Eiserner Vorhang 2014/2015

Joan Jonas – Eiserner Vorhang

Das Theater spielte im künstlerischen Werk von Joan Jonas von Anfang an eine zentrale Rolle. Ihre Performances, Installationen, Videos und Skulpturen arbeiten mit den Mitteln des Theaters, sie enthalten narrative und dramatische Elemente und beziehen Schauspieler, Requisiten, Masken, Tanz, gemalte Kulissen, Musik und ein Publikum mit ein. In einer Werkreihe mit dem Titel „My New Theater“ ragen lange Sperrholzkisten in den Raum, von denen jede als tragbares, mit winziger Bühne und Requisiten vollständig ausgestattetes Miniaturtheater konzipiert ist und über Video mit einem Narrativ bespielt wird, das sich wie eine in sich geschlossene magische Welt entfaltet. Inspiriert werden die Arbeiten der Künstlerin von alten Volkssagen, dem japanischen Noh-Theater, der chinesischen Oper, der Literatur, von mexikanischer und keltischer Folklore und den Schlangentänzen der amerikanischen Hopi-Indianer; dabei entstehen Erzählungen, die zwar innerhalb eines weitgehend linearen Zeitrahmens verlaufen, sich aber nicht immer an die Konventionen des Theaters halten. Joan Jonas‘ Installationen waren in Lofts, Galerien, auf einem leerstehenden Brachland in Downtwon New York und an einem Strand zu sehen, wo der Horizont die Linie zwischen Bühne und Kulisse bildete.

Für die Arbeit „Upside Down and Backwards“ (1979), in der zwei Märchen der Brüder Grimm zu einer Geschichte verschmelzen, schuf Jonas ein Bühnenbild, das sich aus drei verschiedenen, in unterschiedlich kombinierten Primärfarben gemalten Kulissen zusammensetzte, die den Prinz, einen Jungen und eine Kombination der beiden Protagonisten darstellten. „Lines in the Sand“ (2002) verfolgte einen ähnlich hybriden Ansatz, indem der Raum einer Installation mit dem eines notdürftig improvisierten Theaters fusioniert und zwei Texte der amerikanischen Dichterin H.D. (Hilda Doolitttle) miteinander verknüpft wurden: „Helen in Egypt“ (1961) und „Writing on the Wall“ (1944), ein Text, der später unter dem Titel „Tribute to Freud“ erschien und an die Psychoanalyse erinnert, die H.D. 1933 bei Freud in Wien machte. Den Hintergrund bildete eine einzelne Videoprojektion, die die beiden Narrative in sich vereinte. Für „The Juniper Tree“ (1976), dem ebenfalls ein Grimm’sches Märchen (Von dem Machandelbaum) zugrunde liegt, bildeten rote und weiße Zeichnungen, auf rote und weiße Seide gemalt, eine kombinierte Kulisse, vor der live gespielt wurde und Jonas zu sehen war, wie sie die Seide in Echtzeit bemalte.

Mit dem „Eisernen Vorhang“ greift Jonas das klassische, die meisten Opern- und Theaterhäuser prägende Format des Bühnenportals auf und nutzt es als Rahmen für eine abstrakte Bildkomposition. Das Muster, das auf dem eisernen Vorhang der Wiener Staatsoper zu sehen ist, geht auf ihr Studium alter keltischer Rituale zurück und akzentuiert durch die abstrakte Form, deren Einfachheit die dahinter liegende visuelle und narrative Komplexität wie eine Maske verbirgt, die senkrechte Ebene des eisernen Vorhangs. Die symmetrische Frontalität des eisernen Vorhangs verstärkt das Bühnenportal wie eine rahmengebende Vorrichtung.

Jonas vollzieht mit dem „Eisernen Vorhang“ eine Rückkehr zu den Wurzeln ihrer frühesten Arbeiten und stellt innerhalb eines gerahmten Raums einen Dialog zwischen Tiefe und Distanz her, wobei die herkömmlichen Elemente der live aufgeführten, performativen Aktion auf die Darsteller der Oper versetzt werden, die hinter der Leinwand verborgenen sind. Dadurch verschiebt sich das Bühnenportal aus seiner perspektivischen Distanz und wird zum Rahmen für die flache abstrakte Form der großen Zeichnung, die den Eindruck erweckt, als würde sie in einer extremen Nahaufnahme zum Publikum hingeführt. Der „Eiserne Vorhang“ wird zu einer leeren Leinwand, auf die die Künstlerin ihre Antwort auf den klassischen Raum der Wiener Staatsoper projiziert. Joan Jonas bringt ihre gesamte Theatererfahrung auf die Bühne des Opernhauses und fasst sie in einer einzelnen abstrakten Komposition zusammen, die in ihrer Schönheit und Linienführung an das Hybridhafte ihrer Kunst erinnert, in der Zeichnung, Performance und Schauspiel zu einem einzigen Ganzen verbunden werden.

Chrissie Iles
Anne and Joel Ehrenkranz Curator, Whitney Museum of American Art


Übersetzung: Jacqueline Csuss

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