TransAct 60

TransAct Statement des Projektteams „Namentliche Erfassung der österreichischen Holocaustopfer“

„Inwiefern das Projekt im Sinne des Landes Kärnten ist.“ Die Holocaust-Gedenkstätte auf dem Wiener Judenplatz und die „Namentliche Erfassung der Österreichischen Holocaustopfer“ 

Am 25. Oktober wird nach gut zweijähriger Bauzeit das Holocaustdenkmal auf dem Wiener Judenplatz der Öffentlichkeit übergeben. Der Eröffnung dieses Gedenkkomplexes war allerdings eine längere Debatte um einen adäquaten Rahmen des Erinnerns an die 65.000 österreichischen Opfer des Holocausts vorangegangen.

Die Initiative zum Projekt war 1994 von Simon Wiesenthal, Leiter des jüdischen Dokumentationszentrums, ausgegangen, der die Schaffung eines Mahnmals für die Opfer der Schoah anregte. Das Denkmal Alfred Hrdlickas auf dem Wiener Albertina-Platz („Mahnmal gegen Krieg und Faschismus“), so Wiesenthal, hätte diese Funktion nur ungenügend erfüllt. 1995 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, zu dem internationale und österreichische Künstler eingeladen wurden. Vorgabe war der Entwurf eines nicht figuralen Denkmals, wobei die Standortwahl auf den Judenplatz gefallen war. Die Wahl des Aufstellungsorts bot sich aufgrund seiner historischen Bezüge an: dort hatte sich die mittelalterliche Synagoge befunden, deren Reste im Zuge der flankierenden archäologischen Grabungen freigelegt wurden. Hierhin hatten sich Mitglieder der jüdischen Gemeinde im Zuge des Pogroms von 1420 geflüchtet und kollektiven Selbstmord begangen.

Aus dem Wettbewerb ging 1996 der Entwurf der britischen Künstlerin Rachel Whiteread als Siegerprojekt hervor. Whiteread, deren künstlerische Schwerpunktsetzung auf Erinnerungsarbeit an den kulturellen Spuren der Gesellschaft liegt, hatte unter Einbeziehung des gesamten Platzambientes einen Betonkubus im Ausmaß von 10 x 7 m Grundfläche und 3,8 m Höhe geschaffen, der eine umgestülpte Bibliothek darstellt. Mit den nach außen gewendeten Bücherwänden und der verschlossenen Tür präsentiert sich das Mahnmal als hermetischer Raum, der auf die jüdische Kultur als Kultur des Buches verweist. Der leere Innenraum steht für das Verschwinden ihrer Träger. Das Buch mag aber auch als Symbol des Überlebens des jüdischen Volkes im Zuge seiner Geschichte von Vertreibung und Vernichtung interpretiert werden. Am Mahnmal soll eine Inschrift an die 65.000 Ermordeten erinnern, zusätzlich sind jene Orte angeführt, an denen österreichische Juden dem Holocaust zum Opfer fielen.

Die Enthüllung des Mahnmals, dessen Bau und Finanzierung im Frühjahr 1996 im Kulturausschuss des Wiener Gemeinderats mit den Stimmen der SPÖ und der Grünen beschlossen worden war, wurde für November desselben Jahres festgesetzt.

Von Anfang an löste das Mahnmal jedoch heftige Kontroversen aus. Anders als in den 80er Jahren, als die Diskussion um Alfred Hrdlickas Denkmal auf dem Albertina-Platz im Kontext der Waldheim-Debatte noch nach klaren Zuordnungen ablief – wer gegen Verdrängung war, musste für das Denkmal sein – waren die Fronten der neuen Denkmaldiskussion diesmal weit weniger einfach nachzuzeichnen.

Die Debatte, an der sich auch Mitglieder der jüdischen Gemeinde beteiligten, bezog sich auf die formale Gestaltung des Denkmals (so könnte etwa die steinerne Bibliothek durchaus auch als philosemitisches Stereotyp des „intellektuellen Juden“ gelesen werden), auf den Standort sowie auf die Formen des Gedenkens selbst bis hin zur Position, ein Denkmal sei ungeeignet, den Holocaust darzustellen. Auch der Verdacht, die Stadt Wien würde mit dem prestigeträchtigen Mahnmal-Projekt („Berlin beneidet uns“) durchaus auch touristische Ziele verfolgen, war zu vernehmen. Eine Bürgerinitiative von Anrainern und Geschäftsleuten befürchtete jedenfalls Umsatzeinbußen, beklagte den Verlust von Parkplätzen und witterte in dem „Betonklotz“ einen Anziehungspunkt für Rechtsradikale und „Araber“. Auch antisemitische Stimmen fehlten nicht. Kommunalpolitiker der FPÖ, zum größten Teil auch der ÖVP standen dem Mahnmal von jeher ablehnend gegenüber. Die im Herbst 1996 vom zuständigen Stadtrat verordnete „Nachdenkpause“, de facto ein Baustopp, der sich bis ins Jahr 1998 erstreckte, illustriert die Uneinigkeit der Stadtpolitiker, aber auch das Zögern der Befürworter, sich zu einer raschen Lösung zu entschließen.

