KünstlerInnenporträts 51

Gespräch mit Carsten Höller

Martin Janda: In deiner Ausstellung in der Wiener Secession hast du unter dem Titel „Skop“ (.) einen futuristisch anmutenden Lebensraum gebaut. Ausgehend von diesem Zukunftstempel der frühen Wiener Moderne, der Secession, gibt es einen Zeitbogen, der sich dann über dieses Haus aus den sechziger Jahren, über dieses „Finlanda-Haus“, bis hin zu diesem Fluggerät aus der heutigen Zeit, das quasi noch im Entwicklungsstadium begriffen ist, spannt.

Carsten Höller: Da fehlt noch der Motor und der Rotor, weil das so ein Spezialleichtmetallgerät ist, wo die Teile erst noch fertiggestellt werden müssen.

MJ: Wo sich natürlich eine Frage auftut: Ist das ein Plädoyer für die Realisierbarkeit von Utopien, oder ist es bloß eine minimale Bedeutungsverschiebung von diesem Begriff „Zukunft“ für dich?

CH: Also, was mich einfach sehr daran interessiert hat, war vor allem diese Kombination: auf der einen Seite aus diesem utopischen Geist von damals, der eben auch sehr stark in dem Haus vertreten ist – dieses „Futuro-Haus“, wie es auch heißt –, das ja aussieht wie eine fliegende Untertasse und das ja auch sehr stark diesen Gedanken von 1968 atmet und übrigens genau in diesem Jahr fertiggestellt worden ist; die Kombination zwischen dieser Utopie auf der einen Seite und dem Pragmatismus von heute auf der anderen Seite. Also auch einer gewissen Realisierbarkeit von Utopie, wobei dann eben das Wort „Utopie“ nicht mehr zutrifft. (.)

MJ: Es ist natürlich in der Ausstellung besonders bemerkenswert, daß die gezeigten Objekte sich sehr logisch zusammenfinden und trotzdem aus unterschiedlichsten Bereichen kommen. Es sind quasi industrielle Produkte auf der einen Seite, es sind „ready-mades“, gefundene Dinge, und es sind auch wirklich gebaute, gezeichnete und entworfene Objekte – also klassische Objekte im Grunde – dabei. Das ist auch im ersten Moment für den Betrachter relativ unklar, was jetzt echt und was jetzt falsch ist. Ist das für dich eine wichtige Position: diese Verschiebung, diese graduelle Verschiebung von „möglich“ und „unmöglich“?

