KünstlerInnenporträts 06

Auszug aus einem Gespräch mit Chris Burden

Ihre ersten breit bekannt gewordenen Werke stammen aus dem Jahr 1971. Sie waren damals gerade Abgänger der Kunsthochschule, und in Amerika beherrschten die streng geometrischen Werke der „Minimal Art“ und die nicht weniger distanzierte Betrachtung der Werbung durch die „Pop Art“ das künstlerische Denken. Warum arbeiteten Sie dagegen über Jahre nur mit Ihrem eigenen Körper? 

Auf der Kunsthochschule hat man uns damals, Mitte der sechziger Jahre bereits die „Minimal Art“ beigebracht. Ich war ein Minimal Art-Student. Meine Schülerarbeiten bestanden aus Strukturen, die immer größer wurden. Eine war dann 200 Fuß lang, etwa 70 Meter, und man erlaubte mir, dazu das Football Feld zu benutzen. Dadurch mußte ich diese Distanz endlos oft abschreiten. Man hatte uns beigebracht darüber nachzudenken, was das Wesen der Skulptur sei; was ein dreidimensionales Kunstwerk ausmache im Gegensatz zur zweidimensionalen Leinwand. „Um eine Skulptur kann der Betrachter herumgehen, im Gegensatz zu einem Bild“, sagt jeder Professor noch heute. So kam ich zu dem Schluß, daß eine Skulptur dazu da ist Bewegung auszulösen, physische Aktivität. Was die Skulptur eigentlich ausmache, so sagte ich mir, sei die Aktion.

Das prägt bis heute Ihre Werke, die kaum etwas mit herkömmlicher Bildhauerei oder dem vergleichsweise klassischen Verständnis der Skulptur gemein haben, das wir aus der „Neuen Skulptur“ der achtziger Jahre kennen. Wie sahen die ersten Arbeiten aus, die aus diesem „aktionistischen“ Verständnis von Bildhauerei hervorgingen? 

Zunächst machte ich Dinge, die den Betrachter aufforderten, sie zu benützen. Etwa eine Sache mit langen Stahlstangen und quer gespannten Gewichten. Man brauchte eine zweite Person, um die Skulptur in Gebrauch zu nehmen – wenn es gelang, erfuhr der Besucher alle Gesetze der Skulptur am eigenen Körper, wenn nicht, fielen beide auf die Nase. Der Betrachter sollte aktiv werden, doch stellte sich heraus, daß die Leute das viel zu sehr als Spielzeug begriffen. So entschloß ich mich, für meine Abschlußarbeit vor der Professorenjury mich selbst in eine große Verpackungsschachtel zu stellen. Das brachte die Erfahrung, daß man für Kunst nicht einen Gegenstand anfertigen muß. In der Folge machte ich selbst Aktionen: der Akt der Handlung war Kunst, nicht mehr ein Objekt, das der Künstler bearbeitet hat.

Das fiel in die Zeit des Vietnamkriegs. Die amerikanische Kunstwelt war durch Proteste gegen diesen Krieg hochpolitisiert. Hatte Ihre aktionistische Praxis mit dem eigenen Körper damit zu tun? Sie ließen sich in einer Galerie in den Oberarm schießen, in der Kunstmesse in Basel die Treppe hinunterstoßen, oder Sie legten sich auf einer kalifornischen Autobahn zwischen die beiden Fahrstreifen einer Fahrtrichtung.

Für mich ist jede Kunst politisch. Aber für diese Performances gab es auch andere Gründe: In den frühen siebziger Jahren empfanden wir einen Unwillen gegen den aufgeblähten Kunstmarkt der späten sechziger Jahre, als jemand weiße Bilder malte und sie wenige Monate später zehnmal mehr wert waren. Wir hatten das Gefühl, daß die Künstler die Kontrolle darüber verloren hatten, was Kunst sei und wovon Kunst handeln solle. Und bei der Aktion „Shoot“, als mir ein Freund in den Oberarm schoß, sollte die Kugel meinen Arm ja nur streifen. Wir hatten nicht einmal Verbandszeug mitgenommen. Dann aber gab es einen glatten Durchschuß. Es ging eher darum, daß in Amerika jeder von Zeit zu Zeit im Schlaf träumt, angeschossen zu werden. Wie in den Fernsehserien und den Nachrichten. Angeschossen zu werden oder auf Leute zu schießen – das ist in Amerika wie apple pie.

In Wien gab es in den sechziger ]ahren den „Wiener Aktionismus“, wo eine ähnliche Praxis der künstlerischen Aktion entwickelt wurde – mit Günter Brus, Otto Mühl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler. Kannten Sie damals diese Wiener Entwicklung?

