Symposion 19

Das ganze Leben bündeln. Gespräch mit Soo-Ja Kim

Hans-Ulrich Obrist: Wie kamen Sie dazu, ausschließlich mit Kleidern zu arbeiten?

Soo-Ja Kim: Ich nähte im Jahr 1983 Bettlaken mit meiner Mutter. Damals suchte ich gerade nach einem Weg, die typisch malerische Arbeit mit der Oberfläche und dem Raum mit den Prozessen des Lebens zu verbinden, die mich unmittelbar berühren. Maler kämpfen ja immer mit der Fläche. Diese erscheint ihnen oft geradezu als unüberwindliche Mauer. Ich wollte sozusagen die Rückseite dieser Fläche erreichen. Nach dem Tod meiner Großmutter bewahrte ich dann ihre traditionellen koreanischen Kleider auf und auf einmal Überkam es mich, damit Malerei zu machen. Malerei durch Nähen gewissermaßen. Das erlaubt es, in einer formbezogenen Technik wie der europäischen Malerei meine Emotionen zu bewahren, sogar die Schmerzen.

HUO: In Japan zum Beispiel gilt es als Tabu, die Kleider beim Tod der Großmutter wegzuwerfen. In Europa will man sich dieser konkreten Erinnerung oft so rasch als möglich entledigen.

SJK: Bei uns in Korea findet meist eine Zeremonie statt, in der die gebrauchten Bettlaken und die wichtigsten Kleider des Verstorbenen verbrannt werden. Der Rest wird den Familienmitgliedern zur Verwahrung übergeben.

HUO: Heute gelten Ihre Arbeiten als wichtige Beispiele der interessanten ostasiatischen Kunstszene, die sich in den letzten Jahren ausgebildet hat, aber auch als feministische Kritik am männlich dominierten Tafelbild und der Malerei als „Kraftmeierei“.

SJK: Ich ging nicht davon aus, feministische Kunst zu machen. Andererseits bedingt es einen sehr speziellen Status, Künstlerin zu sein und in Korea zu arbeiten. Mein wichtigstes Material ist mein Leben, und so streife ich vielleicht auch Dinge, die den Feminismus betreffen. Doch geht es mir um ein weiteres Feld, die Ganzheit von Kunst und Leben.

HUO: Bei meinem ersten Korea-Besuch fiel mir auf, wie sehr die junge Kunst hier von Frauen dominiert wird.

SJK: Das ist neu. So neu übrigens, das vieles noch ein wenig unartikuliert scheint, spontan, aber überaus lebendig. Ich versuche in meiner Arbeit auf die Probleme und den Druck zu antworten, die ich täglich in unserer Gesellschaft erlebe. Es geht mir nicht um eine Konfession meines Ich vor dem Publikum, sondern darum, ausgehend von fremden Traditionen wie der Malerei und unseren eigenen Bräuchen Prozesse des Lebens sichtbar zu machen.

HUO: In Ihren dreidimensionalen, raumbezogenen Arbeiten spielt die Form des Kleiderbündels eine große Rolle.

SJK: In Korea bedeutet „ein Bündel formen“ soviel wie „einen Ort verlassen“, „weiterreisen“. Es kann auch meinen, daß eine Frau ihre Familie verläßt, um ihr eigenes Leben zu leben. Meine Bündel dagegen bezeichnen keinen Aufbruch zu anderen Ufern. Sie sind dazu da, zu bleiben und sich immer mehr anzuhäufen. Nomadentum am gleichen Ort.

HUO: Weiß man, von wem die Kleider stammen?

SJK: Ja. Für gewöhnlich gestalte ich meine Arbeiten aus gebrauchten Textilien von Leuten, die ich kenne. Ein Bündel zu formen, ist dann so etwas wie eine Umarmung. In Wandarbeiten wie 1993 im New Yorker P.S.1 war das eine starke subjektive Erfahrung: ich steckte kleine Textilien, deren Träger ich kannte, in die Ritzen der Wand. Es war, als würde ich Teile meines eigenen Körpers vergraben.

HUO: Dabei tauchen sehr häufig Bettlaken auf.

SJK: Das Bett ist ein Feld, wo Geburt und Tod stattfinden, und der menschliche Körper ist auf diesem Feld lediglich ein kompliziertes Bündel. Ein Bündel aus Altkleidern zu knüpfen, ist wie einen Körper und eine Seele in die eigene Haut zu wickeln. Zugleich interessiert mich der Kampf mit den bestehenden Mustern, Farben und Strukturen auf den Textilien in der Fläche – das ist tatsächlich wie Malerei.

