KünstlerInnenporträts 22

Auszug aus einem Gespräch mit Hubert Schmalix

Herr Schmalix, warum malen Sie noch?

Mir fällt nichts anderes ein. Das Malen ist etwas, wo ich glaube, daß ich das am besten kann. Das bedeutet keine ideologische Haltung. Sondern mit der Malerei habe ich begonnen, und ich bin davon noch nicht losgekommen. Ich habe noch immer genug Spaß und Inhalt durch diese Sache, wodurch ich aus der Malerei nicht herauskam. Das ist, wie gesagt, keine ideologische Position, die lauten würde „In der heutigen Kunst gilt nur, wer malt“, wie es deutsche Kollegen sagen. Aber jeder soll das tun, von dem er glaubt, daß er es am besten kann.

Die Malerei hatte angesichts der Avantgarde und der Formenentwicklung der modernen Kunst immer eine prekäre Stellung. Im Zeitalter der Avantgarde, die in den sechziger und siebziger Jahren versuchte, Kunst und Lebenspraxis zu verbinden, galt die Malerei als „überwunden“. Auch heute noch haftet ihr ein klassizistischer Hauch an. In den neunziger Jahren verspürt man dagegen eine untergründige Wiederentdeckung der Malerei?

Es gibt diese Tendenz, daß man sich jetzt wieder für Malerei interessiert neben vielen anderen Tendenzen übrigens. Ich weiß nicht, aus welchem Grund das kommt. jedenfalls interessiert es mich nicht so sehr. Schon deshalb nicht, weil ich die Malerei ohnehin weiter machen würde, ob die Konjunktur ein wenig besser ist oder nicht. Daß die Malerei dagegen die Krise der Kunst oder der Gesellschaft beseitigen kann, über die heute jeder klagt, glaube ich nicht. Die Zeiten einer Liebe zur Malerei und einer Ablehnung der Malerei waren in diesem Jahrhundert immer Pendelschläge. Was im Moment in der Kunstwelt und der Gesellschaft vorgeht, ist eher der Versuch, das Pendel zu beruhigen. Das bringt eigenartigerweise auch die Malerei wieder ein.

Vor fast zwei Jahrzehnten begannen Sie als Künstler in einer kurzfristigen, aber sehr starken Konjunktur für Malerei – der Bewegung der „Neuen Malerei“ –, die Sie 1987 ganz bewußt verließen – mit Österreich und Europa –, zugunsten der Kunstlandschaft von Los Angeles, in der die Malerei europäischer Tradition nur eine geringe Rolle spielt. Hat sich Ihr Konzept von Malerei damit geändert?

Ich versuche, weniger zu reflektieren auf das hin, was der Kunstmarkt ist und was sich in den Ausstellungen abspielt. Diesbezüglich bietet mir Los Angeles einen guten Boden, weil ich dort wirklich allein sein kann und nicht ständig in gesellschaftliche Aktivitäten verstrickt bin.

War das nicht auch ein Wunsch, die Geste der „Neuen Malerei“ der achtziger Jahre „leerzuschreiben“, um wieder malen zu können? Man merkt das auch an Ihren Bildern: Die Hand ist ruhiger geworden, die Gestik wich einer relativen Statik, woraus man schließen könnte, daß durchaus Momente der amerikanischen Lebensweise und des amerikanischen Pragmatismus in die Malweise eingeflossen sind. Das „wilde“ Gestikulieren der „Neuen Malerei“ hat sich über zwei oder drei Etappen zu einer Flächenmalerei entwickelt, aus der Sie erst jetzt wieder zu ganz anderen Traditionen der österreichischen oder der europäischen Malerei zurückkehren.