CH: Ja, wobei ich natürlich besonders daran interessiert bin, diese Grenze zwischen „möglich“ und „unmöglich“ aufzuheben. Also vor allem in diesem Verschwimmungsbereich zwischen den beiden. Was ich immer sehr gerne gemocht habe, auch in der Schule, war Mengenlehre; weil es eine Form von Mathematik ist, die eben sehr visuell strukturiert ist und die Dinge verständlich machen kann mit ganz einfachen Geschichten. Auch in dieser Ausstellung in der Secession ist dieser „Mengenlehreaspekt“ ja dadurch vertreten, daß sich im Zentrum der ganzen Geschichte mehrere Kreise befinden, die sich alle überlappen: also z. B. das Haus oder die Erdbeerplantage oder auch diese große runde Fotoarbeit, die die Meeresoberfläche darstellt – so, daß das Ganze wie Mengenlehre funktioniert. Und was ich eben sehr interessant finde, ist diese Brücke zwischen Funktionalität, wie sie jetzt durch die Gebrauchsgegenstände, wie du eben gesagt hast, dargestellt wird. (.) Dieser Überlappungsbereich jetzt im Sinne von Mengenlehre, den finde ich besonders interessant. Daß da eben Sachen zusammenkommen, die dann gar nicht mehr diese Unterscheidung möglich machen zwischen funktional und nicht-funktional, sondern die alle auf ihre Art und Weise funktionieren und die vor allem eine gemeinsame Funktionsebene haben, die durch diese Gesamtkonstellation möglich wird. Also das ist, denke ich, schon eine relativ interessante Art und Weise so vorzugehen, zu versuchen, eben diese verschiedenen Gruppenzugehörigkeiten aufzuheben. Eine Sache, die mich sowieso sehr interessierte, ist also, nicht zu sagen, „das ist jetzt so und so, da zugehörig und das ist da zugehörig“, und die beiden Sachen so miteinander zu vergleichen, sondern auch die Dinge so zusammenzubringen, daß sie eben – sagen wir mal – ihre Gruppenzugehörigkeit verlieren und einfach einen singulären Charakter haben, und von diesem singulären Charakter ausgehend einfach das sind, was sie wirklich sind. Ich denke, daß es einfach auch eine Frage unseres Verstandes ist, wie wir Dinge sehen, wie wir denken, wie wir begreifen, wie wahrscheinlich auch unser Gehirn funktioniert; aber es ist natürlich auch ein kulturelles Phänomen, daß wir die Dinge als gruppenzugehörig begreifen und natürlich auch nur dann überhaupt erst als solche erkennen und verarbeiten können, wenn sie eine gewisse ausmachbare Form haben – also wenn sie sich von ihrem Kontext durch die Form, die sie haben, in irgendeiner Art und Weise unterscheiden; und deswegen haben wir häufig auch diese binäre Art und Weise, die Dinge miteinander zu vergleichen – daß wir eben auf der einen Seite jetzt z.B. Gebrauchsgegenstände haben, auf der anderen Gegenstände, die keine eigentlichen Gebrauchsgegenstände sind. Ich denke aber, daß es sehr wichtig ist, die Dinge als solche zu sehen, wie sie auch wirklich sind, nämlich als einzelne, singuläre Objekte. Das gilt wahrscheinlich auch für Lebewesen – das kann man z.B. genauso sagen für: „Du bist ein Österreicher.“ – .diese Gruppenzugehörigkeit möglicherweise versuchen aufzuheben, was vielleicht auch als Staatsform relativ interessant ist.

MJ: Die Frage, die sich mir bei einigen deiner Ausstellungen und deinen Arbeiten gestellt hat, und da gehe ich jetzt quasi auf die „Kinderfallen“ zurück, ist für mich schon der Punkt, wie quasi diese Option „Zynismus“ sich jetzt auch auf die neuen Arbeiten schlägt? Ist (.) das Erdbeerfeld, das irgendwie die Möglichkeit eines Überlebens außerhalb jeglicher Natur suggeriert, ist das Ganze dann nicht auch in Wahrheit ein – besonders wenn man es vergleicht mit diesen „Kinderfallen-Arbeiten“ – ein sehr, sehr zynisches Verhalten, all diesen Möglichkeiten des Überlebens und unserer Gesellschaft gegenüber?

CH: Das kann man auch nicht mit „ja“ oder „nein“ beantworten. Natürlich hat es auch eine zynische Dimension in dem Sinne, daß ja sowieso alles egal ist – also es ist wirklich egal, ob wir etwas tun oder nicht, die Dinge entwickeln sich sowieso. Es gibt einfach eine Entwicklung, eine Dynamik, die man natürlich beeinflussen kann bis zu einem gewissen Grade, vor allem aber auf sich selbst bezogen. Man kann natürlich schon gewisse Entscheidungen fällen und versuchen, so etwas wie einen freien Willen zu entwickeln – für sich selbst und auch mit anderen zusammen und auch in größeren Gruppen – aber im Endeffekt ist eigentlich sowieso alles egal. Also diese zynische Dimension ist auf jeden Fall, sagen wir mal, eine „natürliche Komponente“ einer jeden Bestrebung, etwas zu tun oder zu unterlassen.

MJ: Wobei du natürlich mit Formen, die gerade diese Möglichkeit, daß es weitergeht, daß es Lebensformen gibt, die uns das Überleben sichern, arbeitest. Und gerade mit diesen Formen, und zwar mit den höchst entwickeltsten, versuchst du da irgendwie zu arbeiten, um das Postulat „es geht eh nichts mehr“ zu formulieren? Wie ist das?

