TransAct 22

TransAct Statement

Das Politische als Produktionsprozeß

In der Form des Rohstoffs ist radikale Öffentlichkeit für die menschlichen Motive und Sinne unerreichbar, es müssen Öffentlichkeitssinne zunächst produziert werden. Nähesinne und Sinnzusammenhang von Ausbruch (dies ist kein dem Ausbruchsbedürfnis übergeordneter, sondern ein in ihm materiell steckender Sinn) bedürfen einer von den Wurzeln ausgehenden Umproduktion, damit sie, die als antirealistische Kräfte der Abwehr und des Ausweichens angelegt sind, auf Realität antworten. Dies ist der Kern der Behauptung, daß Politik ein Produktionsprozeß sein muß und nicht distributiv, was die vorherrschende Gewohnheit von Politik ist.

Diese Produktion bezieht sich auf drei unterscheidbare Zentren: (1) die Produktion von politischen Motiven, (2) die Produktion der Berührungsflächen und kollektiven Orts- und Zeitgestalten von Politik, also des politischen Zusammenhangs der Formen, (3) die Produktion der Produktionsbedingungen, der Werkzeuge, der Sprache, Produktionsweise, d. h. der Umproduktion von Menschen in Richtung dessen, was sie partiell als menschliches Gemeinwesen sind.

Diese mehreren Pole von Politik als Produktion verhalten sich unter bestehenden Umständen antagonistisch, d. h. sie stören einander. Andererseits ist umgekehrt die Kooperation zwischen diesen Polen die notwendige Bedingung für Politik. Der vehemente Ausbruch in der Neuformulierung politischer Inhalte produziert außer deren Artikulation Trennungen, die die Trägerprozesse für politische Arbeit zerstören. Eine radikale Politik ist artikuliert, die Masse der gesellschaftlichen Berühungsflächen zertrümmert.

Diese Widersprüche werden nicht vom Kapital oder dem Staat vorgegeben, die beide Politik als Produktionsprozeß überhaupt negieren und deshalb die von ihnen an sich gewünschte Verhinderung solcher Prozesse nicht durchsetzen und kontrollieren können. Sie haben für dieses Problem nicht die notwendige Sensibilität. Vielmehr ist dieser Widerspruch hergestellt aus den besten Rohstoffen des Protestgefühls: dem radikalen Beharren auf dem eigenen Interesse, d. h. Nähe, aus dem radikalen Beharren auf Rebellion, d. h. Durchbrechung, und aus dem radikalen Beharren von Theorie auf dem emphatischen Begriff der konkreten Totalität und der Geschichte als dem Medium, in dem sich Realität tatsächlich vorfindet.

Es handelt sich also um einen Antagonismus, der deshalb zu lösen ist, weil er aus einer Verkettung befreundeter Materien besteht. Befreundet unter dem Aspekt Emanzipation.

Prof. Dr. Alexander Kluge
Autor und Filmemacher


München, 23. Februar 2K


Alexander Kluge hat am 23. Februar den TransAct-Aufruf unterstützt und vorgeschlagen, einen Text unserer Wahl von ihm zu publizieren.

Textauszug aus: Oskar Negt, Alexander Kluge: Geschichte und Eigensinn, Frankfurt am Main (Zweitausendeins) 1981, S. 1164–1165.

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