profil ohne Worte

„profil ohne Worte“ von Hans-Peter Feldmann

Bild, 3 Bilder oder 12 Bilder nannte Hans Peter Feldmann die kleinen, grauen Kartonhefte, mit denen er zwischen 1968 und 1976 zur heimlichen Kultfigur konzeptueller Kunst in Deutschland wurde. In den zusammengehefteten Booklets fanden sich Schwarz/Weiß-Reproduktionen von Bildern aus Illustrierten und Zeitungen, von Postkarten und Plakaten. Gedrucktes wiedergedruckt, unkommentiert, ohne Titel und Untertitel, ein Motiv nach dem anderen, die Durchschnittsmenge Alltag säuberlich ins Zentrum der Seite gerückt. Found Footage nannte man im Film, was Feldmann im gedruckten Medium fand. Beileibe nicht, um aufdringlich und vulgär ein neues Original zu sampeln, oder um die einzelnen Motive eitel zu auratisieren. Feldmann, der Enzyklopädist, bildet ab. Triviale Gegenstände, triviale Situationen, die ganze triviale Welt. Ohne Information und ohne Erklärungen: zehn Segelboote, ein Vulkan, sieben Werkzeuge. Unsentimentale Befunde der Wirklichkeit, wahrheitsgetreu, authentisch. Ähnlich wie Ed Ruscha in Los Angeles arbeitete Feldmann in Düsseldorf an der Idee von Kunst als Konsumware und löste das Gewicht der einzigartigen, wertvollen Originale in der Leichtigkeit technischer Reproduzierbarkeit auf, immer auf der Suche nach alternativen Räumen und Formen für die Produktion und Distribution einer Kunst, die Alltagskultur heißt. 

Als sich in den späten 70er und den beginnenden 80er Jahren die nächste Künstlergeneration fragte, worin das Wesen fotografischer Repräsentation läge, schrieb Douglas Crimp im Katalog von „Pictures“, einer Ausstellung junger Appropriationkünstler, die sich existierende Bilder borgten, um Faksimiles herzustellen und wie Feldmann die Kategorien Meister, Meisterwerk und Kunstgeschichte auflösten: „In immer größerem Ausmaß wird unsere Erfahrung von Bildern beherrscht, Bildern in Zeitungen und Magazinen, im Fernsehen und im Kino. Sie schieben sich vor unserer direkte Erfahrung, die immer trivialer erscheint. Glaubte man früher, die Funktion der Bilder wäre die Interpretation der Realität, sieht es nun so aus, als hätten sie sich der Realität bemächtigt“ (1). In den TV-geprägten Zeiten des medialen Overkills gibt es wer weiß genügend Fotografien auf unserer Welt, einen einzigen gigantischen Supermarkt der Bilder, ein endloser Fundus, aus dem Hans Peter Feldmann bescheiden und würdevoll exzerpiert. Denn, „es gibt kaum noch Gründe, neue Fotos zu machen. Wenn man eins braucht, sucht und findet man es bestimmt in den Archiven. Und mit Archiven sind nicht nur die offiziellen Konservierungsanstalten gemeint – Archive hat heute jeder, in Form von alten Zeitungen, Gebrauchsanleitungen, Prospekten und den ständig wachsenden Bilderhalden privater Fotopraxis“ (2). Der Mann, der die Bilder liebt, erweist dem banalen Sujet seine Referenz.

profil ohne Worte geht auf ein Repräsentationsmodell Feldmanns aus den frühen 70er Jahren zurück, ein Konzept, das heute am Beginn des neuen Jahrtausends endlich realisert werden kann, denn noch nie hat sich ein Printmedium auf den Vorschlag des Künstlers eingelassen, Bilder ohne Legenden, ohne Text abzudrucken. Das österreichische Nachrichtenmagazin profil legt sich Feldmann als Basismaterial zu Füßen. profil hat Erfahrung mit der Kunst in der Zeitung. 1995/96 eröffnete museum in progress an dieser Schnittstelle der Informationsgesellschaft einen Kunstraum auf den Doppelseiten des Blatts, den die Kuratoren Stella Rollig und Hans Ulrich Obrist mit der Ausstellung Travelling Eye füllten, mit Nobuyoshi Araki, John Baldessari, Peter Fischli/David Weiss, Bernhard Fuchs, Nan Goldin, Felix Gonzalez-Torres, Richard Hoeck, Roni Horn, Jean-Luc Moulène, Gabriel Orozco, Jack Pierson und Gerhard Richter.

