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Unbequeme Stimmen zum Schweigen bringen

Auszüge aus Oscar Bronners Rede bei den Mediengesprächen in Alpbach vom 3.9.2000 im Wortlaut.

Was hat sich im abgelaufenen Jahr noch verändert? Ach ja, wir haben eine neue Regierungskoalition. Dieser ging eine endlos lange Regierungsbildung voraus, bei der die Medien eine besondere Rolle spielten. Noch nie wurde eine entstehende Koalition fast ausnahmslos so massiv bekämpft wie diesmal. Ich erinnere daran, wie ein Massenblatt sogar in riesigen Lettern Artikel von einer mysteriösen „besonderen Seite“ brachte, um diese Regierungsbildung zu verhindern. Das Ergebnis ist bekannt. Der „Vorhof zur Macht“ ist eben doch sehr weit vom Machtzentrum entfernt. Welche Lehren können wir daraus ziehen?

Die Politiker könnten den vorauseilenden Gehorsam gegenüber auflagenstarken Medien ablegen, wenn – ja wenn sie ausreichenden eigenen Gestaltungswillen haben. Wir können es derzeit beobachten: Je größer das Medium, desto rascher arrangiert es sich wieder mit der Macht, um sich wieder in deren Vorhof zu wähnen.

Jetzt haben wir also diese nun nicht mehr ganz so neue Regierung. Es fällt mir nicht leicht, mich bei diesem Thema auf Medien-Aspekte zu beschränken. Versuchen wir es einmal mit einer Frage, die mich schon lange beschäftigt: Wie kommt es, dass ein Mensch, der – um nur eines der vielen bekannten Beispiele zu nennen – Churchill mit Hitler gleichsetzt, in der gesamten zivilisierten Welt als Paria betrachtet wird, in Österreich aber als staatstragender Politiker? Welche Mitverantwortung tragen für diese Unterschiedlichkeit des Verständnisses wir Medienmacher? Ich meine jetzt nicht nur die Berichterstattung über diesen Herrn. Ich meine generell die journalistische Behandlung seit 1945 der sehr komplizierten und widersprüchlichen Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert.

Nicht nur die Regierungszusammensetzung hat sich verändert, sondern auch das politische Klima. Die Konsensdemokratie um jeden Preis ist einer Konfrontationspolitik gewichen. Für eine gewisse Zeit und zu einem gewissen Grad ist dies vermutlich notwendig, denn das kleinste gemeinsame Vielfache, über das man sich über Jahre zu einigen versucht hat, ist zuletzt sehr klein geworden. Die Angst vor überfälligen Reformen schien das Land in eine Sackgasse zu führen und der Souverän, das Volk, wählte die alte Koalition von Wahl zu Wahl scheibchenweise ab.

Dass die Staatsmänner Europas einen anderen Wissens- und Bewusstseinsstand haben, ist klar. Dass sie die Entwicklung in Österreich nicht kommentarlos hinnehmen wollten, ist verständlich, auch in Hinblick auf ähnliche Entwicklungen in manchen anderen Ländern. Dass ihnen nichts anderes einfiel als die bekannten Sanktionen ist erstaunlich.

Jeder erstsemestrige Student der Politikwissenschaft weiß, dass Druck von außen jedes Gemeinwesen zusammenschweißt. Der Fehler mit den sogenannten Sanktionen mag vielleicht unter anderem darin begründet sein, dass von Ländern, die schon jahrzehntelang der EU angehören, diese Gemeinschaft in einem viel höheren Ausmaß als Inland empfunden wird, als es bei Neuankömmlingen wie Österreich der Fall ist. Dieser Druck von außen, produzierte eine Nebelwand, die die Gefahren der Klimaänderung in der österreichischen Politik schwerer erkennbar macht.

Diese Gefahren werden noch größer, wenn manche Akteure die erwähnte Konfrontationspolitik nicht als notwendiges Übel betrachten, sondern als Selbstzweck, möglicherweise sogar als Instrument des Lustgewinns.

Das Eis der Zivilisation, auf dem wir alle tanzen, ist sehr dünn. Die Gefahr des Einbruchs ist nur durch selbst auferlegte Zurückhaltung zu bannen. Wir können jetzt bereits bedrohliche Sprünge erkennen.

Zum Beispiel, wenn wir die zunehmende Verrohung des politischen und journalistischen Diskurses beobachten. Kein Argument ist zu dumm, keine Unterstellung ist zu letztklassig, kein Untergriff zu abgeschmackt, um nicht vorgebracht zu werden, wenn man glaubt, bei irgendeiner Zielgruppe punkten oder alte Rechnungen begleichen zu können.

Jeder Staat definiert sich durch Gesetze. Österreich hat davon mehr als genug. Mindestens so wichtig sind jedoch die ungeschriebenen Gesetze, davon hat Österreich zu wenige und läuft Gefahr, auch diese noch zu verlieren. Angesichts der österreichischen politischen Lagermentalität war es für das Vertrauen in die Justiz sicher förderlich, dass die letzten Justizminister keiner politischen Partei nahestanden. Aber nichts spricht theoretisch dagegen, dass ein Parteigänger dieses Amt inne hat. Er muss eben darauf achten, jeden Anschein von Parteilichkeit zu vermeiden.

Der derzeitige Justizminister gehört keiner Partei an. Aber er war jahrelang der Anwalt einer Partei und im Speziellen, ihres Führers. Und er hat ordnungsgemäß seine Anwaltslizenz ruhend gestellt. Aber seine ehemalige Kanzlei, die immer noch seinen Namen trägt, setzt seine Arbeit nahtlos fort. Derzeit werden Publizisten, die der Partei, die ihn nominiert hat, kritisch gegenüberstehen, flächendeckend mit Klagen zugedeckt. Es erfordert einigen Mut der Justiz, solche Klagen abzuweisen.

Wo dies geschieht, landen viele dieser Causen in zweiter und letzter Instanz bei einem Richter, der von derselben Partei ins ORF-Kuratorium nominiert worden ist. Die Urteile sind verblüffend. Der Herr, der Churchill mit Hitler gleichsetzt, hat früher Verfahren, in denen es um Verharmlosung des Nationalsozialismus ging, verloren. Seit ein paar Monaten gewinnt er sie, obwohl das Beweismaterial kompletter geworden ist. Es entsteht der Eindruck, dass das geschilderte System, sowohl die Justiz als auch die Medien gefügig machen soll.

System hat offenbar Methode

Der Eindruck, dass dieses System Methode hat, wird verstärkt, wenn ein anderer hoher Parteifunktionär, in seiner Eigenschaft als ORF-Kurator, öffentlich die Sinnhaftigkeit einer bestimmten täglichen Nachrichtensendung anzweifelt.

Irgendwie fühlt man sich an die Ankündigung des Herrn, der Churchill mit Hitler gleichsetzt, erinnert, man werde in den Redaktionsstuben schon für Ordnung Sorgen, wenn man einmal an die Macht kommt. Die Geschichte beweist, dass man Ankündigungen von Politikern dieses Zuschnitts nicht belächeln, sondern ernst nehmen sollte.

Wenn dieser Herr in einer Pressekonferenz sinngemäß vorschlägt, Oppositionspolitiker gerichtlich dafür zu verfolgen, dass sie Oppositionspolitik betreiben, fügt sich eins ans andere. Und wenn der neben ihm sitzende Justizminister statt empört aufzuschreien, so eine Idee als verfolgenswert bezeichnet, dürfen wir uns nicht wundern, wenn zum Beispiel „Der Spiegel“ diese Woche Österreich als „Schmuddelkind Europas“ bezeichnet.

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