Symposion 04

Science-fiction und die mediale Verführung. Gespräch mit Bruce Sterling

Elisabeth Bronfen und Hans-Ulrich Obrist im Gespräch mit Bruce Sterling

Hans-Ulrich Obrist: Sie schreiben gerade an einem Buch über Nomaden, Obdachlose etc. Weshalb siedeln Sie die Handlung in Europa an?

Bruce Sterling: Ich wollte ein Buch über Zukunft aus einem globaleren Blickwinkel schreiben. Die meisten Science-fiction-Romane werden von Amerikanern geschrieben, und so spielen sie zumeist auch in den USA. Ich glaube aber, daß die Vereinigten Staaten weniger wichtig sind, als bei uns viele Leute meinen. Auch war ich zum Beispiel sehr beeindruckt von dem, was heute etwa in Prag vorgeht – mit allen diesen jungen, ins Ausland gegangenen Amerikanern. Die USA sind derzeit sehr hart für junge Leute. Toleranz gegenüber Kreativität, Freiheit oder auch nur die Möglichkeit, spontan zu handeln, sind derzeit eingeschränkt. Ich glaube, daß die Grenze zur Zukunft heute eher in Europa abzulesen ist. 

Elisabeth Bronfen: Das bedeutet eine Umkehrung der herkömmlichen Sicht des Verhältnisses von Europa und den USA.

BS: Das Buch, an dem ich schreibe, spielt hundert Jahre in der Zukunft. Von da aus wird es gleichgültig, ob man sich auf die neunziger Jahre des zwanzigsten oder des neunzehnten Jahrhunderts bezieht. Ich untersuche die Jahre ab 2090 in verschiedensten Bereichen: Fotografie, Kosmetik, Kultur, dem Einfluß der Technologie auf die Weiblichkeit, das Alter und die Jugend. Es wird wohl eines meiner befremdenden Bücher.

EB: Sie betonten wiederholt, Ihre Texte seien weder utopisch noch antiutopisch, sondern ein Realismus der achtziger und neunziger Jahre unseres Jahrhunderts.

BS: Utopie ist langweilig und Antiutopie appelliert an die Erwartung und die Instinkte der Leute. Ich versuche dagegen, in seriöser Weise die Zukunft zu beschreiben, gewissermaßen aus einer historischen Perspektive. Die Zukunft ist keine nebelige Angelegenheit. Ich kann nicht garantieren, ob es im Jahr 2090 noch eine menschliche Zivilisation geben wird. Aber es wird eine Erde geben, und die Sonne wird auf- und untergehen; es wird feste Gegenstände geben usw. Und nicht bloß eine nebelige und halluzinogene Sache.

HUO: Der amerikanische Maler Leon Golub schrieb vor Jahren in „Split Infinities“, Science-fiction sei die Überschreitung der Grenzen zwischen Moderne und Postmoderne.

BS: Ich empfinde freundschaftliche Gefühle für viele Theoretiker der Postmoderne. Ich liebe ihre Art, sich anzuziehen und zu sprechen. Aber ich bin kein Theoretiker, sondern jemand, der sich in der Populärkultur bewegt, ein Romanautor und Entertainer.

EB: Welche Denker der Postmoderne haben Sie beeinflußt?

BS: Mein Lieblingsautor in dieser Gattung ist Jean Baudrillard. Ich kann ihn leider nicht im Original lesen, da ich nicht Französisch spreche. Auch Arn Hollander schreibt interessante Dinge, über Kleidung, Mode, Körperbilder und Körpertheorie. Mein Thema ist im Grunde der Einfluß der Technologie auf die Gesellschaft. Daher interessieren mich Leute, die die tägliche Realität der Technologie studieren und, anstatt Theorien zu bilden, wirklich darauf achten, was das an unserer Art verändert, uns anzuziehen und morgens aufzustehen, an unseren Bedürfnissen und daran, was wir aus uns selbst zu machen vermögen.

EB: Man hört oft die Frage, woher ein Science-fiction-Autor seine Ideen beziehe.

BS: Die Ideen stammen letztlich alle aus der Wirklichkeit. Es gibt nichts anderes, aus dem man Ideen beziehen könnte. Technikjournalisten stellen zum Beispiel eine sehr gute Inspirationsquelle dar.

EB: Manche Kritiker beschreiben Cyberpunk als eine zeitgenössische Version der mittelalterlichen Romanwelt.

BS: Das sind Konstrukte von Theoretikern. Ich sah mich selbst nie als einen fahrenden Ritter des Mittelalters. Es gibt dafür zwar ein breites populäres Medium. Aber mir fiel immer auf, daß die Leute, die in das Mittelalter verliebt sind, nie von den Bauern reden . Ich bin ein Geschöpf meiner eigenen Zeit und kein zeitloser Mediävist. Mein letztes Buch Heavy Weather ist wie ein Genre-Western, wenn man von den ökologischen Katastrophen und der virtuellen Realität absieht.

HUO: Sie bezeichnen Ihren kommenden Roman als „Buch“, haben aber eines Ihrer früheren Bücher im „Internet“ angeboten. Was verändert „Internet“ für einen Schriftsteller?

BS: Ich habe viele Kollegen an die multimediale Sphäre verloren. Derzeit arbeite ich auch selbst an einem Multimediaprojekt, und ich kann daher absehen, wie verführerisch dieser Bereich sein kann. Viele schöpferische Talente, die unter normalen Umständen Science-fiction Autoren geworden wären, haben sich in den Achtziger und neunziger Jahren dem Computergrafikdesign, Spezialeffekten im Film, der CD-ROM, der Verwaltung von Computernetzwerken und ihrer Konzeption usw. zugewandt. Aber ebenso sehen wir derzeit viele Leute, die sich in diese Domäne begaben, ausgebrannt, verbraucht und rasch wieder ausgestoßen, so daß sie aufs neue Science fiction-Schriftsteller werden. Die virtuelle Welt der Informatik ist ein rauhes, aufreibendes Universum.

EB: Wird die Technik Ihrer Meinung nach einmal imstande, ein menschliches Gehirn zu erzeugen?

BS: Das wird niemand jemals tun – weil es keinen Grund dafür gibt, es zu tun. Das scheint mir, als ob Sie fragten: „Wann wird ein Düsenflugzeug fähig sein, mit den Flügeln zu schlagen wie ein Vogel?“ Selbst wenn es machbar sein sollte, gibt es keinen Grund, es auszuführen. Wenn Computer einmal beginnen, tatsächlich intelligent zu sein, wird ihre Intelligenz eher jener von Primaten gleichen. Dann wird man natürlich eher suchen, diese Computerintelligenz weiterzuentwickeln als die menschliche. Aber man bewegt sich dann auf einer ganz anderen Ebene.


Bruce Sterling, geb. 1954 in den USA lebt in Austin/Texas. Science-fiction-Autor, Kritiker und Journalist, als Begründer und Hauptvertreter der Cyberpunk-Bewegung mit William Gibson. Bücher u. a. „Mirrorshades: The Cyberpunk Anthology“ (Hg. „The Difference Engine“ (mit Gibson, 1990). 1994 erschien, im Millennium Verlag/Orion Book sein neuestes Buch „Heavy Weather“. Auf der von der „Akademie zum dritten Jahrtausend“ in München veranstalteten Konferenz „Mind Revolution“ sprachen mit ihm die Literaturprofessorin Elisabeth Bronfen und Hans-Ulrich Obrist.

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