media loop

In der Schleife ankommen mit Olaf Nicolai – Ein media loop von museum in progress

Was haben ein geklontes Pferd, aufmarschierende Rechtsradikale, ein fossiler menschlicher Fingerknochen, inhaftierte tibetische Mönche und ein Roboter gemeinsam? Es sind Protagonisten der insgesamt zweiundzwanzig Medienbilder, die Olaf Nicolai als Ausgangspunkt für seine vielschichtige Ausstellung „There Is No Place Before Arrival“ in der Kunsthalle Wien wählte. Die Medienbilder aus dem Privatarchiv des Künstlers verfügen über ästhetisch-poetische oder (gesellschafts-)politische Konnotationen und wurden für eine großformatige, begehbare Installation von Theatermaler*innen auf den Boden der Ausstellungshalle übertragen. Aus den funktionellen Medienbildern, die vorgeblich einen objektiven, neutralen Blick auf ein bestimmtes Ereignis vermitteln sollen, werden durch den Transfer in die Malerei einzigartige Werke, handgefertigte auratische Originale. Die vermeintliche Objektivität wird durch Individualität und Interpretation ersetzt.

Als Besucher*in der von Luca Lo Pinto kuratierten Ausstellung erliegt man schnell der Faszination dieser doppelbödigen Bilder, die einerseits eine gewisse Vertrautheit ausstrahlen – wir alle kennen ähnliche Bilder aus den Medien – und andererseits in ihrer außergewöhnlichen und neukontextualisierten Präsentationsweise ein Geheimnis zu bergen scheinen. Wer wissen möchte, aus welchem Bedeutungszusammenhang die einzelnen Medienbilder stammen, wird im begleitenden Ausstellungsbooklet fündig. Dabei zeigt sich, dass sich die Rezeption der Bilder durch die Kenntnis ihrer Kontexte schlagartig verändert. Eine schneebedeckte Berglandschaft mit Fußspuren kann etwa kaum mehr als erhabenes Naturbild betrachtet werden, wenn man weiß, dass die Spuren im Schnee von einer Bergsteigergruppe stammt, von der wenig später sechs Menschen bei einem Absturz ums Leben kamen. Die rein faktische Sichtweise auf diese Bilder wird hingegen nicht nur durch ihre Übersetzung in das Medium der Bodenmalereien gebrochen, sondern auch durch weiterführende Kurztexte im Ausstellungsbooklet, die assoziativ über die Fakten hinausgehen und oftmals überraschende Blickwinkel aufweisen. Während Medienbilder in der Berichterstattung von Zeitungen einen bestimmten Sachverhalt illustrieren und dabei üblicherweise eine eindeutige Botschaft transportieren, zielt der Bildteppich von Olaf Nicolai auf seine Aktivierung durch die Besucher*innen, deren vielfältigen individuellen Lesarten der Bilder nebeneinander ihre Gültigkeit haben. Der Künstler reflektiert damit insbesondere die Relation zwischen Bedeutung und Erfahrung. In diesem Zusammenhang ist auch das umfassende Rahmenprogramm der Ausstellung bemerkenswert, wobei die kreative Auseinandersetzung der Gastakteure mit den gemalten Bildern zusätzliche Ebenen entstehen lässt.

