TransAct 40

TransAct Statement

Gedächtnis. Erinnerung. Archiv. Droht unzeitgemäßer Wissenschaft das Aus? Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), eine überparteiliche, von der Republik und der Stadt Wien maßgeblich finanzierte Einrichtung zur Erforschung des Nationalsozialismus und Rechtsextremismus, äußerte wiederholt die Sorge über eine Regierungsbeteiligung der FPÖ. Neben den allgemeinen gesellschaftlichen Auswirkungen wird diese für uns als kritische WissenschafterInnen wohl auch unmittelbar Folgen haben. Es ist zu befürchten, dass es um eine systematische Aufarbeitung der NS-Herrschaft und ihrer Verbrechen grundsätzlich nicht gut bestellt ist. Haider, dessen aggressiv-abwehrende Haltung gegenüber der Einsicht in den verbrecherischen Charakter des NS-Regimes nicht zuletzt von uns ausführlich dokumentiert wurde, reagierte stets mit Diffamierungen all jener, die das (Selbst)Bild der ÖsterreicherInnen als kollektives Opfer korrigieren wollten. Diesbezüglich unbequeme HistorikerInnen wurden in seinen Reden zu „Kommunisten“, „Geschichtsfälschern“, „Österreichbeschimpfern“ und „Denunzianten“. 1990 prophezeite Haider vor ehemaligen Wehrmachtssoldaten und Waffen-SS-Männern: „Es wird die Zeit kommen, wo solche Historiker nicht mehr zeitgemäß sind.“ Ein Jahr später wiederholte er seine Drohung: „Für Geschichtsfälscher und Österreichbeschimpfer muß die Zeit ein Ende haben.“ Nachdem mit dem Psychoanalytiker Erwin Ringel ein derartiger „Österreichbeschimpfer“ 1990 in Kärnten Opfer eines tätlichen Angriffes durch einen aufgeputschten Fanatiker geworden war, meinte Haider: „Wenn jemand in Kärnten solch dummes Zeug redet, muß er darauf gefaßt sein, so behandelt zu werden.“

Bezeichnen WissenschafterInnen die FPÖ und Haider als das, was sie sind, werden sie vor Gericht gezerrt. Gerade in jüngster Zeit wurden FPÖ-KritikerInnen zunehmend mit Klagen eingedeckt. Unabhängig vom Ausgang der jeweiligen Verfahren, dient dies vor allem der Einschüchterung. So entscheiden nun die Gerichte, ob und inwieweit Haider und die FPÖ als antisemitisch zu bezeichnen sind: DÖW-Leiter Wolfgang Neugebauer wurde vom damaligen FPÖ-Obmann geklagt, weil er ihm einen „Antisemitismus der besonders perfiden Art“ attestiert hatte. Neugebauers Einschätzung basierte auf Haiders Abwehr der Kritik aus Israel. Unmittelbar nach den Nationalratswahlen vom Oktober 1999 bezeichnete der siegreiche Agitator diese als „hysterische Akte“, welche den jüdischen Bürgern in ganz Europa schaden würden. „In einer zivilisierten Welt“, so Haider weiter, „agiert man nicht mit Drohungen, sondern setzt sich bei Meinungsverschiedenheiten an den Verhandlungstisch.“ Die Wortmeldung gipfelte im antisemitischen Standardsatz, wonach die Juden und Jüdinnen an ihrer Verfolgung selbst schuld seien: „Es gibt genügend Leute, die sagen: ‚Wir wissen jetzt, warum Antisemitismus entsteht.’“

Im Kampf gegen das DÖW war FPÖ-PolitikerInnen schon in der Vergangenheit kein Vorwurf zu absurd, um nicht erhoben zu werden: Im Gleichklang mit Neonazis nannten uns Freiheitliche „letzte Stalinorgel“, „Fälschwerkstatt“ oder „Stasi-Archiv“. Darüber hinaus versuchte Haider sogar, uns in die Nähe des rechtsextremen Bombenterrors zu rücken. Wie zuvor im Fall der – von freiheitlichen Jungkadern begangenen – Schändung des jüdischen Friedhofes in Eisenstadt wurde versucht, die Anschläge einer anti-freiheitlichen „Verschwörung“ mit Zentrum DÖW anzudichten.