Mit den archäologischen Funden tauchte die Idee auf, Mahnmal und Ausgrabungen zu einem Erinnerungskomplex zu vereinen. In einem unterirdischen Schauraum sollten die Zeugnisse mittelalterlichen jüdischen Lebens in Wien dokumentiert werden. Auch diese Lösung fand ihre Kritiker. So wurde etwa argumentiert, dass die historischen Funde selbst Mahnmal seien, zumal in den Ereignissen des 15. Jahrhunderts eine Parallele zum nationalsozialistischen Holocaust liege, und umgekehrt, dass der Pogrom von 1420/ 21 mit dem industrialisierten Massenmord des 20. Jahrhunderts nicht vergleichbar sei; eine Verbindung von Holocaust und mittelalterlichem Pogrom berge überdies die Gefahr einer Historisierung ohne Gegenwartsbezug. Nicht zuletzt die Ergiebigkeit der Ausgrabungen führte schließlich zu einer Verschiebung des geplanten Enthüllungstermins.

Zusätzlich zum Schauraum wurde 1997 die Errichtung eines musealen Sektors im Misrachi-Haus am Judenplatz 8 konzipiert, der als Außenstelle des Jüdischen Museums Wien neben den archäologischen Funden auch Ausstellungen zur Dokumentation des jüdischen Lebens im Mittelalter sowie die vom DÖW erstellte Datenbank mit den Namen und Schicksalen der österreichischen Holocaustopfer beherbergen soll. Aufgrund der archäologischen Funde – Teile des Sakralraums – war eine Errichtung des Mahnmals unmittelbar darüber problematisch geworden und eine geringfügige Verschiebung des Monuments notwendig.

Im März 1998 wurde schließlich der Entschluss zum Bau des Mahnmals im Rahmen der Gedenkstätte durch Bürgermeister Michael Häupl und Kulturstadtrat Peter Marboe bestätigt. Anfang Juni desselben Jahres waren die Planungsarbeiten inklusive Oberflächengestaltung des Platzes abgeschlossen. Im Herbst 1998 erfolgte die Grundsteinlegung. Nach neuerlichen Verschiebungen aus technischen Gründen ist der Eröffnungstermin der Gedenkstätte Judenplatz nunmehr für den 25. Oktober 2000 festgesetzt.

Noch 1995 galt die im Zuge der Denkmaldebatte von Friedrun Huemer getätigte Feststellung, wonach es zwar „in jedem österreichischen Dorf ein Kriegerdenkmal“ gäbe, „auf dem die Namen der Gefallenen und Vermissten der beiden Weltkriege verewigt sind, aber die von den Nazis ermordeten Juden und Roma bleiben bis heute namenlos. (.) Deren Namen festzustellen, fand die Republik bisher nicht nötig“.

Die diesbezügliche österreichische Haltung war also in erster Linie durch Nicht-Erinnern gekennzeichnet. Seit der damalige Bundeskanzler Franz Vranitzky im Jahr 1987 – mehr als vierzig Jahre nach Ende des Krieges – vom Vorsitzenden der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem ersucht wurde, ein entsprechendes Projekt einzuleiten, wurde immerhin eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, die 1992 in die Vergabe des Projekts „Namentliche Erfassung der Österreichischen Holocaustopfer“ an das Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands (DÖW) mündete. Das als Teil des Mahnmal-Komplexes auf dem Wiener Judenplatz installierte elektronische Gedenkbuch der österreichischen Holocaustopfer kann daher als Eingriffsversuch in das öffentliche Gedächtnis zu den Jahren 1938 bis 1945 betrachtet werden.

Bis heute wurden vom Projektteam der „Namentlichen Erfassung“ ca. 400.000 Datensätze zu jenen 65.000 jüdischen Österreicherinnen und Österreichern gesammelt, die zwischen 1938 und 1945 in Österreich durch Mord oder Selbstmord ums Leben kamen, aus Österreich deportiert wurden oder als Flüchtlinge in anderen europäischen Staaten von den nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen eingeholt wurden. Aus mittlerweile rund 100 größeren und unzähligen kleineren Quellen wurden neben biographischen Eckdaten Deportationsdatum, Deportationsort und, wo dies möglich war, das genaue Todesdatum erhoben und die Opfer damit gleichsam aus der Anonymität geholt. Die Forschungsarbeiten sind allerdings noch nicht abgeschlossen, sodass die Datenbank auf dem Wiener Judenplatz laufend erweitert werden wird. Die vom DÖW eigens für die Gedenkstätte konzipierte Multimediadokumentation informiert über die Orte, an denen österreichische Juden ermordet wurden, und erhellt die näheren Umstände dieses Genozids.

Die neue Bundesregierung wurde vor allem in internationalen Pressekonferenzen nicht müde, ihre Entschlossenheit zur kritischen Aufarbeitung der Vergangenheit zu bekunden. Inwieweit die Koalition aus FPÖ und ÖVP jenseits öffentlichkeitswirksamer Gesten auch in Zukunft tatsächlich an Erinnerungsarbeit interessiert ist, wird sich erst zeigen. Ein einfaches Parteimitglied und sein Kulturbeauftragter Andreas Mölzer setzen hierbei allerdings auf Kontinuität. Als sich das Dokumentationsarchiv mit einem Förderansuchen für das Projekt der „Namentlichen Erfassung“ an die Kärntner Landesregierung wendete, antwortete Mölzer folgendermaßen: „Im Auftrag des Landeshauptmannes Dr. Jörg Haider ersuche ich Sie, im Hinblick auf Ihr Förderungs-Ansuchen um eine detaillierte Darstellung, inwiefern das von Ihnen durchgeführte Projekt im Sinne und Dienste des Landes Kärnten ist“.

Projektteam
Namentliche Erfassung
der österreichischen
Holocaustopfer


Wien, 2K

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