Ging es damals um die Anreicherung eines Massenmediums mit „ressortunzuständigen“ Kunstwerken, überträgt der „zuständige“ Künstler nun mittels Subtraktion das Massenmedium ins Kunstwerk. Junggeselle Feldmann entkleidet Braut profil und eliminiert eine der beiden Vermittlungsebenen der Zeitung: das Wort. Digitale Bearbeitungsverfahren machen das unmittelbare Herauskippen des Texts aus der aktuellen Ausgabe möglich, die angesichts der politischen Lage in Österreich zum historischen Dokument werden könnte.

profil ohne Worte ist ein visuelles Substrat von News im Sinne politischer, wirtschaftlicher und kultureller Nachrichten, eine Wochenschau, die durch den Verlust des Kommentars allein die Bilder sprechen läßt. Neben dem Titellogo bleiben die Fotos, die Illustrationen unverändert. An Größe, Layout und Relation der Bilder zueinander und damit am Duktus der visuellen Information, an der Dramaturgie der Zeitung, hält Feldmann fest. So scheint es sich weniger um eine tabula rasa des Schriftsatzes zu handeln, sondern vielmehr um den beiläufig lakonischen Entzug von Begriffen und Informationen in der Gewißheit, daß sie angesichts der Aussagekraft des Visuellen ohnehin überflüssig sind. profil ohne Worte kann als Ready Made der legendären Bildersammlungen Feldmanns gelten, den nackten Auftritten unprätentiöser Dinge in anspruchsloser Form, zu ästhetisch absichtslosen Reihen gefügt. profil ohne Worte bekräftigt Feldmanns Bekenntnis zu antihierarchischer und universell gültiger Sachlichkeit. profil ohne Worte erzählt auch davon, wie sehr die medialen Bilder unsere Wahrnehmung bestimmen, aber auch, wie relativ diese Wahrnehmung ist. Dekonstruiert man das eingespielte Verhältnis zwischen Text und Bild schwindet mit der Zeit, aber auch mit dem Grad der Entfernung vom Ort der Handlung, die Fähigkeit zur Identifikation. Das Spektakuläre und Spezifische der Nachrichten löst sich im Ersatzteillager der kollektiven Bilder auf.

profil ohne Worte, die Verdoppelung des Nachrichtenmagazins, wird im Verlag Hans Peter Feldmann in unlimitierter Auflage erscheinen. Es ist geplant, der Arbeit Feldmanns jeweils ein Originalheft beizulegen. Besonders spannend wird es dann, wenn die Vorlage verloren oder verschwunden sein wird, und nur noch die Reproduktion der Reproduktion existiert. "Feldmann befreit seine Kunst von jeder Referenzlage. Sie determiniert sich, ihre Erfahrbarkeit selbst. Das Vorhandene (Triviale) geht im Kunstwerk auf; das Kunstwerk geht in seiner eigenen Konstitution auf; es wird zur Wirklichkeit, wie jede andere auch." (3) „Everything is in between“ sagt Godard, alles ist dazwischen.

(1) Douglas Crimp, Pictures. Ausstellungskatalog Artists Space, New York 1977
(2) Floris Neusuess: Ein Bermudadreieck für die Fotografie. In: Katalog Photorecycling Photo, Universität Kassel 1982, p.150
(3) aus: Werner Lippert, Hans Peter Feldmann-Das Museum im Kopf, Köln 1989

(Februar 2000)

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