Your Way to the Top

Your Way to the Top – Eröffnungsrede

Seit 1997 arbeiteten Helmut und Johanna Kandl gemeinsam an Projekten, die konkrete gesellschaftliche Fragen und Problemstellungen behandeln. Helmut Kandl, ein renommierter Fotokünstler und seine Frau Johanna, der es seit vielen Jahren gelingt, die Traditional Malerei mit konzeptueller Politur aufzufrischen, dokumentieren mit ihren Gemeinschaftsproduktionen ein neues Rollenverständnis: Künstler und Künstlerinnen mischen sich in ökonomische, politische oder soziale Kontexte ein, sie untersuchen die verschiedensten Bereiche unserer unmittelbaren, erlebten Umwelt und übersetzen die Ergebnisse ihrer Recherchen in die Sprache der Kunst, in ästhetische Aggregate, die über das Format des Sichtvermerks hinaus auch Reflexions- und Orientierungswissen vermitteln, und das Visuelle als Erfahrungs- und Dialogfläche im Gebrauch haben.

„Your Way to the Top“ ist ein Projekt im öffentlichen Raum, das für die Arbeiterkammer entwickelt und in Kooperation mit jenem innovativen Museum durchgeführt wurde, das seit 1990 als erste Instanz für neue und zeitgemäße Präsentationsformen aktueller Kunst etabliert ist: das museum in progress mit seinen Mentoren Josef Ortner und Kathrin Messner, den zahlreichen involvierten Mitarbeitern, den Künstlern, Kuratoren, Autoren, den Medien- Wirtschafts und Produktionspartnern, die alle gemeinsam dafür sorgen, dass Kunst nicht nur unter musealen Grabhügeln, sondern mitten im öffentlichen Leben stattfindet. Das Projekt der Kammer für Arbeiter und Angestellte versucht nun, die eigenen Inhalte und Anliegen in ein Tauschverhältnis mit Kulturproduktion zu bringen. Dabei geht es aber nicht alleine darum, Antworten auf das Problem der Verortung politischer Kunst zu geben, sondern vielmehr, die Kategorien Kultur und Arbeit, Kultur und Ökonomie, Kultur und Wirtschaft zu befragen, um daraus Schlüsse für unsere Gemeinschaftsfähigkeiten zu ziehen.

Der Ausstellungsort von „Your Way to the Top“ spielt sich auf einem traditionellen Propagandafeld ab: auf Plakatflächen im unmittelbaren Umfeld der Arbeiterkammer hier in der Prinz Eugenstrasse. Den bereits vorhandenen Modulen auf der Seite des Schwarzenbergparks hat Architekt Walter Kirpiscenko eine Konstruktion entlang der Fassade des Gebäudes hinzugefügt, die schleusenartig zum Haupteingang führt, ein panoramaartiges Band für das Display der Arbeit bildet und den Weg der ArbeitnehmerInnen in ihre Interessensvertretung säumt. Den Druck der Plakate haben Hans Weigand und Albert Meyer mit ihrer Flat Mountain Press, unterstützt von Xerox, besorgt. Über die Affiche hinaus erweitert sich der Präsentationsraum, der Praxis von museum in progress folgend, in den Kommunikationsbereich der Medien – auf die Infoscreens in den U-Bahnen etwa, die City Lights an der Straßenbahnstation und auf die Seiten der Tageszeitung DER STANDARD.

„Your Way to the Top“ beschäftigt sich mit dem Thema „Arbeitswelten“. Der Wunsch der Arbeiterkammer, gesellschaftsrelevante Fragen im Format der bildenden Kunst zur Diskussion zu stellen, passt gut zu den künstlerischen Intentionen Helmut und Johanna Kandls. Dazu vielleicht ein paar Worte: Hat sich Johanna Kandl über viele Jahre hinweg dem Realitäts- und Ortsbezug in kooperativem Dialog verschrieben, ist Helmut Kandl der Impresario gefundener Ordnungssysteme. Zur Vorgangsweise der beiden Künstler möchte ich zwei Beispiele nennen, die das hier vorliegende Resultat der Zusammenarbeit als Fusion von Thematik und Methode klar macht. Zunächst ein Klassiker aus dem Hause Johanna Kandl: 1994 feierte die Rohrbacher Schlosserwarenbfabrik Grundtmann ihr 100-jähriges Firmenjubiläum und lud die Künstlerin zu einem Projekt ein, das unter dem Titel „Arbeitszeit“ in die Annalen kontextbezogener Kunst in Österreich einging. Es lief in vier Teilen ab: Zunächst freundete sich Johanna Kandl in der Fabrik mit den Arbeitern an, sammelte Fotos ein, die diese an den Produktionsstätten und in den Büros geknipst hatten und produzierte mit den Schnappschüssen und literarischen Texten zum Thema Arbeitswelt die Jubiläums-Festschrift der Firma. Im Gobelinsaal der Wiener Staatsoper feierte die Belegschaft inmitten von Farbkopien ihrer Fotos, die Johanna Kandl als Deckenmedaillons zwischen den Kristall Lustern angebracht hatte.