CH: Nein, nein, das überhaupt nicht. Das Postulat „es geht eh nichts mehr“ ist ja auch falsch. Ich wollte eben nur eine kleine Dimension ansprechen, eben das was du „zynisch“ genannt hast – und das jetzt auf diesen fast natürlichen Zynismus zurückführen, in dem Sinne, daß eben die Dinge sich sowieso entwickeln, also daß es auch dieses Moment des „Egal-Seins“ gibt. Das ist schon eine relativ wichtige Komponente. Auf der anderen Seite glaube ich eben, daß der Zynismus für mich nur einen kleinen Teil dessen ausmacht: Auch bei diesen Kinderarbeiten, wo das vielleicht doch etwas prononcierter war, wo es aber im Endeffekt noch ganz andere Dimensionen gibt, die mit Zynismus überhaupt nichts zu tun haben; nämlich z.B. den Aspekt, daß dieser Reproduktionscharakter des Daseins durch diese Arbeiten sehr stark thematisiert wird und auch zu einem gewissen Grade in Frage gestellt wird. Es ist ja eigentlich das einzige, was alle Lebewesen, alle Organismen, Pflanzen, Tiere, Bakterien, Pilze, Menschen, .was sie alle gemeinsam haben, daß sie eben ein genetisches und möglicherweise auch anderes Material an ihre Nachkommen weitergeben, und daß sie zu einem gewissen Zeitpunkt ihres Lebens sich auf eine ihnen spezifische Art und Weise fortpflanzen. Das gilt für alle Lebewesen, das ist also schon etwas, was ganz offensichtlich auch zu einem gewissen Grad den Sinn des Lebens ausmacht. Wobei das Reproduzieren jetzt eben nicht – glaube ich – unbedingt in einem genetischen Sinn verstanden werden muß, sondern eben auch eine Reproduktion sein kann, die sich auf eine gewisse Art und Weise eher immateriell vollzieht; also das kann auch eine Reproduktion von Gedanken und von Vorstellungen sein, die du entwickelst, es kann sich also auch auf andere Dimensionen hinausheben. (.)
Also diese zynische Dimension ist natürlich bis zu einem gewissen Grad da drin, sicherlich, ich glaube aber, sie macht keinen allzugroßen Bestandteil aus, es gibt auch eine andere Dimension. Und was jetzt hier diesen Modellcharakter angeht in dieser Ausstellung in der Wiener Secession, so hat der Modellcharakter nicht unbedingt sehr viele zynische Komponenten – glaube ich. Dieser Modellcharakter muß in einer solchen Ausstellung nicht unbedingt so sein, daß er entweder in die ganz utopische oder in die ganz durchführbare Richtung weist, sondern die beiden Sachen miteinander kombiniert, so daß es einfach nur möglich ist, ausgehend von so einem Modellcharakter im Sinne von dieser dörflichen Struktur, die ja durchaus vorhanden ist, das Ding auch wirklich zu nutzen; also das auch nicht unbedingt wie eine Ausstellung zu begreifen. Ich glaube ja sowieso, daß, wenn man solche Ausstellungen in öffentlichen Institutionen macht, es da nicht so angebracht ist, sagen wir mal, Werke im eigentlichen Sinne zu zeigen, (.) da Werke hinzustellen und auszustellen im klassischen Sinne, daß man sie dann betrachten kann, oder daß man irgend etwas damit machen kann und dann darüber nachdenkt. In so einem großen Raum in einer öffentlichen Institution. da steckt eine Möglichkeit drin, wie man den nutzen kann, nämlich daß man den einfach als Lebensraum zur Verfügung stellt. Also daß es möglich ist, diesen Lebensraum zu nutzen, um dort eine Zeit seines Lebens zu verbringen. Es ist wie, sagen wir einmal, wie wenn man ein Hotelzimmer mietet – man zahlt ja auch meistens Eintritt, um dort hineinzugelangen. Dann kann man da hineingehen, man hat das gewissermaßen gemietet für sich und natürlich auch für die anderen, die gleichzeitig da drin sind, und kann dann in diesem Raum auch viele Dinge machen, die man sonst anderswo macht. Man könnte sich z.B. sehr gut in diesem Raum verabreden, man könnte dort Geschäftstermine oder Freunde treffen, Familien könnten dort hinkommen, es ist sehr kinderfreundlich in diesem Fall; also auch das, um noch einmal klarzumachen, daß ich das mehr auf der theoretischen Ebene persönlich angesiedelt habe. Es funktioniert einfach wie eine Art von Landschaft, in der man sich aufhalten kann, aber es ist keine Landschaft, die in dieser Form bereits existiert. Es ergibt als Gesamtheit eine neuartige Form von Landschaft, die dann auch wiederum – ich will das jetzt nicht zu pathetisch machen – einen gewissen Einfluß auf das hat, was du fühlst, wie du dich dort benimmst, was dir dort für Gedanken kommen. Ja, du kannst einfach in einer so gearteten Landschaft anders leben als in anderen Landschaften, weil natürlich die Landschaft auf dich einen gewissen Einfluß hat.