Nein, wir hörten kaum etwas aus Europa. Auf der Kunsthochschule, die ich besuchte, experimentierte schon Bruce Nauman mit ersten Aktionen. Und später waren wir in Kalifornien eine Reihe von Freunden, Tom Marioni, Terry Fox und William Wegman etwa, die sogenannte „Kalifornische Performance Szene“. Wir fühlten uns Marcel Duchamp zugehörig und den Dadaisten, nicht aber Picasso. – Das sehe ich nach wie vor als die große Grenze in der Kunst dieses Jahrhunderts. Ich war sehr stolz, die Kunsthochschule zu verlassen, ohne ein einziges Bild gemalt zu haben.

Verstanden die Leute Ihr Werk?

Das große Mißverständnis ist vielleicht, daß ich zumeist selbst in relativ informierten Kreisen mit den frühen Aktionen gleichgesetzt werde. Dabei hörte ich damit 1976 auf und mache seither Skulpturen, die Dinge aus der Alltagswelt mit Bewegungen und aktionistischen Prinzipien verweben.

Schon sehr früh haben Sie Werbespots im amerikanischen Fernsehen untergebracht.

Das war noch vor dem Kabelfernsehen. Es gab nur drei landesweite Kanäle. Ich ging zu CBS und da ich bar im Voraus zahlte, war das gar kein Problem. Es war nicht einmal sehr teuer. Zum ersten Mal fühlte ich die Nähe eines Publikums für meine Kunst, weil 8 oder 10 Millionen Leute zugleich mit mir meine Arbeit sahen. Der simpelste Film, der aber die Leute am meisten beschäftigte, war der Spot mit den Künstlernamen: Mit Tom Marioni befragte ich Leute auf der Straße, welcher Künstler ihnen einfiele. So kamen die Namen Michelangelo, Rembrandt, Leonardo da Vinci, Van Gogh und Picasso zustande, denen ich meinen eigenen Namen hinzufügte und den Nachspann „Bezahlt von Chris Burden, Künstler“. Damit stand die Kunst mitten im Leben. Wäre ich der Sohn von Howard Hughes oder Ross Perot, mit ausreichend Geld, um den Werbespot regelmäßig ausstrahlen zu lassen, so hätten mich die Leute auf der Straße nach ein paar Tagen spontan als Künstler angeführt. – Das war also vor allem eine Aktion über das Fernsehen und seine Macht. 

Heute lehren Sie Bildhauerei in der Kunsthochschule Cal'Arts, die viele der wichtigsten künstlerischen Talente der neunziger Jahre hervorbrachte. Was lehren Sie Ihren Schülern? 

Auch in dieser Kunsthochschule bringt man den angehenden Künstlern nach wie vor vornehmlich Techniken bei. „Wenn Sie erst einmal die Technik beherrschen, können Sie auch alles andere“, sagt man zu den Studenten. Ich erachte das als grundlegend falsch. Sie müssen als Künstler mit den Ideen klarkommen, dann finden Sie auch die Lösung, das heißt die Technik für die Ausführung. Ich lebe zum Beispiel in einer Region mit fünfzig Millionen Einwohnern, wo man Raumfähren am Fließband baut. Da wäre es widersinnig, als Bildhauer noch schweißen zu lernen, wenn das viele andere besser können. Die Falle besteht heute im Gegenteil darin, daß Sie als Bildhauer gut schweißen können. Wenn Ihnen nichts einfällt sagen Sie sich dann nämlich: „Na – ich gehe erst einmal schweißen.“ Daraus entsteht schlechte Kunst. 

(Textfassung: Robert Fleck; publiziert in: Der Standard, 13.04.1995, S. 7)


Chris Burden, geboren 1946 in Boston, lebt bei Los Angeles. Nach mehreren Jahren als Fotograf in Europa und an der Harvard University studierte er Architektur und anschließend bildende Kunst, zuletzt an der University of California. Mit frühen aktionistischen Skulpturen ab 1971 und nachfolgenden Aktionen und Performances, in denen er seinen Körper häufig Extremsituationen aussetzte, wurde er zu einem Hauptvertreter der „Körperkunst“ („Velvet Water“, gewaltsames Untertauchen des Kopfes, und „Transfixed“, mit Nadeln durch die Handflächen an einem schnell fahrenden Volkswagen befestigt, beides 1974). 1976 wandte er sich von den Aktionen ab und einer neuen Auffassung monumentaler Skulptur zu, in der Objekte aus der Alltagswelt und Instrumente wie Motorräder zu molochartigen Maschinen über das Leben in der Gegenwart zusammenwachsen. Durch seinen Unterricht an der Kunsthochschule in Los Angeles seit 1978 gilt Burden mit Paul McCarthy als Stammvater der neuen kalifornischen Körperkunst der neunziger Jahre (Ausstellung „Helter Skelter“, Los Angeles 1992). Er ist gegenwärtig einer der international meistausgestellten Künstler.

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