennen können oder in dem unsere Sehnsüchte gespeichert sind. Die Bilder aus den achtziger Jahren, als ich von Amerika zurückgekommen bin, sind stark geprägt gewesen von einer gewissen Signalhaftigkeit, das heißt, die Chiffre hatte ein gewisses Mitteilungsbedürfnis. Dieses Mitteilungsbedürfnis habe ich zurückgenommen, oder es hat sich zurückentwickelt. Dadurch gibt es ein Hin und Her zwischen meinem eigenen Leben und meiner eigenen malerischen Sehnsucht. Auf der einen Seite will ich mich als Maler dort hinentwickeln, auf der anderen Seite entwickle ich mich als Mensch auch in diese Richtung, das heißt, ich öffne mich einer weniger deskriptiven Dimension.

VL: Das, was früher als Zeichen herausgekommen ist, zum Beispiel dieses „T“ in dem großen neuen Bild „Norwegische Sicht“, das geht völlig in der Malerei auf und ist nicht einmal mehr eine Geste. Alles ist eins geworden.

HF: Es ist interessant, daß du immer noch vom „T“ sprichst, das habe ich gar nicht gesehen. Ich meine, wenn man einmal einer gewissen – ich sage das jetzt provokant – Klischierung unterlegen ist, dann kann man die nie mehr abstreifen. Also, daß man auch bei den heutigen Arbeiten immer noch irgendeinen Ansatz von Buchstaben sieht, ist meines Erachtens nach nicht richtig, daran habe ich nicht gedacht. Aber es ist natürlich ein formales Naturell der Buchstaben, daß sie auch aus Vertikalen und Horizontalen bestehen.

VL: Das ist eine architektonische Form.

HF: Ja, richtig, meine Bilder sind immer noch architektonisch aufgebaut.

VL: Ich wollte zurück auf dich persönlich kommen. Du bist ja in der deutschsprachigen Schweiz groß geworden, bist aber eigentlich kein Schweizer geblieben. Was hat dich hinausgetrieben?

HF: Ich habe die Malerei immer als eine kosmopolitische Qualität gesehen. Das hat natürlich nicht zuletzt mit Basel zu tun. Ich muß ganz ehrlich sagen, das war dort wirklich eine Hochblüte – die sechziger Jahre. Damals hat man die Kunst wirklich als universales Modell internationaler Dimension gesehen und eben nicht nationaler Eigenschaften. Wir leben leider jetzt dreißig Jahre danach in einer viel regressiveren Struktur, in der unglaublich stark nationale Tendenzen in den Vordergrund gerückt werden. Man spricht von österreichischer Kunst, man spricht von amerikanischer Kunst. Ich finde das eigentlich lächerlich. Ich meine, das hätte man schon längst überwunden haben sollen. Ich bin damals weggegangen aus der Schweiz, weil gerade diese Visionen der amerikanischen Malerei der fünfziger Jahre mich natürlich stark beeindruckt haben. Aber auf der anderen Seite waren meine Reisen nach Asien genauso wichtig, das heißt, es gab damals einen Informationsfluß von alten Kulturen wie auch den Informationsfluß der amerikanischen Kunst.

VL: Was schätzt du eigentlich an den asiatischen Kulturen, was hat dich da so fasziniert? War es mehr die Aura vergangener Kulturen oder war es vielleicht die Möglichkeit, europäischen Engpässen zu entkommen?

HF: Ich glaube, eher das zweite, weil das erste interessiert mich eigentlich nicht so. Also das Vergangene interessiert mich nicht als Vergangenes, sondern mich interessiert es als Gegenwärtiges. Das heißt, in asiatischen Kulturen habe ich immer eine Qualität gesehen, die für mich selber sehr wichtig ist, also eine Zuneigung zum Unvollendeten, eine Zuneigung zum Fragilen, eine Zuneigung zum Unbestimmten, alle diese Qualitäten beinhalten diese poetische Sehnsucht, die man in sich trägt, die ja letztendlich nichts anderes ist als eine Station in der Erwartung des Todes.

VL: Wenn ich an Bilder wie „Ulan Bator“ denke, haben sie ja auch eine Seinsqualität, ein Dauern in ganz anderen Zeiträumen, im Gegensatz zu dieser europäischen Hektik.

HF: Das ist richtig, daß die Dinge sich nicht unweigerlich in einer so brutalen Art ablösen, daß die Dinge einfach eine längere Zeit haben, ihren Atem zu entwickeln.

VL: Trotzdem, wenn ich deine neuen Bilder im Kopf habe, muß ich sagen, daß dieses Sein sich tatsächlich als Prozeß darstellt, für mich, den Betrachter. Es ist ein Fluktuieren, ein ständiges Bewegen an der Oberfläche. In diesen kleinen Bildern, die du „Legion“ nennst, ist auch etwas, das sich von diesem Unerbittlichen gelöst hat. Ich würde es prozessual nennen. Kann man das so sagen?

HF: Ich glaube, das hat eine gewisse Richtigkeit. Also gerade bei diesen kleinen Bildern der Serie „Legion“ geht es eigentlich um die Absenz von Farbe, daß sich Farbe eigentlich entzieht. Vielleicht spielt da im Hintergrund die Erfahrung eine Rolle, daß Farbe sehr oft als Beweis eingesetzt wird oder als Offensivqualität, Dinge zu besetzen oder Dinge zu belegen. Um dem zu entgehen, habe ich versucht, mich mit Farbe zu beschäftigen, damit, wie sich Farbe diesen Dimensionen entzieht. (.)