MJ: Ein Schlagwort oder auch ein wichtiges Wort für dich ist „Zukunft“ und das andere, was du jetzt angesprochen hast und was es auch schon im Hamburger Kunstverein gab als Thema und im Kunstverein Köln auch geben wird, das ist das Wort „Glück“. Ich würde gerne wissen, wie du – das sind so zwei Worte, die wir fast nicht mehr verwenden können – mit diesem Wort „Glück“ umgehst.

CH: Ja, das Glück, das ist ja eigentlich so eine ganz merkwürdige Geschichte. Das ist so wie mit der Liebe auch, das ist so ein Wort, das jeder kennt, jeder weiß was es bedeutet, aber es ist quasi unmöglich, es überhaupt zu definieren. Das ist mit persönlicher Erfahrung verbunden, das hat so eine persönliche Dimension und trotzdem ist es dann doch wieder so, daß wir alle von bestimmten Dingen offensichtlich Glück empfinden, zum Beispiel wenn wir verliebt sind. (.)
Wir müssen uns natürlich schon fragen, warum wir überhaupt bestimmte Dinge tun und warum wir andere Dinge nicht tun. Wenn man das sieht, dann geht es doch sehr häufig relativ eindeutig in diese Richtung, daß wir Dinge tun, die uns im weitesten Sinne glücklich machen, lang- oder kurzfristig, und Dinge unterlassen, die uns im weitesten Sinne unglücklich machen, auch lang- oder kurzfristig, wobei die Kurzfristigkeit des Glücks meistens ein relativ dominierender Faktor ist. (.) Diese Frage nach dem Motivationscharakter einer Handlung und der Suche nach dem Glück ist schon eine Frage, die wir uns auch heute wieder stellen können und die auch zum Teil als solche diskutiert wird. Und wir wissen natürlich auch, daß das Glück eine gewisse physiologische Ebene hat, was ich auch sehr wichtig finde, also daß es gewissermaßen vielleicht auch eine Art von Richtungsvorgabe, eine körperliche Richtungsvorgabe gibt, in welche Richtung wir Glück empfinden. Das ist natürlich ganz besonders offensichtlich beim Sex, oder wenn man verliebt ist und man davon ausgehen kann, daß es da sicherlich eine physiologische Komponente gibt. Es ist aber eben nicht nur eine physiologische Komponente, sondern es spielen auch sehr viele andere Faktoren mit. Ich glaube, es gibt sehr, sehr viele verschiedene Arten von Glück, die sich aber – und da kommen wir wieder darauf zurück, was wir vorher gesagt haben – sehr schwer voneinander differenzieren lassen. (.) Für diese Ausstellung habe ich jetzt einfach nur eine Unterscheidung gemacht zwischen dem „kleinen“ und dem „großen Glück“, also keine richtige Unterscheidung, weil da keine scharfe Grenze ist, sondern das ist einfach nur eine Art von Behauptung, wenn man so will. Und das „große Glück“ ist natürlich etwas, was man in einer Ausstellung nicht so hinbekommen kann, man kann es natürlich thematisieren, aber dann wäre es eine Ausstellung über das „große Glück“. Ich wollte nicht eine Ausstellung über das „Glück“ machen, sondern eine Ausstellung, die die Suche nach dem Glück auf eine gewisse Art und Weise auch möglich macht. Also wo man sich wiederum in einer Landschaft befindet, die verschiedene Elemente enthält, die in dieser Form sonst nicht so zugänglich sind und die es einem ermöglichen, wenn man sich mit diesen Elementen beschäftigt – oder Instrumenten könnte man vielleicht besser sagen, auch glücklicher zu werden als in anderen Landschaften oder Lebensräumen. Natürlich jetzt ausgehend von meiner Vorstellung von Glück – ich kann ja dann das auch nur so zur Verfügung stellen, wie ich mir vorstelle, wie es möglich wäre, in einem solchen Raum glücklich zu werden; glücklich werden im Sinne vom „kleinen Glück“, das Alltagsglück, wie wenn man pfeifend eine Straße hinuntergeht, ja, einfach diese gute Stimmung. Das hat mich sehr interessiert, dieser Aspekt einfach gut gelaunt zu sein. Das ist ja doch häufig abhängig von bestimmten Dingen, entweder davon, was man gerade erlebt hat, oder manchmal stellt es sich auch einfach so ein – ja, es hat gar keinen besonderen Grund, es ist einfach da. Die Möglichkeit des Zugriffs ist einem ja verwehrt. Also es ist einem verwehrt im Sinne, daß man nicht, außer vielleicht wenn man Drogen nimmt, direkt dieses Glück so greifen kann. Man kann es natürlich greifen, indem man jahrelang da an sich selber arbeitet, indem man weiß, wie man am besten dahin kommt. Ich glaube schon, das sind Sachen, mit denen wir uns alle beschäftigen. Ich kann natürlich immer nur davon ausgehen, wie es bei mir ist, aber wenn ich meine Mitmenschen beobachte, denke ich, daß es sehr viele Menschen gibt, die da ganz ähnlich vorgehen und die eben auch ihr Glück auf ihre ganz spezifische Weise suchen.