Die billigen Fotokopien entfalteten die Üppigkeit barocker Deckengemälde, die fotografierten Fabriksarbeiter mutierten zu Bühnenfiguren in avantgardistischer Regie, und das Bildungsbürgertum sah sich auf eigenem Terrain nicht nur gefoppt, sondern bedroht. Die Funktion von Kunst liegt also für Johanna Kandl darin, verschiedene Systeme und Kontexte zu verbinden, sie liegt aber auch darin, in verschiedenen Kontexten zu arbeiten. Der wichtigste Punkt ist immer die Frage, wie Kunst wahrgenommen wird, wie sich unsere Wahrnehmung zwischen dem, was vermeintlich Kunst und dem, was ganz offensichtlich nicht Kunst ist, auf unsicherem Boden bewegt.

Für Helmut Kandl wiederum ist die Found Footage privater Knipserbilder eine wichtige Motivation für eigene Kreativität. Auch dafür ein Beispiel: Sein 30minütiges Video „Herr Doktor aus Wien“ ist aus einem anonymen Bilderfundus von 14.000 beim Trödler gefundenen Fotos entstanden. Ein unbekannter Amateurfotograf hat, wie viele von uns, ein persönliches und familiäres Tagebuch von den 30er in die 50er Jahre angelegt und fotografiert, was ihn gerade bewegte. 800 dieser Bilder hat Helmut Kandl für jeweils 2 Sekunden auf ein Videoband gespielt. Ein Ciné Roman über Jugend, Heirat, Soldatenleben und Nachkriegsjahre eines Augenartztes, der gerne wandert und skifährt, ist so entstanden. Persönliche Vorlieben, Urlaubsbilder und historisch bedeutsame Fotospuren von der Hakenkreuzfahne zum Lazarettleben funktionieren in Kandls filmischer Aufbereitung als als privates und als zeitgeschichtliches Dokument. Er systematisiert das visuelle Modell eines Generationsgenossen seiner Eltern zum sequentiell aufgezeichneten Zeitstück, zu einer Archäologie der eigenen Geschichte und Erinnerung. Helmut Kandl ist also der Essayist und Systematiker im Team, der aus vielfältig verzweigten Materialkonvoluten stringente Geschichten filtert.

„Your Way to the Top“ verkittet die Vorgangsweisen beider Künstler. Auch hier stammt das Ausgangsmaterial aus einem glücklichen Fund. Es handelt sich um eine Sammlung von Glasnegativen aus dem Niederösterreichschen Landesmuseum. Es sind Lehrmittelbehelfe, die unter anderem ein umfangreiches Konvolut von über 400 kolorierten Fotos beinhalten, die verschiedene Arbeitssituationen und Produktionsmittel zeigen. Aus diesem Archiv der Zwischenkriegszeit hat Helmut Kandl verschiedene Motive ausgewählt – Arbeiter am Hochofen, bei der Lederverarbeitung, in Molkereien, Mühlen und in Bergwerken.

Darüberhinaus gibt es Bilder, die von den trügerischen Frauenidyllen, den Kindern und der Hausarbeit erzählen. Die – bezahlte – Güterproduktion trifft also auf die – unbezahlte – Versorgungsarbeit. Der suggestiven Romantik des historischen Fotomaterials stellt Johanna Kandl ätzende Textzitate aus der Wirtschaftswelt von heute gegenüber. Es sind die häufig so trivialen Sprüche der Mächtigen, der Tycoone mit ihren Leadership-Fantasien und die nicht minder zynischen Sager der Werbegurus, die ihre Strategien unverhohlen deponieren. „Geld tut Frauen richtig gut“ sagt etwa Bodo Schäfer, Deutschlands erster Money Coach, und Georges Soros bekennt: „Im Kapitalismus geht es darum, reich zu werden“. Mit kritischem Verstand und einer gehörigen Portion Subversion dekonstruieren die Kandls den Mythos des vermeintlichen Fortschritts. Die Botschaften aus der Wohlstandsgesellschaft tauchen, und das war den Künstlern besonders wichtig, in verschiedenen Sprachen auf, in Deutsch, Englisch, Serbokroatisch und Türkisch. Womit eine Verbindung zwischen visueller Organisation und den verschiedenen Rezeptionsebenen hergestellt wird.

Aus den Verschiebungen zwischen Wort und Bild, zwischen Zeichen und dem Bezeichneten entsteht ein komplexes Vexierspiel von Vergangenheit und Gegenwart, von ästhetischem System, sozialen Anliegen und den zahlreichen Missverständnissen dazwischen. Dass es sich dabei um eine höchst kritische Analyse handelt, wird nicht zuletzt durch die krassen Überzeichnungen deutlich, die das Symbolhafte auf einer geradezu karikierenden Ebene zerstäuben.