Unter dem Projekttitel „media loop“ bringt museum in progress die gemalten Medienbilder in einer kontextuellen Umkehrschleife zurück in die Informationsräume von achtzehn Zeitungen und Magazinen. Mit einer Gesamtdruckauflage von rund 1‘200‘000 und einer Reichweite von über 4‘000‘000 Leser/innen wird eine enorme Breitenwirkung erreicht. Dabei heben sich die überwiegend ganz- oder doppelseitig abgedruckten Werke mit starker Präsenz von den umgebenden Medienbildern ab. Die Zurückführung in den medialen Raum kann die künstlerische Öffnung der Bilder für multiple Interpretationen nicht ungeschehen machen, weshalb sich die transformierten Medienbilder nicht mehr in die Logik medialer Dramaturgie einfügen. Das Kunstprojekt „media loop“ stellt somit einen – durchaus produktiven – Eingriff in die Geschlossenheit der teilnehmenden Medien dar, wobei auch hier die Aktivierung der Leser*innen im Vordergrund steht, die unversehens mit den Bildern dieser medialen Ausstellung konfrontiert werden und diese mit eigenen Bedeutungen aufladen können. Die Wahrnehmung der Werke von Olaf Nicolai ist jedoch nicht alleine von der Betrachterin und dem Betrachter bestimmt, sondern auch vom jeweiligen Medium und den benachbarten medialen Inhalten. Wie das Projekt verdeutlicht, spielt es für die Rezeption eine wesentliche Rolle, ob ein Bild in einer Tageszeitung, in einem Wirtschaftsmagazin oder in einer Straßenzeitung, ob es im Feuilleton, im Sportteil oder neben Modefotos präsentiert wird.

In konsequenter Verlängerung der Feedbackschleife des Kunstprojektes eröffnete museum in progress über die analoge Ausstellung in den Printmedien hinaus und unter Verwendung des Hashtags #medialoop auch einen digitalen Ausstellungsraum auf Instagram, der alle Phasen des Loops integriert: die medialen Ausgangsbilder, ihre Übertragung in vergrößerte Bodenmalereien und die Rückführung der Bilder in die Zeitungen und Magazine, die nach ihrer Publikation wiederum Eingang in die Ausstellung der Kunsthalle Wien finden, wo sie im Eingangsbereich auf einem großen Tisch ausgebreitet werden. Außerdem wird auf Instagram die Benützung der Bilder durch das Publikum für die Kommunikation in sozialen Medien gezeigt, beispielsweise in Form von Selfies, die ebenfalls neue Bedeutungsebenen evozieren.

museum in progress ist seit 1990 auf außergewöhnliche Präsentationsformen für zeitgenössische Kunst spezialisiert. In Anlehnung an den „erweiterten Kunstbegriff“ von Joseph Beuys beansprucht und erweitert die gemeinnützige Kunstinitiative den Museumsbegriff und transformiert durch seine Aktivitäten den medialen und öffentlichen Raum in ein „Museum“ für seine Kunstprojekte. Ohne eigenes Ausstellungsgebäude operiert museum in progress demnach außerhalb traditioneller Präsentationsformate; stattdessen dienen etwa Zeitungen und Magazine, Plakatflächen, Gebäudefassaden, Konzertsäle oder das Fernsehen als Ausstellungsräume, wodurch ein riesiges, auch kunstfernes Publikum erreicht wird. Seine kontextabhängigen und temporären Kunstprojekte zielen stets auf die Schnittstelle von Kunst und Leben. Insofern gibt das Konzept der Wiener Initiative von vornherein eine gesellschaftspolitische Dimension vor.

Im Bereich Zeitungs- und Magazinkunst realisierte die Kunstinitiative in den letzten achtundzwanzig Jahren mehr als 1000 Einzelwerke in unterschiedlichen Medien. Die Bandbreite künstlerischer Interventionen von museum in progress in den Printmedien reicht von kleinformatigen Inserts bis zu doppelseitigen Werken, von einmaligen Beiträgen bis zu Gruppenausstellungen und seriellen Schaltungen, die über Zeiträume von bis zu mehreren Jahren realisiert wurden und aus bis zu hundert einzelnen Inserts bestehen konnten. Eine Zusammenarbeit mit achtzehn Medienpartnern in einem Kunstprojekt wie im Rahmen von „media loop“ mit Olaf Nicolai ist auch für museum in progress ein Novum – bisher wurden die Projekte mit maximal vier Medienpartnern umgesetzt.

