Die große Schere

Die große Schere

Die österreichische Filmemacherin und Fotografin Lisl Ponger bewegt sich im Kunstkontext, aber auch im Umfeld des politischen Aktivismus. Sie ist eine Künstlerin, die Stellung bezieht. Die politische Dimension steht im Zentrum ihrer Arbeit. Dieses thematische Feld erfordert andere Produktionsweisen und Lesarten, und es lässt die Tatsache offensichtlich werden, dass die Repräsentation ebenso Teil des politischen, wie des Kunstdiskurses ist.

Pongers Beitrag für Arbeitswelten, das Plakatprojekt der Arbeiterkammer Wien, ist eine neue, für diesen spezifischen Ort und Kontext entwickelte Arbeit. Die große Schere befasst sich mit dem Thema Frauenarbeit und reagiert auf den Umstand, dass Basisforderungen wie gleicher Lohn für gleiche Arbeit immer noch nicht durchgesetzt sind.

Auf einer – blauen, denn nichts ist hier zufällig – Wäscheleine baumeln weibliche Kleidungsstücke. Sie funktionieren als Signifikanten verschiedener Arbeitsidentitäten: Die Uniformen der Airhostessen hängen neben Overall und Schlosserjacke, Stubenmädchenschürzen neben den Arbeitskitteln und Kopftüchern der (Gastarbeiter-)Putzfrauen, Malerinnenhosen treffen auf eine Rotkreuzschwestern-Variation, ein Barbiepuppen-Outfit macht dem MA2412-Tussi-Look Konkurrenz.

T-Shirts als textile Scharniere zwischen individueller Befindlichkeit und ihrer Verlautbarung als Streetwear tragen einschlägige Botschaften wie billig, burned out und TschuschInnenpower. Auf einer Tragtasche zeigt uns eine Hausfrau trotzig die Kämpferfaust: We can do it, sagt sie. Hoffnung auf eine lichte Zukunft oder bittere Resignation?

Was am Strick klemmt, kommt aus Lisl Pongers legendärem Fundus, ihrem persönlichen Archiv, einer Material- und Ideensammlung zu Kapiteln wie Kolonialismus, Globalisierung und Reisen. Pongers Recherchen für Film- und Fotoarbeit stützen sich immer wieder auf ihr chaotisches System von Büchern, Objekten, Textilien und Fotos. In der Kategorie Inszenierte Fotografie schafft sie mit dem akkumulierten Rohstoff ironisch-provokante Bilder über das Wesen von kultureller und gesellschaftlicher Identität. Es sind die Ready Mades des Lebens, die Trophäen des Alltags, mit denen Lisl Ponger ihre Geschichten erzählt. Sie handeln vom Zustand der Systeme und suchen nach den Spuren von Ereignissen, die unsere Existenz beeinflussen. Wort-Bild Verbindungen unterstreichen die gesellschaftspolitische Motivation der Arbeit. Die Sprüche, auf weiße Tücher aufgebügelt, vermitteln, dass die Guerilla Girls ökonomisch zu bezwingen sind. Wenn diese Entwicklung anhält, werden Männer bald doppelt soviel verdienen wie Frauen ist zu lesen. Das klingt wie ein spätdadaistischer Treppenwitz, könnte sich aber auch auf Murphy's Law beziehen: Was schiefgehen kann, wird schiefgehen. Wie in vielen Werken der Künstlerin spielt auch hier das Abwesende als latenter Bestandteil des Bildes eine wichtige Rolle. Was wir in dieser Arbeit vergeblich suchen, sind die Frauen selbst. Sind sie mit Jacques Lacans chauvinistischem la femme n'existe pas bereits ausreichend gereizt worden, führt Lisl Ponger die weibliche Abwesenheit auf ihre wirtschaftliche Marginalisierung zurück. Leise Ironien wie diese geben der Kritik Leichtigkeit und Würze. Konzentrierte Inszenierungen wie diese münden in einer präzisen, gleichzeitig aber auch spöttisch-spitzfindigen Rhetorik der visuellen Elemente.

Die politische Bedeutung einer Fotografie ergibt sich einerseits aus ihrer ästhetischen Struktur, andererseits aus dem Kontext, in dem sie ihren Betrachter erreicht. Für Lisl Ponger wird der öffentliche Stadtraum zur Bühne der sozialen Verhältnisse, ihr künstlerisches Aktionsfeld ist – neben Museum und Galerie – die Straße. Für ihren Beitrag zur documenta 11 in Kassel etwa begab sie sich auf die Suche nach den Spuren der Ereignisse auf dem G8-Gipfel in Genua. Viele Monate lang dokumentierte sie die Donnerstagsspaziergänge und die Protestaktionen gegen die amtierende österreichische Bundesregierung. Ihre Fotozyklen Fremdes Wien und Xenographische Ansichten verbinden ironische Provokation mit Reflexion und Kritik.

Das Besondere an Lisl Ponger ist der Umstand, dass es eben keine Schere – denn auch der Titel der Arbeit ist nicht zufällig – zwischen der ästhetischen Absicht, die Welt zu interpretieren und der politischen Absicht, sie zu verändern, gibt. Form folgt aus Inhalt.

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