Es ist ein ziemlich eigensinniger Umgang mit Erinnerung, den Helmut und Johanna praktizieren. Sie setzen eine merkwürdige Gleichzeitigkeit ins Bild: altmodische, apparative, durch die Kolorierung handwerklich wirkende Bilder auf der einen Seite, die Markt- und Ökonomierhetorik des Neoliberalismus auf der anderen. Der Widerspruch zwischen dem Jargon der Sprache und der Atmosphäre der Szenarios ist der Widerspruch zwischen totaler Gegenwart und einer verschlissenen Vergangenheit. Und irgendwann beginnt man, eine sehr seltsame Kongruenz wahrzunehmen: Auf den ersten Blick erzählen die Bilder von der Härte der Arbeit in den Fabriken und Manufakturen, von trostlosen Frauenschicksalen und Kinderarbeit.

Sie reproduzieren aber gleichzeitig die zahllosen Klischees, die unsere Vorstellungen von der Lebens- und Arbeitswelt der Zwischenkriegszeit prägen. In vielen von uns werden sie auch empfindlichen Widerstand gegen ihre geradezu körperlich spürbare, unangenehme Bildsprache erzeugen, wie wir sie nicht zuletzt aus dem protofaschistischen Heimatfilm kennen. Genauso unangenehm, peinlich und penetrant sind die geklauten Slogans und verkürzten Sätze, die auf den Plakaten zu lesen sind. Sie können schon auch einmal aus der Bibel kommen, in ihrer Mehrzahl stammen sie aber aus renommierten Wirtschaftsmagazinen, aus Stellenanzeigen und Manager-Handbüchern, eine Perlenreihe guter Ratschläge, wie man was wird, im Leben. Es sind die Mantras des beschleunigten Kapitalismus und die kolonialen Fürbitten der Werbung. Eine quasi pornografische Sprache hat das Hans Christian Dany in seinem Katalogbeitrag zu Johanna Kandls Secessionsausstellung genannt. Das Phantasma einer Formeln und Befehlen gehorchenden Welt zeichne sich ab, fährt er fort, abstrakte Behauptungen, wie die Welt zu sein habe. Die Ebenen des Bilds und des Worts manipulieren einander, indem sie den Rohstoff manuelle Arbeit mit der Worthülsenproduktion der Textmaschinen in eins setzen.

Ich würde „Your Way to the Top“ gerne als Aufforderung zum Widerstand lesen, gegen die vielen Formen der Manipulation, der Belehrungen und der Ermahnung. Als Aufforderung, sich nicht von dominanten Wirtschaftssystemen vereinnahmen zu lassen. Eine kühne Volte könnte die von der Wirtschaft geforderten Qualifikationen wie spezialisiertes Wissen, selbstverantwortliches Handeln, Team- und Kommunikationsfähigkeit, soziale Kompetenz, Flexibilität etc. auch als gute Voraussetzungen für widerständiges und solidarisches Handeln interpretieren (siehe: Yvonne Volckart, Ästhetisierung als widerspenstige Praxis, in: Das Phantom sucht seinen Mörder, ein Reader zur Kulturalisierung der Ökonomie, b-books. Berlin, 1999). Die Aufforderung gilt nicht nur für die Mehrzahl der ArbeitnehmerInnen, sie gilt auch, wenn ich Helmut und Johanna Kandl richtig interpretiere, für jene Künstler, die die Autonomie der Kunst gegenüber der Politik und Ökonomie zu verteidigen suchen. Eine Position, die eine wichtige Tendenz der gesellschaftlichen Entwicklung unterschlägt: nämlich dass Wissen und Kreativität, wie Stilgefühl und Kennerschaft nicht mehr im Besitz einer einzigen Klasse in westlichen urbanen Zentren sind, sondern durch die Technologien der Kulturindustrie eine enorme Demokratisierung durchlaufen haben.

Deshalb bleiben die geschützten Territorien der Kunst für Leute wie Helmut und Johanna Kandl verdächtig, denn sie blenden das Leben aus. Sie wollen sich den Bezug zur sozialen Realität bewahren und verständlich bleiben für Viele, nicht nur für die Klubmitglieder eines rätselhaften Geheimbunds. Sie räumen dem Luxusgut Kultur den Flitter ab und profilieren sich als Katalysatoren zwischen der Kunst und der Welt. Und stellen Fragen, die wir uns alle stellen. Besonders, wenn wir die Botschaft von „Your Way to the Top“ als trügerisch erkennen: Alle haben Arbeit, auch wenn sie hart sein mag, und wer sich an die Regeln hält, wird sie auch behalten. Angesichts der grassierenden Arbeitslosigkeit und der Reorganisationsversuche der an den Arbeitsplätzen der Männer nicht mehr gebrauchten Frauen wird klar, worum es gehen muss: um einen anderes Wirtschaftskonzept und damit um neue Gesellschaftsentwürfe.

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