MJ: Und wenn du jetzt diese quasi globalen Begriffe wie „Glück“ verwendest, ist das eine Reaktion für dich auch auf diese Enge der Wissenschaft, die du früher oder auch parallel dazu noch immer betreibst? Ist diese Suche nach diesen wirklich globalen Fragen und diesen weiten und ausschweifenden Fragen eigentlich nicht auch im Grunde eine Kritik an dem, was Wissenschaft im Moment macht: ganz eng und über ganz spezielle Dinge über Jahre und Jahrzehnte zu forschen?

CH: Ja, die Wissenschaftler sind ja jetzt erstaunlicherweise auch so langsam darauf gekommen, nach dem Glück zu suchen. Also das war ja sehr unwissenschaftlich, eine gewisse Zeit lang, aber dann gab es eben diese Physiologie des Glücklichseins, die sich so nach und nach dann manifestiert hat, vor allem eben durch Drogenforschung, daß man verstanden hat, was da eigentlich passiert. Die Ausschüttung von Endorphinen und diese ganzen Geschichten, aber die Wissenschaftler versuchen das natürlich wieder auf ihre reduktionistische Art und Weise, ich meine jetzt Naturwissenschaftler natürlich, in diesem Falle. Sie gehen mit dieser reduktionistischen Methode – die sie eben als einzige wirklich zur Verfügung haben – daran, und das ist das große Problem in dem Sinne, daß man dann wieder versucht, etwas zu finden, was für das Glück verantwortlich ist, .also die Mechanik des Glücks zu entschlüsseln. Und das ist mir eigentlich, ehrlich gesagt, ziemlich egal – also wie das Glück nun jetzt wirklich funktioniert, im Sinne von: welche Synapsenverbindungen da welche Endorphine freiwerden lassen, was für Neurotransmitter da im Spiel sind. Es gibt sicherlich so etwas. Aber erstmal bin ich nicht davon überzeugt, daß das alles ist, daß es sich wirklich alles nur auf dieser rein mechanistischen Ebene abspielt, wie wir sie heute verstehen können. Und außerdem glaube ich, daß das gar nicht die entscheidende Frage ist. Die entscheidende Frage geht eher in diese Richtung: inwieweit diese Suche nach dem Glück. Das ist auch noch ein wichtiger Punkt: Wir haben immer diese Glücksvorstellung, aber es ist ja eigentlich nur die Suche nach dem Glück und das partielle Finden des Glücks, welches einen überhaupt glücklich macht. Denn das Glück wirklich zu finden, das ist natürlich etwas, was dann zu den tiefsten Depressionen führen kann, weil das Glück, dann wenn es einmal da ist, natürlich auch eine Art von Unerträglichkeit hat, die man kaum bewältigen kann. Das ist dann auch vorbei, glaube ich, es ist immer nur eine Art von Projektion, es ist etwas, was auch in die Zukunft gerichtet ist. (.) Aber ich denke einfach, daß diese Suche nach dem Glück schon eine ganz interessante Sache ist, um einfach darüber nachzudenken. Also die Sache einfach