HUO: Bei der Ausstellung koreanischer Kunst in der Fruitmarket Gallery in Edinburgh überzogen Sie die Tische des Museumscafés mit koreanischen Bettlaken.

SJK: Die Ausstellung hieß „Information und Wirklichkeit“. Ich lud die Leute ein, ihre Aktivitäten – sprechen, essen, trinken, Gläser und Teller herumrücken – zu ritualisieren und in einen größeren Lebensprozeß einzubringen. Die über die Tische geworfenen Bettücher schufen eine Art Leinwand, die den ganzen Raum zu erfassen schien.

HUO: In der ersten Korea-Biennale in Kwangju vom Vorjahr erzielte Ihre Installation großes Aufsehen. Mehrere hunderttausend Leute machten sich an den Bündeln zu schaffen.

SJK: Das hätte ich mir nie gedacht. Ich hatte Anfangs zweieinhalb Tonnen Altkleider ausgelegt. Für mich waren diese unzähligen, auf dem Stadtberg von Kwanju ausgelegten Kleider wie ein großes Tuch, das die Natur bedeckte. Die Besucher machten dann nach und nach die Bündel auf und nahmen insgesamt während der zweimonatigen Ausstellung eine Tonne Textilien zu sich nach Hause. Dazu trug der Umstand bei, daß die Installation im Freien stattfand. Doch selbst im PS 1-Museum oder im New Museum in New York berührten und manipulierten die Leute unentwegt die Bündel, selbst während ein Wärter im Raum war. Das Kleiderbündel als solches spricht offensichtlich archaische und geheimnisvolle Momente im Leben eines Jeden an.

HUO: Sie haben verschiedentlich in Japan ausgestellt, mit dem die kulturellen Beziehungen für Koreaner immer noch schwierig scheinen. Wie lief das ab?

SJK: Bei der großen koreanisch-japanischen Ausstellung im Städtischen Museum von Nagoya 1995 hatte ich eine große Anzahl Kleiderbündel installiert, deren Hülle aus koreanischen Stoffen bestand, während das Innere japanische Alltagskleider und Kimonos waren. Am Tag nach der Eröffnung kam jemand und warf ein großes japanisches Tuch über das Ganze. Er wollte damit offensichtlich eine nationalistische Geste setzen.

HUO: Koreanische Freunde sagten mir, bei Ihrer Arbeit immerfort an die offene Wunde des Japanisch-Koreanischen Krieges zu denken?

SJK: Jeder Krieg produziert eine Unmenge von Kleiderbündeln, mit all den Flüchtlingen zum Beispiel. Doch ich dachte zunächst nicht an diesen Krieg in unserer Geschichte. Vielmehr dachte ich an den Krieg zwischen den Leuten, der unsere Zeit bestimmt. Erst als ich zu dieser japanisch-koreanischen Ausstellung eingeladen wurde, mußte ich mich mit dem Thema beschäftigen. Es ging mir um die Idee des Vergessens auch für die Schuldigen. Die Installation bestand aus drei Stadien, Bettlaken, Haufen gebrauchter Kleider und Bündeln. Diese Materialien sprechen unmittelbar von Opfern und toten Mitmenschen und zugleich vom Leben. Kunst ist immer zwischen Objektivität und reiner Subjektivität hin- und hergerissen. Ich versuche diese beiden Extreme durch Nähen, Verpacken und Bündeln zusammenzubringen. In manchen Ausstellungen verbindet sich das mit dem Thema des „Gehens“. „Sewing into Walking“ – Kleider sind per se in einen umfassenden Prozeß des Wanderns eingebunden, in das große Nomadentum des Lebens.


Soo-Ja Kim, geb. 1957 in Taegu, Südkorea, lebt in Seoul. Kunstausbildung in Seoul und Paris. Einzelausstellungen seit 1988 in Südkorea und Japan. Beteiligung an internationalen Ausstellungen neuer feministischer und koreanischer Kunst, darunter im P.S.1 und New Museum, New York, Bronx Museum und Museum of Contemporary Art, Los Angeles. Gesangsperformances u.a. mit dem Musiker John Zorn und dem Fotografen Beat Streuli.

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