Austria im Rosennetz 02

Viel lustiges Zeug. Gespräch mit dem Kunstkritiker Martin Prinzhorn

Über Wien seit den 80er Jahren

Robert Fleck: Du bist Kunstkritiker in Wien, hast aber eine Position abseits des Betriebs. Im Hauptberuf bist Du Linguist.

Martin Prinzhorn: Ich bin zwar Wiener, aber erst mit 22 zurückgekommen. So habe ich Anfang der 80er Jahre eine Aufbruchsstimmung erlebt: Franz West war eine zentrale Figur, doch es gab darüber hinaus eine lockere Gruppe, die aus dem guten Klima an der Hochschule für angewandte Kunst hervorging. Neben Oswald Oberhuber war dafür vor allem Peter Weibel verantwortlich: Er hat sein Theoriegebilde auf Leute abgelassen, die zum Teil ganz brav Malerei studiert haben. So begann eine Mischung, die die österreichischen Kunst der letzten fünfzehn Jahre prägt und die ich einmalig finde. Denken wir an Herbert Brandl.

RF: Der Theoretiker und Allroundkünstler Weibel als Inspirator der Kunst?

MP: Nein. Wir sprechen hier von Franz West – wohl dem Mentor – sowie von Heimo Zobernig, Otto Zitko, Herbert Brandl und Peter Kogler. Bei diesen Künstlern ist aus theoretischem Interesse, das natürlich teilweise anfangs unsortiert war, Hochinteressantes entstanden. Sie waren alles andere als unintellektuell, haben aber diese Theorie im Unterschied zu amerikanischen Künstlern ihrer Generation nicht systematisiert. Dadurch kam viel lustigeres Zeug heraus.

RF: Du siehst die 80er Jahre nach wie vor als Aufbruch der österreichischen Szene?

MP: Gewiß. Ich habe die ersten Ausstellungen noch in Erinnerung, wo die „rumgesaut“ haben und Spaßbilder in Galerien machten, 5 mal 10 Meter. Das war völlig anders als bei klassischen Malern, weil sie diesen gedanklichen Hintergrund hatten.

RF: Im Ausland gibt es zwei Interpretationen der österreichischen 80er Jahre. So heißt es, die Maler hätten am frühen Expressionismus des 1907 verstorbenen Richard Gerstl angeknüpft.

MP: Auf Gerstl sind die Künstler ein bißchen reingezwungen worden. Die junge Szene der 80er Jahre weckte zum ersten Mal ein langfristiges ausländisches Interesse für österreichische Kunst, wovon man noch heute profitiert. Italienische Händler brachten die Wiener Jahrhundertwende und Gerstl ins Spiel. Das war auch der Zeitpunkt, als man sich im Ausland massiv für „Wien um 1900“ zu interessieren begann.

RF: Ein anderes Klischee erklärt die heutige österreichische Kunst aus der Tradition der Sprachkritik. Die Pariser Zeitung „Libération“ titelte 1990 über Herbert Brandl, Ernst Caramelle und Franz West: „Die Kinder von Musil und Wittgenstein“.

MP: Das ist sicher zu vereinfachend. Doch es ist richtig, daß diese Kunst aus einer spezifisch österreichischen Situation entstand. Das hat mit der Zwischenlage zu tun: es gab weder die Gruppen- und Schulzwänge unserer nördlichen Nachbarn noch das reine, glückliche Aufgehen in der Ästhetik der italienischen Kunst. Ähnliches könnte man auch für Musil und Wittgenstein behaupten: Das in der Luft Hängende war das Interessante. Heimo Zobernig hat in den letzten Jahren die Bedeutungsebene in vielen Arbeiten radikal abgebaut und nur formale Regeln übriggelassen, auf denen die Kunst beruht. Das entspricht durchaus der Philosophie des logischen Positivismus, die vor dem Zweiten Weltkrieg weitgehend in Wien entstand. Wobei Zobernig klug genug war, daß ein Künstler immer Ästhetik mitproduziert, und das Schöne für sich doch wieder zuließ.

RF: Wie sieht heute die Situation aus? Ist die Lebendigkeit noch da?

MP: Heute ist die Situation nicht uninteressanter als damals, wenn auch orientierungsloser. Es gibt die beglückende Entdeckung, daß man in Gruppen zusammenarbeiten kann – junge Szene, Gruppenbildungen, Projekte usw. Das weckt Energie, ist aber programmatisch nicht so neu. Institutionskritik gibt es, seit es Avantgardekunst gibt. Was mich frappiert, ist daß an den österreichischen Kunsthochschulen alles andere als eine Aufbruchssituation herrscht. Ich habe da in letzter Zeit eigentlich nur schlechte Laune erlebt.

RF: Ist das nicht ein allgemeines Phänomen? Auch sonst in Europa sind junge Künstler von der Zeit nach dem Fall der Berliner Mauer geprägt. Sie kennen den kritischen Antrieb der Kunst der 60er und 70er Jahre nicht mehr, und betreiben dennoch eine extrem theoriebezogene Kunst.

MP: In den USA ist die Situation unglaublich lebendiger. Das hat mit dem Meisterklassensystem und anderen verkrusteten Dingen an hiesigen Kunsthochschulen zu tun. Zugleich begegnen wir einem weltweiten Phänomen, wenn Künstler und Künstlerinnen die Theorie unmittelbar in ihre Kunst holen. Sie sehen richtigerweise, daß kritische Auseinandersetzung in der Wissenschaft nicht mehr stattfindet. Wenn wir heute über Kritik an den etablierten Institutionen sprechen, gibt es nur den Freiraum der Kunst.

RF: Du hast 1994 eine Ausstellung in der Wiener Secession mit dem Titel „Die Neunziger“ kuratiert.

MP: Das war scherzhaft gemeint. Ich präsentierte drei Künstlerinnen, die mir wichtig erscheinen. Der Titel reagierte auf die Nervosität nach dem Kunstmarkt-Einbruch der frühen neunziger Jahre, als jedermann sich die Frage stellte: „Wie geht es jetzt weiter?“ Ich finde es viel interessanter, daß im ersten Halbjahr 1997 niemand mehr sagen kann: „Es ist Kubismus angesagt“, oder so einen Blödsinn. Die Ausrufung von neuen Programmen alle paar Jahre, die man durchziehen kann, wie noch in den 70er Jahren: Das geht einfach nicht mehr.


Martin Prinzhorn, geb. 1957 in Wien, Linguist und Kunstkritiker, derzeit am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien und in Budapest tätig, zahlr. Veröffentlichungen, u.a. in „Texte zur Kunst“, Köln.

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