einmal mit einer gewissen intellektuellen Leistung anzugehen und zu versuchen zu verstehen, inwieweit es überhaupt einen Einfluß auf dich hat, inwieweit du erst einmal von dieser Sache abhängig bist, und inwieweit vor allem du dich davon lösen kannst. Also inwieweit es möglich ist, sagen wir einmal, auch ohne diese externen Stimulanzien, die wir ja häufig suchen, in welcher Form auch immer, das Glück zu finden oder sogar zu vergessen, das Glück zu suchen. (.)

MJ: Was dabei natürlich spannend ist, ist daß du da nicht versucht hast, das sprachlich quasi zu erforschen, was jetzt 'mal der Wissenschaft sicherlich näher wäre, sondern du gehst sehr wohl in den Bildbereich. Du versuchst zu visualisieren (.) und du arbeitest für meine Begriffe unglaublich vielschichtig in dieser Visualisierung. (.)

CH: Was wir jetzt im Moment tun, daß wir miteinander sprechen, das ist natürlich schon etwas anderes. Also wir sprechen miteinander, dann kann man sich auch in der Dimension der Sprache bewegen und in diesem Rahmen auch durchaus miteinander kommunizieren, das ist, glaube ich, möglich. Aber die Sprache hat natürlich auch ihre Schwächen; sie hat einfach eine chronologische Struktur, sie hat eine vergleichsweise geringe Vielschichtigkeit – also auch den größten Sprachjongleuren gelingt es immer nur wenige Meta-Ebenen über das eigentliche Gesagte oder Geschriebene hinaus zu bringen. Was mich sehr stört an der Sprache, ist vor allem diese Chronologie, in dem Sinne, daß es bei der Sprache ja immer darum geht, daß man – um sich überhaupt verständlich zu machen – erstmal eine ganze Weile reden muß und daß man nach und nach aus Wörtern Sätze konstruiert, die dann, wenn man sie zu Ende gesagt hat oder vielleicht erst wenn man seinen ganzen Sermon losgeworden ist – so wie ich jetzt – einen Sinn ergeben. Und ich glaube nicht, daß das unbedingt die beste Form von Kommunikation ist, gerade wenn es um solche Denkprozesse geht, wie ich sie vorher angesprochen hatte. Diese Denkprozesse, glaube ich, laufen ganz anders ab. Sie haben nicht unbedingt diese Chronologie. sind vor allem viel viel schneller, also das geht ja in einer ganz anderen Dimension, und sie haben eben eine Gleichzeitigkeit von verschiedenen Richtungen, die möglich sind. Also es muß nicht unbedingt diese klar geordnete Struktur haben, wie sie die Sprache haben muß, um ein gewisses Maß an Verständlichkeit zu bekommen, sondern es kann auch eben ganz anders funktionieren, es kann auch eben Dinge miteinander verbinden, wo im ersten Moment keine Verbindungsebene zu bestehen scheint. Aber dadurch, daß sie eben gleichzeitig als dynamischer Prozeß in einem gewissen Kontext ablaufen, dadurch stellen sie doch wieder eine Verbindung her. (.)