Die Übersiedlung nach Los Angeles war ein bewußter Schritt hin zur Loslösung von Traditionen. Gerade Los Angeles bietet dieses Gegenmodell in einer sehr positiven Form. Dort sind ganz andere Ästhetizismen vorhanden, die für mich sehr lehrreich waren, vor allem für das Erkennen von Banalitäten und Normalitäten. In der ersten Zeit in Los Angeles hat mich vor allem das Häusermeer begeistert. Ein Europäer würde sagen, das sei „Kulturlosigkeit“. Aber genau in dieser „Anonymität“ habe ich ganz besonders Kultur erlebt, nämlich eine Kultur des Einzelnen. So begann ich, die „Häuserbilder“ zu malen, mit den dezentralisierten Perspektiven. In diesen Städten gibt es nicht einmal die Erinnerung an den Begriff eines Stadtzentrums, eine nach europäischen Maßstäben gebaute Stadt. Das bewirkt eine andere Sicht und einen anderen Begriff der Form. Das erste Ergebnis waren die Städtebilder – Dachansichten ohne Hierarchie, die mit Perspektive experimentieren. Diese Idee der Hierarchielosigkeit auf der Leinwand führe ich jetzt in den Christusbildern weiter, was manchen an das Spätwerk von Herbert Boeckl erinnerte – diese Vergleiche bedeuten für jeden aus meiner Generation der Maler das größte Lob, wenn Sie gut gesehen sind. Es geht aber auch darin nur um Flächigkeit, um dieses ständige Entfliehen einer Konzentration.

Wenn ich Sie richtig verstehe, ist Malerei für Sie ein ständiges Wiederholen in zweifacher Hinsicht: Ein Bild zu malen ist für Sie sowohl ein Akt der Darstellung einer Kultur, in der man lebt, der Repräsentation von etwas Sichtbarem, aber auch ein Akt der Befreiung oder der Losschlagung von dieser Kultur, in dem immer wiederholenden Farbauftrag sich zu befreien von dem Sichtbaren?

Ich versuche einfach, daß das Bild von selbst entsteht. Daß ich kein direktes Ziel anpeile, sondern ständig unter Loslösung der Gravität arbeite. Es geht nicht darum, einen Weg zu gehen bis zum Ziel, sondern ständig zu schweben, bis irgend etwas da ist und man irgendwann entscheidet: jetzt geht man runter auf den Boden und man verläßt das Bild. Ab dem Moment, wo es eine schmerzhafte Überwindung wäre, weiter zu tun, ab dem Augenblick funktioniert es nicht mehr.

Ist Malerei nicht auch ein schmerzhafter Akt, oder inwieweit ist der Akt, den Sie da als Maler vollführen, in einem Atelier in Los Angeles, überhaupt für jemand anderen, sei er nicht Sammler, sei er nicht Museum, der Sie aus anderen Gründen kennt, wichtig? Transportiert dieser Akt des Malers noch etwas?

Ich sehe in meiner Arbeit überhaupt keine Besondersartigkeit. Ich gehe ins Atelier zu bestimmten Zeiten und gehe heim zu bestimmten Zeiten wie ein Tischler oder Mechaniker.

Aber es handelt sich ja doch um privilegierte Arbeit, die in der Gesellschaft etwas produziert, nämlich Symbolisches, symbolisches Kapital. Wie sehen Sie da die gegenwärtige Wiederentdeckung des Avantgardisten im Kunstbetrieb – neben der Wiederentdeckung der Malerei – als dem Künstler, der den Bezug zur Gesellschaft in den Mittelpunkt seiner Werke stellt?

Ich empfinde, daß Subjektivität ganz besonders wichtig ist in der Kunst. Wenn ich die Subjektivität verlasse und „politisch korrekt“ werde, dann verlasse ich den Bereich, der mich privilegiert, mich Künstler zu nennen. Man müßte es genauer durchdenken, was „Künstlersein“ bedeutet. Aber ich glaube, daß politische Korrektheit nicht Aufgabe eines Künstlers ist. Ich möchte einem Künstler auch Unwahrheiten abnehmen können. Unwahrheiten, die in der Form der Subjektivität enthalten sind. Wahrheiten darzubringen, da würde man sich an zweite Stelle begeben, gegenüber dem Wissenschaftler oder gegenüber dem Journalisten. Es gibt Dinge, die sind „nie richtig“. Ich brauche jetzt als Künstler nicht zu kommentieren, über etwas, was eh' jeder weiß. „Gewalt ist schlecht.“ Das brauche ich jetzt nicht als Bild oder als Kunstform noch einmal darstellen, weil – das kann jeder.

(Textfassung: Robert Fleck; publiziert in: Der Standard, 28.02.1995, S. 3)

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