Symposion 18

Vom Nickelodeon zum neuen Klondyke. Gespräch mit Wolfgang Staehle

THE THING Begründer Staehle hofft auf symbolisches Kapital

Rainald Schumacher: Du warst Computerkünstler, bevor Du das Internet-Kunstnetzwerk THE THING mitbegründet hast. Wie kam es, daß Du das Ausstellen aufgabst, um nur noch online zu arbeiten? 

Wolfgang Staehle: Ich habe Ende der siebziger Jahre in New York an der School of Visual Arts studiert, unter anderem bei Marshall Blonski, Joseph Kosuth und Robert Mangold. Anfang der Neunziger Jahre grassierte in der Szene die „institutional critique“: Künstler suchten sich durch eine Kritik der Kunstinstitutionen, der Museen, Galerien usw., Freiräume zurückzuerobern. Das scheiterte bald an inneren Widersprüchen. THE THING ging 1991, also zur selben Zeit, online. Auch wir wollten etwas „außerhalb“ des institutionellen Rahmens aufziehen, um unabhängig von Zwängen arbeiten zu können. Am Anfang hatten wir damit Erfolg, da es direkter und offener zuging als in klassischen Medien. Nachdem der Neuheitseffekt verpufft war, wandten sich viele wieder verstärkt ihren individuellen Karrieren zu, und das Niveau der „messages“ verflachte zunächst. 

RS: Das das war noch vor dem Internet, dem World Wide Web. Wie sah Euer Computernetzwerk damals aus?

WS: Als wir anfingen, gab es das Bulletin Board System (BBS). Bis dahin hatten hauptsächlich Computer-Enthusiasten Informationen und Programme ausgetauscht. Ich sah die Möglichkeit, diese Plattform für einen kritischen künstlerischen Diskurs zu nutzen. Als mich Peter Weibel 1995 einlud, THE THING NEW YORK auf der Linzer „ars electronica“ vorzustellen, stiegen wird auf das Web um. Da sind nun neben Werken in Textform und Ausstellungsbesprechungen auch Multimedia-Projekte leichter zu verwirklichen. Internet war ein potentielles Medium für bildende Kunst geworden.

RS: Nach welchen Kriterien werden die Projekte ausgewählt, die auf THE THING laufen? 

WS: Hier halten wir uns an eine Doppelstrategie. Auf der einen Seite kann jeder Subscriber in einer Art „Offenem Raum“ seine eigene Seite gestalten. Das trägt dazu bei, daß die verschiedensten Künstler und alternativen Institutionen selbständig produzieren und sich oft in Arbeitsgruppen gegenseitig unterstützen. Es bildet sich ein kreatives Feld, auf dem sich ständig neue Talente profilieren. Da dies etwas ungeordnet zugeht, haben wir eine zweite Sektion, auf der wir programmatischer arbeiten. Natürlich gibt es Grenzen für Multimedia-Projekte, weil noch die Bandbreite fehlt. Auch kann es sein, daß man eine halbe Stunde wartet bis man sich einen 30 Sekunden Clip anschauen kann. Wir befinden uns noch in den „Nickelodeon days“ des Mediums. In ein bis zwei Jahren werden sich durch bessere Kompression und mehr Bandbreite ganz andere Möglichkeiten ergeben.

RS: Unter der corporate identity von THE THING gibt es Gruppen in Wien, Düsseldorf und Amsterdam. Wie sind diese Aktivitäten miteinander verbunden?

WS: Jeder Netzknoten arbeitet unabhängig und lokalspezifisch. Dadurch bilden sich local communities aus, die dann wieder untereinander im Austausch stehen. So kooperieren wir im technischen Entwicklungsbereich von Kunst auf Internet und übernehmen zum Beispiel Texte von Blitz Review aus Wien für englischsprachige Leser.

RS: Woraus besteht ein künstlerisches Projekt im Internet ?

WS: Wie im echten Leben sollten künstlerische Projekte die Bedingungen wiederspiegeln, unter denen sie entstehen. Eigenschaften des Netzwerks sind Immaterialität, Unmittelbarkeit der Übertragung und weltweiter Zugriff. Das sind interessante Faktoren für künstlerische Eingriffe. Und beim Verschicken der Arbeit im Net spart man die Versicherungs- und Speditionskosten.

RS: Du sprichst von globalem Zugriff. Gibt es nicht einen Mythos des virtuellen Raums?

WS: Eine Theorie, die zur Zeit herumgeistert ist die des „universellen Bewußtseins“: Internet als Aktenschrank für alles angehäufte Wissen der Menschheit, welches nun, untereinander verknüpft und unmittelbar abrufbar, das geistige Äquivalent der Atombombe darstellt.

RS: Der technische Aufwand für THE THING ist enorm, zumal ständig Neuerungen und Verbesserungen auf den Markt kommen. Wie läßt sich das finanzieren, wenn man keine Waren zu verkaufen hat?

WS: Wir bieten einen breiten und billigen Internet-Zugang und server space an, insbesondere für Künstler und Institutionen. Das hält uns bei Unkosten von zehntausend Dollar im Monat und drei festen Mitarbeitern gerade über Wasser. Der Rest kommt von Stiftungen und Eigenleistungen. Langfristig ist es unser Ziel, THE THING inhaltlich so weiterzuentwickeln, daß es auch für Sponsoren interessant wird, denen der Begriff des „symbolischen Kapitals“ nicht fremd ist. Verglichen mit den gigantischen Server-Firmen sind wir finanziell ein Tropfen auf einen glühenden Stein. Dafür können wir einen persönlichen Service für Internet-Nutzer anbieten.

RS: Im Moment wirkt das Internet wie ein Jahrmarkt der Eitelkeiten. 80 Millionen Individuen kreieren ihre persönlichen Web-sites und die Möglichkeit, diese Überfülle wahrzunehmen wir jeden Tag geringer.

WS:Es gibt bezüglich der Internettheorie die sogenannte Schwarm-Theorie. So wie sich 1992 im BBS ein Schwarm gebildet hat, der nach zwei Jahren wieder auseinanderflog, werden sich je nach Kontext neue Formen bilden. 

RS: Als das Telefon aufkam, veränderte sich die Sprache und die Fähigkeit sie zu gebrauchen. Wohin führt Internet?

WS:Die Kommunikation bewegt sich zunehmend im visuellen Bereich. Dem ist letztendlich das textbezogene BBS zum Opfer gefallen. Das Schreiben hat durch das Fax und die elektronische Post eine kurze Renaissance erfahren, doch schon jetzt sind Internet-Telefon und Videokonferenzen real existierende Alternativen. Bildende Kunst wird sich zum Teil in diesen Bereich verlagern.

RS: Läßt sich mit dem Internet Geld verdienen ?

WS: „Klondyke fever“ ist mal wieder angesagt. Vor hundert Jahren haben sich Hunderttausende nach Dawson City aufgemacht, um nach Goldklumpen zu schürfen. Davon haben es vierhundert geschafft, reich zu werden. Die anderen, die gut verdienten, waren jene, die Hotels aufgemacht haben oder Schaufeln, Schürfpfannen oder Zelte verkauften.


Wolfgang Staehle: geb. 1950 in Stuttgart. Studierte dort an der Freien Kunstschule und später an der School of Visual Arts in New York wo er seither lebt. Ausstellungen seit 1980. Gründet 1991 THE THING International, zunächst eine kunstbezogene Nachrichtenbörse.

THE THING New York: http:www.thing.net

TOP