MJ: Du machst relativ viele Ausstellungen in letzter Zeit. Hast du eigentlich das Gefühl, daß du skulpturaler denkst, wenn du zum Beispiel in die Secession kommst?

CH: Ja, das muß man glaube ich schon. klar, sicher. Das ist so ein bißchen Handwerkszeug, denke ich, das braucht man einfach.

MJ: Im Vergleich zu deinen früheren Arbeiten, die waren noch viel weniger. Die hatten viel weniger diesen Charakter des.

CH: Das ist mir eigentlich wurscht. Das hängt nun wirklich davon ab, was da gerade am besten funktioniert, also welche Art von Form ihre größte Wirksamkeit in einem gewissen Kontext entfalten kann. Und das kann dann manchmal sehr „zusammengezimmert“ oder „trashig“ sein, das kann aber auch ein wunderbares „ready-made“ sein, oder das kann etwas perfekt Hergestelltes sein – und alles irgendwo dazwischen. Ich denke nicht, daß es da sinnvoll ist, sich auf eine bestimmte formale Ebene einzulassen. Zumindest nicht für mich – das mag durchaus für andere sinnvoll sein. Ich bin sicherlich niemand, der versucht so linear zu arbeiten, um dann irgendwie auf etwas hinzukommen, indem er sich konsequent spezifisch Jahre oder Jahrzehnte sogar mit einer Sache beschäftigt, und dann natürlich genau wieder diese Form von Spezialisierung und auch diesen Reduktionismus im Endeffekt übt, den ich an den Wissenschaften kritisiere. Sondern daß es eben möglich ist, von sehr verschiedenen Richtungen auf etwas hinzusteuern, was dadurch auch seine eigentliche Wirksamkeit bekommt, dadurch, daß es eben diese Verschiedenartigkeit hat, daß es möglich ist, von verschiedenen Richtungen auf diese Sache zuzusteuern. Wenn man jetzt bei diesem Bild mit der Linie bleibt, dann denke ich, daß es eher irgend etwas ist, das eine dreidimensionale Form hat, oder vielleicht auch gar keine. Aber daß es auf jeden Fall diese Möglichkeit gibt, sich dieser Sache zu nähern, dadurch, daß man von verschiedenen Richtungen kommt. Und deswegen kann das formal sehr unterschiedlich ausfallen.

MJ: Aber die „Verstofflichung“ ist dir schon wichtig?

CH: Ja, sie ist mir wichtig, weil ich denke, daß es da schon wichtig ist, sehr präzise zu sein. Wobei das auch nicht immer gilt, manchmal ist das auch völlig egal. Also manchmal gibt es Sachen, wo es wirklich nur darum geht, wie das Ding funktioniert – und wie es aussieht ist dann völlig wurscht! Und dann kann man auch die Sache von jemandem machen lassen, der das dann auf seine Art und Weise herstellt. Und das hat dann auch häufig den Effekt, daß es ein bißchen komisch aussieht, also in dem Sinne, daß das dann formal unstimmig erscheint, oder daß da irgendwelche Elemente sind, die einen denken lassen, daß das eine gewisse Absichtlichkeit hätte, aber das hat es eben nicht. Das ist einfach so entstanden und wird dann dadurch noch viel funktionaler. Also ich mag sehr gerne diesen Instrument-Charakter. Aber ich glaube, daß auch ein gut gemachtes Kunstwerk, im Sinne von einem perfekt hergestellten Objekt, durchaus eine solche Dimension haben kann. Das hängt wirklich ganz davon ab, was es ist und in welcher Umgebung es gezeigt wird und welchen Charakter diese Geschichte hat. (.)

(Wien, Mai 1996)

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