Globale Positionen

Globale Positionen 03

Soziale Sabotage – eine Übung.

Ich hatte wirklich nichts gegen M. Wir grüßten uns wie immer und ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß zwischen uns eine hierarchische Beziehung bestehen würde. Doch die Machtdimension war latent vorhanden. Eines Tages fing ich grundlos an, mich über M. zu ärgern. Obwohl sie genauso freundlich grüßte wie immer. Ohne einen bewußten Entschluß gefaßt zu haben, hörte ich auf sie zu grüßen. Ich wollte nichts mehr mit M. zu tun haben, wußte aber nicht, wie ich ihr die Bekanntschaft aufkündigen sollte. Da merkte ich, daß ich unbewußt aufgehört hatte, ihren Gruß zu erwidern. Es war so, als ob diese Veränderung ganz von selbst, ohne mein Zutun, eingetreten war. Meine soziale Fügsamkeit war in soziale Sabotage umgeschlagen. Zu Anfang experimentierte ich mit meiner Übung auf unterschiedliche Art und Weise. Zum Beispiel starrte ich sie, oder einen Fleck hinter ihrem Kopf, wütend an. Das verwirrte M. vollkommen, da sie mein Verhalten in keinster Weise zu verstehen vermochte. Doch Übung macht den Meister. Nach einigen Versuchen beherrschte ich die Kunst des Nicht-Grüßens. Ich ignorierte M., mein Blick glitt an ihr vorbei, als sei sie aus Luft.

Aber diese Übung in sozialer Sabotage verlief nicht schmerzlos, sondern war richtig qualvoll. Nachdem ich eine Weile versucht hatte M. zu ignorieren, entschied ich mich stattdessen für eine andere Strategie. Ich änderte meine Zeiten und Gewohnheiten, um ihr aus dem Weg gehen zu können. Ich schlich in den Fahrstuhl und schloß die Tür, sobald ich sie kommen sah und horchte an der Haustür ihren unwillkommenen Schritten nach.

Nach einer gewissen Zeit kam mir M. wirklich wie ein Fremdling vor und es war mir natürlich sie nicht mehr zu grüßen. Es gibt Anlaß dazu, die Schwierigkeiten, die mit dieser Übung im Nicht-mehr-Grüßen, verbunden sind, näher zu beleuchten.

Als ich M. im Fahrstuhl traf, wußte ich, daß ich sie ignorieren mußte, da es zu spät zur Flucht war. Diese Situation weckte ein enormes Unbehagen in mir. Wie war es möglich, daß eine solche Situation derart starke Gefühle in mir zu wecken vermochte? Wenn ich M. grüße, erwarte ich, daß sie meinen Gruß erwidert, was sie auch tut. Erst bekräftige ich sie, dann sie mich. Das Interessante an dieser Situation ist die Gegenseitigkeit. Wird sie gestört, trifft das nicht nur M., sondern auch mich selbst. Wenn ich sie ignoriere und sie also verleugne, beraube ich ihr auch die Möglichkeit mich zu bestätigen. Ich kann nicht so tun, als ob es sie nicht gebe und trotzdem erwarten, daß sie mich bekräftigen soll. Als ich also an M. vorbeiging, ohne die kleinste Notiz von ihr zu nehmen, war ich auch bereit dazu, nicht die kleinste Notiz von mir selber zu nehmen.

Als ich die Flucht ergriff, versuchte ich der Auslöschung aus dem Weg zu gehen.


Sie nehmen kongruente Stellungen ein, woraus vermutlich hervorgeht, daß sie einig sind. Wenn gute Freunde miteinander diskutieren, imitieren sie gewöhnlich Haltung und Gestik des anderen, um zu zeigen, daß sie trotzdem Freunde bleiben, selbst wenn sie verschiedener Meinung sind.

Im Gedränge auf Konzerten, in Kinos, Fahrstühlen, Zügen und Bussen ist man gegen seinen Willen gezwungen, in die Intimsphäre anderer einzudringen. Die Reaktionen auf diesen Eingriff sind interessant zu beobachten. Es gibt eine Liste ungeschriebener Gesetze, die alle Menschen der westlichen Kulturhemisphäre in solchen Situationen streng einhalten.

1. Es ist absolut verboten mit anderen zu sprechen.
2. Jeglicher Augenkontakt mit anderen ist zu vermeiden.
3. Je größer der Andrang, desto weniger ist es gestattet, sich zu rühren.
4. Sind Buch oder Zeitung vorhanden, ist es Pflicht, sich in die Lektüre zu vertiefen.
5. Im Fahrstuhl ist der Blick unentwegt auf die leuchtenden Stockwerksziffern zu heften.
6. Es dürfen unter keinen Umständen irgendwelche Gefühle gezeigt werden.

 

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