Mit seinen Zeitungs- und Magazinkunstwerken knüpft museum in progress an Kunstprojekte in Massenmedien an, die in den 1960er-Jahren ihren Anfang nahmen, man denke etwa an Dan Graham mit seinen Werken „Figurative“ im Modemagazin Harper’s Bazaar (1965) und „Homes for America“ im Arts Magazine (1966–67) oder an die „Falschen Fotos“ von Allan Kaprow in der Wochenzeitung Die Zeit (1981). Es ließen sich noch viele weitere spannende Projekte diverser Künstler*innen und Institutionen anführen, die in den letzten fünfzig Jahren in Printmedien stattgefunden haben. Allerdings nimmt museum in progress in diesem Kunstbereich aufgrund der hohen Anzahl, Vielfalt und Qualität der realisierten Arbeiten eine international singuläre Position ein. Seine spezifisch für den Medienraum konzipierten Arbeiten stellen keine Reproduktionen von Kunstwerken dar, sondern funktionieren als Multiples, als eigenständige Werke in der Auflage des jeweiligen Mediums. Folglich ist die einzelne Zeitung beziehungsweise das einzelne Magazinheft ein Original. Damit wird das Sammeln zeitgenössischer Kunst demokratisiert und für alle erschwinglich gemacht. Nichtsdestotrotz ist auch der Weg in die Sammlungen traditioneller Kunstmuseen vorgezeichnet. So sind die Medienkunstprojekte von museum in progress beispielsweise im MoMA in New York, im Museum Boijmans Van Beuningen in Rotterdam und im mumok in Wien zu finden.

Das Projekt „media loop“ ist als längerfristige Ausstellungsreihe mit wechselnden Medienpartnern und Künstler*innen konzipiert, die eingeladen werden, sich in ihren Werken mit Massenmedien auseinanderzusetzen. Die Resultate dieser künstlerischen Untersuchungen von Printmedien oder auch digitalen Medien werden in einem Loop in mediale Räume rückgeführt. Olaf Nicolais Ausstellungsprojekt in der Kunsthalle Wien verfügt über einen ausgeprägten performativen und prozessualen Charakter. Einerseits kommen zu den anfänglich fünfzehn gezeigten Werken im Laufe der Ausstellung weitere sieben Bilder hinzu, deren aufwändige Entstehung vor Ort mitverfolgt werden kann. Und andererseits verändern sich auch die bestehenden Bilder stetig. Während des Ausstellungsbesuchs geht das Publikum über die Bodenmalereien und schreibt sich mit seinen Fußspuren aktiv in sie ein. Dieser vom Künstler intendierte Veränderungsprozess, der die partizipative Rolle des Publikums unterstreicht, ist ein wichtiger Teil des Projektes und wird auch in die Ausstellungserweiterung von „media loop“ integriert. Demgemäß haben sich die Wochenzeitung Die Furche und das jüdische Stadtmagazin wina bereiterklärt, mit ungefähr vier Wochen Abstand das gleiche Motiv zweimal zu drucken, einmal das Anfangsbild und einmal im gleichen Format mit den Spuren der Besucher/innen. Das im STANDARD abgedruckte Bild wurde nur mit den Fußspuren präsentiert.

Der poetische Ausstellungstitel „There Is No Place Before Arrival“, den Nicolai aus einem Text des amerikanischen Autors und Jazzmusikers Sun Ra entnommen hatte, lässt an einen berühmten Satz aus Wagners Parsifal denken: „Zum Raum wird hier die Zeit.“ Auch bei Parsifal liegt in der Ankunft, im Dasein eine Kraft, die Raum schafft. Anders formuliert könnte man sagen, dass ein Ort erst, wenn sein Raum eingenommen wird, durch die Präsenz zu einem Ort wird. Schaffen auch Sie Raum, gehen Sie in die Kunsthalle, lesen Sie Zeitung und blättern Sie in Magazinen, tauchen Sie ein in die Schleife von „media loop“, kommen Sie an im Werk von Olaf Nicolai und spüren Sie die produktive Energie Ihrer Präsenz im Raum!

(Kaspar Mühlemann Hartl)


Medienpartner
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Links
media loop (mit Erscheinungsterminen): www.mip.at/projekte/media-loop
Instagram: www.instagram.com/media_loop
Kunsthalle Wien: www.kunsthallewien.at
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