museum in progress

Die Beziehung der Künstler dieses Jahrhunderts zu den Medien bleibt noch zu schreiben. Doch schon bei einem ersten Überblick kann man formulieren, daß es sich um die Geschichte einer komplizierten Beziehung handelt. Unzählig sind die Werkprojekte von Künstlern der Moderne, die sich im Raum der Medien ansiedeln – diesem anderen neuen Kommunikatonsraum des 20. Jahrhunderts, neben dem neuen „Medium“ der unabhängigen Ausstellung. Zugleich hatten die Künstler der Modernen wohl als die ersten die Bedeutung der Medien für die Gesellschaft in diesem Jahrhundert erkannt. Die Geschichte der modernen Kunst ist deshalb auch reich an bedeutenden für die Medien konzipierten Werken von El Lissitzky bis Andy Warhol, aber auf den näheren Blick überraschend arm an tatsächlichen Realisationen der Künstler in den Medien. Es scheint, als handle es sich bei dieser wechselseitigen Faszination um eine immer wieder verhinderte Verbindung, mit der es ähnlich ist wie im menschlichen Bereich: Zum Schluß erklärt man dann die Liebe für unmöglich.

Vor diesem Hintergrund einer langen, aber komplizierten Beziehung der Künstler und der Medien ist das Neuartige am Unternehmen des „museum in progress“ zu ermessen. Dieses „Museum ohne Mauern“ beruht zum Einen auf der klaren Beobachtung, daß eine große, wenn nicht bestimmende Anzahl führender Künstler zumindest seit der Entstehung der concept art Ende der sechziger Jahre in Medienbegriffen denken, auch wenn sie aus diversen Gründen immer wieder den Galerien- und Museumsraum – bis heute der schützende Rückzugsraum für experimentelle Kunst und schon allein aus dieser Funktion heraus unersetzlich suchen und benützen. Auf der Grundlage dieser langen, aber nicht recht bekannten „Vorarbeit“ auf Seiten der Künstler kann, so lautet in etwa die Grundidee des „museum in progress“, diese komplizierte Beziehung der Künstler zu den Medien heute ganz neu angefaßt und angegangen werden. Der beste Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme ist der Umstand, daß das „museum in progress“ trotz eines vergleichsweise unvorteilhaften Standorts in Wien nach einer nur vierjährigen Aktivität bereits heute eine Bilanz vorzuweisen hat, die es in die wichtigsten experimentellen Museumsentwürfe der Moderne und der Postmoderne einordnet.

In der neuen „multifunktionellen“ Kooperation mit einer Tageszeitung („Der Standard“), einem politischen Nachrichtenmagazin („profil“), einem großen Fernsehkanal („ORF 2“, Kultursendung „10 1/2“) und dem elektronischen Kommunikationsmedium „Internet“ läuft dieses Experiment im „Großversuch“. Tatsächlich gibt es wohl kein Beispiel in der Geschichte der künstlerischen Moderne, daß Massenmedien sich als solche mithin als reines Medium, als neutraler Raum von hoher Publizität – Künstlern auf allen Ebenen öffnet, während die Künstler eben umgekehrt heute fast durchwegs in Medienbegriffen auch dann denken, wenn sie Werke in den „klassischen“ Medien der bildenden Kunst formulieren. Konkret und in praktischer Hinsicht wichtiger scheint noch, daß damit erstmals Massenmedien tatsächlich wie ein Museumsraum funktionieren werden, ist doch die wechselseitige Abfolge von Ausstellungen, die einander ständig überschneiden und abwechseln, eine grundlegende und nicht wegzudenkende Basis jedes modernen und zeitgenössischen Museums – eines Museums eben, daß nicht bloß wie ein klassisches Museum seine Sammlung zeigt, sondern seinen Museumsbegriff aus der Intervention in die ästhetische Debatte seiner Gegenwart gewinnt.

In diesem Sinne wird mit der Kooperation der Bundeskuratorin Stella Rollig und des „museum in progress“ auch im internationalen Rahmen erstmals eine Tageszeitung, ein Wochenmagazin, eine Fernsehstation und Internet zum Ausdruck eines neuen Museumsbegriffs, der sich seit fünf Jahren durch die Aktivität des „museum in progress“ hindurch abzeichnet. Die Bezeichnung „Museum“ ist in diesem Fall schon mehr als eine bloße Metapher: Mit zeitlich und künstlerisch sehr verschieden bestimmten Ausstellungen und Interventionen werden hier tatsächlich Medien zu Museumsräumen und Ausstellungsfeldern avancierter bildender Kunst der neunziger Jahre. Begleitend findet ein regelmäßiges Künstlerinterviewprogramm, sowie ein Symposion als erläuternder Hintergrund dieser mehrspurigen Ausstellungsaktivität statt.

Die bisherigen Aktivitäten des „museum in progress“ zeichnet ein überraschendes, lockeres Herangehen an das Faktum Medien und die komplizierte Geschichte der Beziehung von Künstlern und Medien aus. Diese Frische findet sich bei dieser ersten wirklichen Musumsrealisation im Bereich der Massenmedien auch auf Seiten der Ausstellungsbesucher wieder, die einen kontinuierlichen Museumsraum unprätentiöser Art in der Hand halten. Die Künstler wissen in diesem Fall – und es ist nicht zuletzt diese Herausforderung, die für sie einen großen Reiz darstellt –, daß sie von Gleich zu Gleich mit der politischen und sozialen Aktualität, mit der Sphäre der Information und auch mit dem bloßen Gossip konkurrieren werden, kurzum mitten in der gesellschaftlichen Realität operieren (müssen), und nicht mehr geschützt sind durch einen „weißen“ Ausstellungsraum. Diese Herausforderung an die Künstler macht dieses Unterfangen eines Museums neuer Art in präzisen Bereichen des Medienraums so spannend – nicht zuletzt für die Besucher bzw. Leser, die hier eine Art Anthologie kreativer Lösungen für die enorme Aufgabe erleben, als Künstler plötzlich unmittelbar im Forum der gesellschaftlichen Realität, das die Medien heute darstellen, tätig zu werden.

(Wien 1994)

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