VL: Früher war das Umschlagen von Formen auffallend bei dir: Es konnten bestimmte geometrische Formen einfach in ihr Gegenteil umschlagen, und man konnte die Bilder plötzlich anders sehen. Das hat ja diese Bilder auch so spannend gemacht, daß sie nicht eindimensional waren, denn eine positive Form konnte auch wieder zu ihrem eigenen Alter ego werden – so wie vielleicht männlich-weiblich oder positiv-negativ. Am Anfang waren die Bilder manchmal sogar mit einer gewissen Rotzigkeit gemacht, nicht alle, aber ein paar waren so. Das hast du dann in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wieder aufgegeben, mir wurden sie dann manchmal etwas zu feierlich – das ändert sich jetzt wieder. Was mich interessiert, ist, wie deine Bilder überhaupt entstehen. Es gibt ja Spontanmaler, Schnellmaler. Du bist das Gegenteil davon. Du arbeitest in langsamen Malprozessen.

HF: Ich glaube, nur durch diese Langsamkeit – die auch nicht ein Programm von mir ist, sondern mein Naturell – ist dieses Resultat erreichbar. Ich habe zu meinen Arbeiten, die du vorhin erwähnt hast, also Ende der siebziger Jahre, die mehr rotzigen Charakter haben, ein ungestörtes Verhältnis. Ich selbst war damals auch rotziger, es gab ein viel größeres Aggressionspotential. Das war die Zeit, in der ich mich noch stark in der Subkultur verwurzelt fühlte. Subkultur ist immer stark geprägt von Negativenergien, von negativer Offensivität, ich habe dazu ein ungestörtes Verhältnis. Nur wenn man vierzig wird, müßte man das langsam auch überwunden haben. Es würde auch eine gewisse Lächerlichkeit haben, wenn man das bis in sein hohes Alter hinein weiterhin zelebrieren würde. Nehmen wir die Tatsache des Gelbs, das ja in meinen Arbeiten Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre, als ich nach New York gezogen bin, ein hohes Maß an Offensivqualität hatte, dieses Gelb hatte wirklich eine gewisse Signalhaftigkeit. Das könnte ich heute so nicht mehr verwenden, weil mich das nicht mehr so interessiert. Ich habe mich innerlich zu diesem neueren Klang hin entwickelt, den ich zwar immer noch als gelb bezeichne, der aber natürlich schon längst grün ist, und dieses Grün hat eine harmonischere Qualität. Diese harmonische Dimension entspricht meines Erachtens nach ungefähr meinem Alter und meinem Wissensstand – vor allem meinem Sehnsuchtsstand. Wir definieren ja die Aussage immer in Bezug zur Sehnsucht. Wenn wir über Rotzigkeit reden, ist das keine Qualität an sich, sondern die Rotzigkeit ist eine Qualität in Beziehung zu einer spezifischen Form von Sehnsucht. So sehe ich auch diese vielleicht kontemplativere Qualität der jetzigen Arbeit. Sie ist für sich selbst keine Qualität, sondern ist eine Qualität in Beziehung zu einer gewissen Form von Sehnsucht.

VL: Wir sehen, daß die achtziger Jahre, die auch mit Recht als Neufassung von Malerei gelten, von besonderem Interesse für die Malerei waren. Welche Funktion kann denn heute noch Malerei haben, bei aller Schwierigkeit in dieser konzeptuellen Welt? Ist sie farblicher Hintergrund? Denkst du, daß sie eine Seinsqualität ist, die diesem einfachen Schema von einem Untergrund und einer mit der Hand gemachten Geste eines Weltbildes entspricht? Oder ist sie eben eine Alternative? Bette ich sie in diese Konzeptualität? Ich frage dich jetzt einfach: Wie siehst du das?

HF: Die Malerei war natürlich immer auch – wie ich eben früher sagte – Träger einer individuellen Sehnsucht nach Formulierung des Seins, war aber nicht nur ein geistiges Produkt, sondern auch ein materielles Produkt. Ihre Materialität darf nicht unterschätzt werden. Sie ist ja nicht nur eine geistige Information, sondern auch eine materielle, ähnlich wie andere Dinge auch. Was mich interessiert, ist, daß wir an einem Punkt angelangt sind, wo wir die programmatische Qualität, Malerei vorwärts zu treiben, überschritten haben. Jede gute Malerei muß heute ein Mindestmaß konzeptueller Dimension beinhalten. Das Wichtige ist, daß diese konzeptuelle Dimension nicht in den Vordergrund treten darf, weil die Malerei dadurch kopflastig würde. Die Qualität der Malerei war immer eine sinnliche sowie eine geistige Qualität, und diese Zweispurigkeit muß heute vermehrt aufrechterhalten werden. Unser Mindestmaß an konzeptuellem Einbringen in die Malerei bedarf einer wirklichen Pointierung, also einer verfeinerten Wahrnehmung der Fragestellung: Was wollen wir denn mit der Malerei erreichen?

VL: Ja, das ist doch vielleicht die wichtigste Frage.

HF: Das ist die wichtigste. Das schöne an alten Kunstwerken ist, daß wir uns nicht mit dem Künstler herumzuschlagen haben, sondern nur mit seinem Werk, und das Werk muß schlußendlich diese Qualität vermitteln und nicht die soziale Fähigkeit des Künstlers oder seine opportunistische Fähigkeit oder seine politisch-strategische Fähigkeit. Das sind alles Dinge, die die wirklichen Qualitäten der Malerei zudecken.

VL: Also ebenso wie du 'mal früher selbst gesagt hast: In die Kirche gehen – auch wenn man nicht religiös ist – und dort die Bilder, die für diese Kirche gemalt wurden, bewundern, weil das eben die wirkliche. weil das eben wirkliche Werke sind.

HF: Natürlich.

(Wien, März 1997)

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