Chicago – White Sands (21.06.1993)

White Sands

Karl-Heinz Klopf: Sobald wir auf das weiße Feld gekommen sind, habe ich die Orientierung verloren. Die Piste und die verstreuten Geräte gaben keinen Anhaltspunkt mehr, eine Fata Morgana steigerte dieses Gefühl.

Sigrid Kurz: Die besondere Atmosphäre kann kein Foto wiedergeben. Der Raum ist nicht faßbar, denn man hat immer nur einen Blickwinkel, eine Düne. In dem Augenblick, als wir dort waren, haben wir gewußt, es ist eindrucksvoller, als wir es uns vorgestellt haben, aber man kann es kaum beschreiben.

KHK: Ich hatte auch den Eindruck, daß die weiße Ebene mit der Umgebung wenig zu tun hat. Wie ein isolierter Raum, wo andere Gesetzmäßigkeiten herrschen. Runderhum um dieses Feld, ist ja militärisches Sperrgebiet, das wir nur mit einer speziellen Genehmigung und in Begleitung durchqueren konnten. Der NASA Space Harbor wirkt wie eine Forschungsstation in der Antarktis, aber bei enormer Hitze . absurd.

SK: Das Einzige, das dort zu sehen war, sind diese reduzierten, technischen Einrichtungen. Reine Zweckbauten, die aus keiner ästhetischen Überlegung heraus errichtet wurden, dadurch aber eine eigene Ausstrahlung haben.

KHK: Und auch diese wenigen containerartigen Architekturen sind weiß, um die Sonnenstrahlen besser reflektieren zu können. Die äußere Haut ist dick mit Polyurethanschaum überzogen, um zusätzlich die Hitze abzuhalten. Man kann sich dort nur aufhalten, wenn man speziell versorgt ist. Die Asphaltflächen, die durch den Sturm vollkommen verweht waren, wurden innerhalb weniger Tage zur Markierung der Landebahn freigelegt. Es war gerade ein Shuttle im All, und man mußte auf eine eventuelle Landung vorbereitet sein. Diese dunklen Streifen erinnerten mich an die Nazca Linien in Peru und an Projekte der Land Art, die ja besonders im Südwesten der USA ausgeführt wurden.

SK: Ich habe auch an die erste Mondlandung gedacht.

KHK: Daran kann ich mich auch gut erinnern. Die Mondlandung war für uns eigentlich der Beginn des Medienzeitalters, Bilder vom Mond mit Menschen darauf . im Wohnzimmer. Seit damals wollte ich immer gerne Einrichtungen der Weltraumfahrt besuchen. So ein Ort birgt schon ein Gefühl der Weite in sich, aber heute gibt es diese optimistische Stimmung zur Raumfahrt nicht mehr.

SK: Die Fläche des Space Harbor ist so groß, daß sie momentan uferlos erschien. Die Ausdehnung hat für mich einen Reiz gehabt, die Weite im Gegensatz zum städtischen Raum, in dem die Dichte dominiert. Das hat mir sehr gefallen und wirkt auch jetzt noch. Es war ja unsere Vorstellung, daß durch die Reise dorthin unsere Wahrnehmung durchsortiert wird. Der Ort gibt nichts Eindeutiges vor, außer der Leere, in der viel Platz ist.

KHK: So wie ein riesiger Projektionsraum.

SK: Ja, Zeit und Raum kommen stärker ins Bewußtsein. Spürbar war auch die unmittelbare Verbindung zum Raum außerhalb der Erde, auf eine Art, wie man es vielleicht in der Sahara nicht wahrnimmt, oder eher auf einer metaphysischeren Ebene.

KHK: In New Mexico sind einige Gebiete nach Aurelius Augustinus benannt, der sich mit der Empfindung der Zeit auseinandergesetzt hat – die Plains of San Augustin, wo es die großen Radioteleskope gibt, die Signale aus dem All empfangen. Und in der Nähe von White Sands gibt es die San Augustin Range . Warum sind wir nach White Sands gefahren und nicht woanders hin? Es gibt auch Orte in Italien, die für viele Künstler anziehend waren, oder Südfrankreich.

SK: Die gibt es fast überall. Aber es war diese besondere Situation der Wüste, das weiße, leere Feld, das thematisch in der Kunst immer wieder auftaucht. Und wie in Marokko oder Algerien ist das Licht auch so klar.

KHK: Eigentlich wurde unsere Neugierde durch den Film „White Sands“ geweckt, der in New Mexico spielt und in dem wir die Gipswüste als Schnee wahrgenommen haben. Und dann fährt man hin und steht in dieser zuerst fernen Realität drinnen.

SK: Spannend war es auch, sich dorthin zu bewegen, die Idee, die Vorbereitung, bis man wirklich dort ist. Generell ist so ein Platz eine Metapher, es hätte viel größere Wüsten gegeben.


Für die Vorbereitung und Unterstützung in New Mexico danken wir Ilona Pachler; Debby Bingham und Ray Melton für die freundliche Aufnahme in White Sands Missile Range und NASA Test Facilities.

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