Auch für die angeblichen Sanktionen gegen Österreich soll das DÖW verantwortlich sein: So entlarvt Haiders Berater Andreas Mölzer in der Presse (29. 2. 2000) die Zusammenstellung einiger einschlägiger Aussagen von FPÖ-SpitzenpolitikerInnen, „welche ihren Ursprung im alten Wiener Rathaus in der Wipplingerstraße haben“, als Grund für die heftigen Auslandsreaktionen. Wie so oft kommt der Vorwurf in der rhetorischen Figur der Verneinung daher: „Wer da von ‚Agitation’, oder gar Vernaderung des eigenen Landes redet, tut den aufrechten Kämpfern gegen den faschistischen Ungeist aus der Wipplingerstraße natürlich Unrecht.“ Im Unterschied zum Christentum, welches Gnade und Vergebung kenne, arbeite „die mit Steuergeldern subventionierte Maschinerie des Dokumentationsarchivs ebenso effizient wie gnadenlos.“ Nicht Haider und die Seinen seien mit ihren Sprüchen für die Kritik verantwortlich, sondern „der Computer in der Wipplingerstraße“, der „listenweise böse Worte aus(spuckt)“. Das DÖW dokumentiere nicht die Realität, sondern betreibe eine „Produktion virtueller Nazis am Fließband, aller Welt zur Nutzbarmachung.“

Inwieweit die FPÖ als Regierungspartei ihren Worten auch Taten folgen läßt, Haiders Prophezeiung von 1990 Wirklichkeit wird, hängt von mehreren Faktoren ab. Begünstigend wirkt sich neben einer antiintellektuellen und erinnerungsabwehrenden Grundstimmung in weiten Teilen der Bevölkerung der Zustand der Staatsfinanzen aus. Mit dem Verweis auf die angespannte Budgetsituation braucht eine finanzielle Austrocknung „nicht mehr zeitgemäß(er)“ Wissenschaft nicht politisch argumentiert werden. Statt dessen kann sich die Regierung in ihrer Verweigerung von Subventionszahlungen an wissenschaftliche Institutionen auf „Sachzwänge“ berufen. Erschwerend wirkt sich das internationale und fachliche Ansehen vieler derartiger Einrichtungen aus. Gerade in der Anfangsphase wird die neue Regierung wohl versuchen, auf Meinungen im Ausland Rücksicht zu nehmen und auf spektakuläre Einschnitte gerade in diesem Bereich verzichten. Bis zur totalen Machtübernahme wird die FPÖ auch hier auf die bewährte Salamitaktik setzen.

Gegen das „antifaschistische Geschwätz“ (Jörg Haider) an Österreichs Schulen

Neben unzeitgemäßen WissenschafterInnen und Institutionen war und ist der FPÖ vor allem der kritische Zeitgeschichteunterricht und die politische Bildung ein Dorn im Auge. 1994 verlangte etwa der burgenländische FPÖ-Obmann Rauter, dass die Gratisvorführungen von „Schindlers Liste“ für SchülerInnen gestoppt werden. Laut Rauter bekomme die Jugend durch den Film ein unrichtiges Geschichtsbild. Auch versuchen freiheitliche Politiker, kritische und engagierte LehrerInnen einzuschüchtern. In einer parlamentarischen Anfrage heißt es etwa 1995: „Am Bundesgymnasium Albertgasse 18–22 in 1090 Wien unterrichtet Frau Prof. H. (wird namentlich genannt, Anm.) in einer 4. Klasse Geschichte. Die Besprechung und Behandlung des Themenkomplexes Nationalsozialismus und Hitler soll Frau Prof. H. mehrfach dazu benützt haben, den Nationalsozialismus mit Jörg Haider zu vergleichen und in Beziehung zu setzen.“ Die zuständige Ministerin wird gefragt: „Werden sie disziplinarrechtliche Schritte gegen Frau Prof. H. einleiten?“ 1996 meinte der (konservative!) steirische Landesschulpräsident angesichts der FPÖ-Drohungen: „Die Lehrer trauen sich gar nicht mehr Zeitgeschichte oder Politik zu unterrichten, weil sie Angst vor einer Klage haben.“

Heribert Schiedel
Politologe, Mitarbeiter im DÖW
mit Schwerpunkt Rassismus- und
Antisemitismusforschung


Wien, Juni 2K


Auszug eines Beitrages zur 4. Stille

4. Stille.
An die Unaufrichtigkeit.
4. Juni 2000
Erinnerung – Gedächtnis – Identität

Gesellschaft Bildender Künstler
Österreichs, Künstlerhaus
Generalsekretärin: Doris Rothauer
Idee, Konzept und Projektleitung:
Hanns Kunitzberger

Veranstaltungsreihe im
Wiener Künstlerhaus, jeden
4. des Monats um 19 Uhr

www.k-haus.at

TOP